1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Mordprozess Yangjie Li: Mordprozess Yangjie Li: Plädoyers angekündigt - Lange Schlange am Landgericht

Mordprozess Yangjie Li Mordprozess Yangjie Li: Plädoyers angekündigt - Lange Schlange am Landgericht

Von Lisa Garn 29.07.2017, 13:00
Lange Schlangen schon gegen 7 Uhr: Viele Besucher wollen die Plädoyers hören.
Lange Schlangen schon gegen 7 Uhr: Viele Besucher wollen die Plädoyers hören. Brachert

Dessau - Yangjie Li ist am Abend des 11. Mai schon fast zu Hause. Sie joggt die letzten Meter in der Johannisstraße, als sich ihr eine junge Frau in den Weg stellt.

Sie gestikuliert, zeigt nach oben auf die Wohnung in der Nummer 7. Die chinesische Studentin zögert. Es sind Sekunden, die über Leben oder Tod entscheiden.

Wenn sie weitergeht, geschieht ihr nichts. Sie hätte  weiter studiert, ihren Abschluss gefeiert und wäre nach Hause, nach China zurück gekehrt. Yangjie Li hatte viel vor: Als Architektin arbeiten, eine Familie gründen, einen Marathon laufen und ein Eigenheim mit Fitnesszimmer bauen.

Mordfall Yangjie Li in Dessau: Plädoyers und Urteil stehen bevor

Doch die 25-Jährige folgt der jungen Frau ins Haus. Die Falle schnappt zu.   Wenige Stunden später ist Yangjie Li tot. Vergewaltigt. Misshandelt. Zu Tode geprügelt.

Eine Überwachungskamera hat aufgezeichnet, wie die Chinesin vor mehr als einem Jahr in die Falle ging. Die Aufnahmen gehören zu den wichtigsten Beweismitteln im Prozess gegen ihre mutmaßlichen Mörder.

Seit November 2016 steht das Ex-Paar Sebastian F. und Xenia I., beide 21 Jahre alt,  wegen gemeinschaftlichen Mordes und Vergewaltigung vor Gericht. 

Der Prozess ist einer der aufsehenerregendsten in der Geschichte Sachsen-Anhalts.  Nach 34 Verhandlungstagen sind für Montag und Dienstag die Plädoyers angesetzt. Am 4. August soll das Urteil fallen. Vor dem Finale bilanziert die MZ den Prozessverlauf.

Was ist in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2016 passiert?

Mit dem Teilgeständnis von Xenia I. und vielen Spuren lässt sich die Tat fast lückenlos rekonstruieren. Sie hatte im Januar unter Tränen zur Mordnacht ausgesagt.

Gegen 21.24 Uhr an jenem 11. Mai spricht demnach Xenia I.  die 25-jährige Yangjie Li auf der Straße an: Sie brauche Hilfe, um Kartons nach oben zu tragen.

Sebastian F. steht hinter der Haustür und wartet auf sein Opfer. Als Yangjie Li das Haus betritt, fällt er über die junge Frau her, will sie erst im Treppenaufgang fesseln und vergewaltigen, zerrt sie dann unter Schlägen in eine leerstehende Wohnung. Dort wird Yangjie Li mehrfach brutal vergewaltigt und misshandelt.

Xenia I. hat ausgesagt, dass sie ihren Freund aufhalten wollte. Der aber forderte sie auf, die Klappe zu halten und mitzumachen. Gegen 2 Uhr nachts hilft sie Sebastian F., Yangjie Li fortzuschaffen.

Über den Hinterhof und aus dem Fenster eines unbewohnten Hinterhauses wird die sterbenden Frau unter einer Konifere versteckt. Laut Rechtsmedizin endet das Leben der Studentin am frühen Morgen des 12. Mai, die Verletzungen sind zu schwer.

Ihr Herz versagt, wegen einer so genannten Lungenfettembolie: Durch die ihr angetane, schwere Gewalt wurde unter anderem Fettgewebe zertrümmert und in der Folge gelangten Fetttröpfchen in Blutbahn sowie Lunge.  Gefunden wird Yangjie Li am 13. Mai.

Wie ist die Beweislage?

Die Beweislage in diesem Indizienprozess ist erdrückend.  Neben den Videoaufnahmen  gibt es DNA-Spuren an der Leiche, Blutspuren an Kleidungsstücken Sebastian F.s, an Wischutensilien.

Und F. hat in den Tagen nach dem Mord verräterische Suchbegriffe im Internet eingegeben: „Wie lange riecht ein Polizeihund einen Menschen?“,  „Wann beginnt ein Mensch zu verwesen?“.

Auch die Wortgruppe „Leiche im Freien“ taucht auf sowie Begriffe wie Spürhund, Leichenstarre und DNA. Xenia I. hat gestanden, als Lockvogel die Chinesin angesprochen zu haben - weil  F. sie gezwungen habe. Beim Martyrium Yangjie Lis will sie aber nur kurz dabei gewesen sein.  

Welche Prozesstage bleiben vor allem im Gedächtnis?

