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5.000 Rechtsextreme erwartet 5.000 Rechtsextreme in Themar erwartet: Wie sich ein Ort in Thüringen gegen ein Festival wehrt

12.07.2017, 15:21
Ein Plakat wird in Themar (Thüringen) an an einem Mast befestigt. Am 15.07.2017 soll in Themar das vielleicht größte Rechtsrock-Konzert in Deutschland 2017 stattfinden.
Ein Plakat wird in Themar (Thüringen) an an einem Mast befestigt. Am 15.07.2017 soll in Themar das vielleicht größte Rechtsrock-Konzert in Deutschland 2017 stattfinden. dpa-Zentralbild

Themar/Weimar - Die Veranstalter des Rechtsrock-Festivals in Südthüringen haben im Streit um den Versammlungscharakter ihres Konzerts auch in zweiter Instanz gewonnen. Das Konzert gilt nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Weimar vom Mittwoch weiter als Versammlung und steht damit unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes.

Das OVG bestätigte damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Meiningen, gegen die das Landratsamt Hildburghausen Beschwerde eingelegt hatte. Eine Begründung des Urteils kündigte das Gericht bis Donnerstag an.

Das für Samstag in Themar angemeldete Festival, bei dem auch mehrere Redner aus der Neonazi-Szene auftreten sollen, hat damit allerdings noch nicht alle rechtlichen Hürden überwunden. Derzeit ist ein weiteres Verfahren gegen die Veranstaltung vor dem Amtsgericht Hildburghausen anhängig. Der Thüringer Verfassungsschutz erwartet mehr als 5000 Rechtsextreme in Themar.

Rechtsrock-Festival in Themar: Gericht bewertet Veranstaltung als kommerzielle Veranstaltung

Das Landratsamt hatte das Konzert nicht als politische Versammlung, sondern wegen des erhobenen Eintritts als kommerzielle Veranstaltung gewertet. Dagegen hatte der Veranstalter erfolgreich beim Verwaltungsgericht geklagt. Die Beschwerde des Landratsamts gegen diese Entscheidung blieb nun erfolglos. Für kommerzielle Veranstaltungen könnten wesentlich einfacher Auflagen gemacht werden.

Der stellvertretende Landrat Helge Hoffmann wollte sich am Mittwoch zunächst nicht zu der Entscheidung des OVG äußern, sondern die Begründung des Urteils abwarten. Das Verwaltungsgericht Meiningen hatte zuvor von einer „gemischten Versammlung“ gesprochen, die sowohl Elemente der öffentlichen Meinungsbildung als auch der bloßen Unterhaltung enthalte. Das Versammlungsrecht überwiege jedoch.

Derzeit beschäftigt sich noch ein anderes Gericht mit dem Rechtsrock-Festival. Ein Landwirtschaftsbetrieb hat am Dienstag einstweilige Verfügungen gegen das Konzert beim Amtsgericht Hildburghausen eingereicht, weil es auf einer Wiese veranstaltet wird, für die er einen Pachtvertrag habe. Eine Entscheidung des Gerichts wird am Freitag erwartet.

In Thüringen steigt die Zahl der Nazi-Konzerte

Rechtsextreme Musikveranstaltungen haben im Freistaat ein Zuhause wie in keinem anderen Bundesland. „Während die Anzahl der Nazi-Konzerte überall stagniert oder zurückgeht, steigt sie in Thüringen weiterhin an“, sagt Rechtsrock-Experte Jan Raabe, der bereits mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht hat.

Wie hält eine Kleinstadt mit knapp 3000 Einwohnern das aus? Und warum ist Thüringen bei den Rechtsextremen so beliebt? Raabe nennt vor allem strukturelle Gründe. Thüringen sei nicht nur von allen Seiten gut erreichbar. Die Rechtsextremen seien hier zudem gut aufgestellt und hätten viel Erfahrung mit derlei Veranstaltungen.

Auch Janine Patz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration an der Schiller-Universität in Jena, verweist auf die lange Historie rechter Konzerte im Freistaat. Hier seien schon zur Jahrtausendwende große Festivals veranstaltet worden. „Das ist eine gewachsene Struktur und kam nicht über Nacht.“

Rechtsrock-Konzerte: Was passiert mit den Einnahmen?

