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Leipziger Industrietage Leipziger Industrietage: Künstler verwandeln Zeitzer Nudelfabrik

Von Sebastian Münster 15.07.2017, 09:00
Will Kunst in die „Nudel“ bringen: Pim Palsgraaf aus Rotterdam.
Will Kunst in die „Nudel“ bringen: Pim Palsgraaf aus Rotterdam. Hartmut Krimmer

Zeitz/Rotterdam - Was für Außenstehende nicht mehr viel wert ist, ist für Pim Palsgraaf ein Abenteuerspielplatz. Der Niederländer aus Rotterdam ist Teil eines Künstlerkollektivs, welches sich derzeit heimisch in der ehemaligen Zeitzer Nudelfabrik an der Paul-Rohland-Straße einrichtet.

Am Montagabend ist die Gruppe aus Rotterdam und Berlin angereist. Auf Einladung des Heidelberger Investors Matthias Mahnke, der die Brache gekauft hat, werden sie den leerstehenden Industriebau samt Areal in eine Ausstellung verwandeln.

Leerstehende Nudelfabrik in Zeitz wird dank Künstlern zum Ausstellungsort

Bereits seit 2012 nutzt der Künstler alte Industriepaläste in Leipzig für ausgefallene Kunstinstallationen. Was Anfangs im rechtlichen Graubereich ohne Wissen der Eigentümer geschah, ist mittlerweile ein jährlich stattfindendes Kunstprojekt mit Festivalcharakter. In diesem Jahr soll die „Nudel“ der Schauplatz werden für „If Paradise Is Half As Nice“ (deutsch: Wenn das Paradies nur halb so schön ist).

„Wir suchen uns Gebäude mit Charakter aus“, so Palsgraaf, der mit seinen Künstlerkollegen erstmals im Februar in Zeitz gewesen ist. Fünf Wochen spartanisches Leben stehen der Gruppe bevor. Denn die Künstler werden nicht nur in dem Gebäude arbeiten, sondern auch wohnen. „Das ist schon ziemlich hart“, gibt Pim Palsgraaf zu.

Nur der nötigste Komfort ist vorhanden. Derzeit bauen Handwerker eine Küche ins Erdgeschoss des Gebäudes. In einem Seitenbau räumen die Künstler den gröbsten Dreck und Staub beiseite, um den Raum als Schlafplatz zu nutzen. Im Innenhof wurden Toiletten aufgestellt. Der Zugang zu dem Areal wurde aus Sicherheitsgründen mit Bauzäunen abgesperrt.

Tage der Industriekultur Leipzig: Für den Umbau der Nudelfabrik in Zeitz bleibt nur wenig Zeit

Am Freitagabend, dem 11. August, wird die Nudelfabrik für Besucher öffnen. Ein Wochenende lang soll das Gebäude im Rahmen der fünften Tage der Industriekultur Leipzig dann für Besucher geöffnet sein. Für die geplante Verwandlung haben Pim Palsgraaf und seine Künstlerkollegen knapp fünf Wochen Zeit. „Das ist schon recht eng“, sagt er.

Knapp 10.000 Quadratmeter Fläche bietet die Nudelfabrik. Diese wollen die Künstler aber nicht mit irgendetwas füllen. „Das Gebäude ist der Kurator der Ausstellung“, erklärt Palsgraaf. „Denn die Räume, die Gegenstände und die Architektur bestimmen, was wir daraus machen.“ Konkret heißt das: Praktisch alles, was herumliegt, wollen die neuen Bewohner der Nudel nutzen: Für Skulpturen, Malerei oder auch Installationen. „Natürlich werden wir das Gebäude aber nicht beschädigen“, so Palsgraaf.

Zeitz wird anlässlich der Tage der Industriekultur Leipzig ein eigenes Programm auf die Beine stellen, welches in einem Programmheft gebündelt werden soll.

Mit Werksführungen beteiligen sich an dem Augustwochenende die ZGG Zeitzer Guss GmbH und die Südzucker AG. Ohnehin geöffnet ist die Brikettfabrik Herrmannschacht.

Gäste, die am 11. August mit den Regionalzügen der Erfurter Bahn anreisen, können außerdem in Profen Halt machen. Dort findet von 11 bis 14.30 Uhr eine Befahrung des Braunkohletagebaus mit Bussen der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft statt.

Im Zeitzer Bahnhof beginnt am 11. August, 17 Uhr, eine Ausstellung zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Gebäudes.  (smu)

„Im vergangenen Jahr in Leipzig hatten wir knapp 1.000 Besucher“, berichtet Palsgraaf. Ob das Resultat ihrer Arbeit auch nach dem Ausstellungswochenende stehen bleiben wird, weiß die Gruppe nicht.

Tage der Industriekultur Leipzig: Auch die Geschichte der „Nudel“ wird aufgearbeitet

Für ihr Vorhaben hoffen die Künstler auch auf die Zeitzer: Denn um Materialien und ihre Arbeit finanzieren zu können, suchen sie nach Geldgebern. Wer besonders spendabel ist, dem winken gar künstlerische Einzelstücke, die während der kommenden Wochen entstehen. Und auch die Geschichte der „Nudel“ soll im Rahmen des Projekts aufgearbeitet werden.

Dafür sucht der Rotterdamer Guus Vreeburg nach Bildern, Dokumenten und auch Zeitzeugen. Der Architektur- und Kunsthistoriker plant einen Bildvortrag, der auch die Vergangenheit der Fabrik als „Erste und älteste Zeitzer Fabrik für Kindernährzwieback und Teigwaren“ zum Leben erweckt. Und auch die Jahre als volkseigener Betrieb will Vreeburg erforschen, um seine Ergebnisse spätestens am 11. bis 13. August vorzustellen. „Das geht am besten mit den Geschichten der Menschen“, so der Historiker.

Nudelfabrik in Zeitz:  58 Stunden Arbeitszeit je Woche waren früher die Regel

Für sein Vorhaben hat Vreeburg bereits Archive genutzt und Dokumente gewälzt. Rund 150 Mitarbeiter hatte die Fabrik alten Unterlagen zufolge vor dem Ersten Weltkrieg. 58 Stunden Arbeitszeit je Woche waren die Regel. Bemerkenswert an der Nudelfabrik ist aus Sicht des Experten die schiere Größe des 1909 in einem Stück gebauten Industriekomplexes. „10.000 Quadratmeter waren für das damalige Zeitz sehr viel“, attestiert Vreeburg. „Mich interessieren die Hintergründe der Eigentümer. Wer war die Familie Emmerling? Woher hatten sie das Geld für derart große Investitionen? Womöglich gibt es noch heute Nachfahren?“

››Mehr Informationen zu Inhalt und Finanzierung des Kunstprojekts „If Paradise Is Half As Nice“ gibt es im Internet unter www.ipihan.com. Wer Guus Vreeburg Informationen oder Dokumente zur Nudelfabrik zukommen lassen will, erreicht ihn telefonisch unter 00316 4720 4750. (mz)