Xenia I.s Teilgeständnis war ein Wendepunkt. Sie erzählte  auch von der Beziehung mit Sebastian F., von Schlägen, Erniedrigung, Vergewaltigung und Drohungen.

Verlassen konnte sie ihn nach eigener Aussage nie: Aus Angst, dass er ihr ihre Kinder wegnimmt oder sie umbringt. „Ich habe ihn irgendwo trotzdem noch geliebt. Er konnte auch ganz anders sein.“ Xenia I. erzählt auch von der eigenen Kindheit, von Ablehnung der Mutter und Missbrauch durch den Stiefvater.

Für Prozessbeobachter schwer erträglich waren die Schilderung der Misshandlung Yangjie Lis. Die Verlesung des Gutachtens der Rechtsmedizin mit den Verletzungen dauerte fast eine halbe Stunde.

Die Gerichtsmedizinerin sprach von einem „qualvollen Tod“. Über 300 Blutspuren waren am Tatort gefunden worden. Einige reichten bis an die Decke.

Wie haben sich die beiden Angeklagten vor Gericht verhalten?

Auf der Anklagebank trennen Sebastian F. und Xenia I. nur wenige Meter - eines Blickes würdigten sie sich nie. F. schweigt fast immer. Nur einmal hat er einen emotionalen Ausbruch: Als er einen Polizisten mit „Halt die Fresse, Junge!“ beschimpft.

Xenia I. äußerte sich nach ihrem Teilgeständnis nicht mehr. Gesprochen haben beide aber mit dem psychiatrischen Gutachter Bernd Langer. Er attestiert Sebastian F. eine schwere Persönlichkeitsstörung:  Er sei stark narzisstisch, dominant, zeige ein übersteigertes Darstellungsbedürfnis, den Hang zu pathologischem Lügen und exzessive Sexualität.  

„Er ist ein außergewöhnlich empathieloser Mensch“, meint der Gutachter. Er machte auch deutlich, dass Sebastian F.s Lebensweg früh problematisch wurde.

Schon als Kleinkind wurde er auffällig, biss, kratzte und schlug andere Kinder. Er bekam die Diagnose ADHS. Sein Vater soll ihn verprügelt haben, es wurde von einem älteren Schüler missbraucht, mit 14 soll er selbst einen Halbbruder missbraucht haben. 

Mehrmals wurde er psychiatrisch behandelt. Sebastian F. stand  wegen zahlreicher Straftaten unter Verdacht, auch Brandstiftungen waren darunter. Von Xenia I. zeichnete der Gutachter das Bild einer traumatisierten jungen Frau, die von der eigenen Minderwertigkeit und Schwäche überzeugt ist.

Eine Bedürftige auf der Suche nach Liebe, mit extremer Verlustangst. Sie soll Sebastian F. regelrecht hörig gewesen sein. Drei Kinder hatte sie geboren, zwei von Sebastian F. Eines davon starb wenige Monate nach der Geburt. Erst in der Haft fand Xenia I. Abstand und trennte sich von Sebastian F.

Welche Fragen sind offen?

Die Tatbeteiligung von Sebastian F. scheint klar - welchen Anteil seine Freundin hatte, ist fraglich. Xenia I.  hat in ihrem Geständnis ihre Rolle stark relativiert. 

Stimmt ihre Aussage, muss man nicht von einem Mörder-Duo sprechen, sondern von einem Täter und seiner willigen Helferin. Sie hat Yangjie Li in die Falle gelockt, war an der Vergewaltigung beteiligt, hat F. nicht gestoppt und  ihn gedeckt.

Der einzige, der außer ihr Auskunft zum Tatablauf geben könnte, ist Sebastian F. - doch der schweigt. Deshalb ist auch offen,  ob Yangjie Li zur falschen Zeit am falschen Ort war oder gezielt in die Falle gelockt wurde.

Auf dem Computer von Sebastian F. wurde Porno-Material gefunden, in dem Gewalt und Asiatinnen eine Rolle spielen. Außerdem wohnte das Paar keine 100 Meter von Yangjie Li, die fast täglich am Haus vorbei joggte.

Welche Strafe könnte das Gericht verhängen?

Psychiater Langer hält beide Angeklagte für voll schuldfähig. Sie waren zum Tatzeitpunkt 20 Jahre, damit ist Jugendstrafrecht anwendbar. Maximal 15 Jahre Haft stehen darin auf Mord.

Vor Gericht hat der Psychiater das Jugendstrafrecht für Xenia I. empfohlen; bei ihr könnten erzieherische Maßnahmen noch wirken. Bei Sebastian F. allerdings gäbe es kein Potenzial für eine positive Entwicklung: „Er ist  manifest gestört.“  

Das spricht für Erwachsenenstrafrecht.  Bei einem Schuldspruch kommt als Höchststrafe lebenslang in Betracht. Frühestens nach 15 Jahren kann man dabei einen Antrag auf Entlassung stellen. Dann muss die Gefährlichkeit geprüft werden. Eine etwaige Sicherungsverwahrung spielte während der Verhandlung keine Rolle. (mz)