Wie konnte diese Struktur wachsen? Die Behörden hätten ihren Ermessensspielraum in den vergangenen Jahren nicht ausgereizt und es den Nazis zu leicht gemacht, sagt Patz. Die Sicherheitsbehörden müssten im Vorfeld beispielsweise genauer schauen, wer hinter den Veranstaltungen steht. „Sind das vielleicht sogar verbotene Strukturen?“ Dann dürfe das Konzert nicht stattfinden. Andernfalls könnten Ordnungsämter strengere Auflagen erteilen.

Zudem müsse das Finanzamt genauer verfolgen, was mit den Einnahmen der Konzerte geschieht und es müsse geprüft werden, ob die Auftritte jugendgefährdend sind. Die Polizei müsse während der Veranstaltungen strenger kontrollieren, ob die Auflagen eingehalten und ob strafrechtliche relevante Inhalte transportiert werden.

Ähnlich äußern sich auch Vertreter der Thüringer Linken und der Grünen. „Wir haben es den Nazis an vielen Stellen zu einfach gemacht und sie gewähren lassen“, sagt Madeleine Henfling, Grünen-Sprecherin für Rechtsextremismus.

Gleichzeitig verweisen alle auf den Stellenwert eines bürgerlichen Engagements. Katharina König-Preuss (Linke): „Es gab in den letzten Jahren einfach zu wenig Protest und Widerstand gegen diese fast schon alltäglich gewordenen Konzerte.“

Themar hat Gegenveranstaltungen angemeldet

Die drei bundesweit größten, rechten Musikveranstaltungen im vergangenen Jahr waren Raabe zufolge in Thüringen. Laut Innenministerium hat 2016 rund ein Fünftel der bundesweit 68 rechtsextremistischen Konzerte im Freistaat stattgefunden. Festivals wie das in Themar fallen allerdings nicht darunter, weil sie aufgrund ihrer Redebeitrage als Versammlung gelten.

Themar versucht derweil, seinen Ruf zu wahren. Bis Dienstag waren nach Polizeiangaben bereits neun Gegenveranstaltungen angemeldet, die Stadt selbst organisiert ein Marktfest. „Wir werden den Rechtsextremen die Stadt nicht überlassen!“, kündigt das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit aus dem benachbarten Kloster Veßra an.

An den Protesten beteiligt sich auch Barbara Morgenroth. Die 68-Jährige spricht von einer Aufbruchstimmung in der Stadt. Der ganze Ort solle mit Bannern plakatiert werden, damit die Rechten sich nicht wohlfühlen. „Die sollen sich verdünnisieren.“

Auch der parteilose Bürgermeister Hubert Böse beteiligt sich daran. „Ich finde es einfach widerlich“, sagt er. „Wir sind quasi in die Rolle gedrängt worden und müssen jetzt sehen, wie wir damit umgehen.“ Böse beschreibt die Stimmung in der Stadt als „gespannt und bedrückt“. Es gebe auch Angst vor gewaltbereiten Neonazis.

„Das ist auch politisch ein Event für alle in der Naziszene“

Kein Wunder, kommen am Samstag doch die musikalischen Schwergewichte der Szene in der kleinen Stadt zusammen. Außerdem sind Redner aller wichtigen Organisationen des Neonazismus angekündigt, wie Raabe sagt. Dies sei ungewöhnlich für eine eher als zerstritten geltende Szene. „Das ist kein Spartenevent, sondern das ist auch politisch ein Event für alle in der Naziszene.“

Die letzte Hoffnung der Menschen in Themar hängt an Gerichten. Ein Landwirtschaftsbetrieb hat am Dienstag einstweilige Verfügungen gegen das Konzert beim Amtsgericht Hildburghausen eingereicht, weil es auf einer Wiese über die Bühne geht, für die es einen Pachtvertrag habe. Außerdem ist eine Beschwerde des Landratsamts Hildburghausen beim Oberverwaltungsgericht gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Meiningen anhängig. Dieses sieht das Konzert als politische Versammlung. Das Landratsamt hatte zuvor anders entschieden und es als kommerzielle Veranstaltung gewertet.

Eine Absage oder höhere und damit teurere Auflagen wären für die Szene ein harter Schlag. Bei einem Kartenpreis von 35 Euro habe eine Veranstaltung wie die in Themar auch finanziell eine große Bedeutung, sagt Raabe. (dpa)