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Schutz vor ElternSchutz vor Eltern: Jugendamt im Saalekreis nahm mehr als 200 Kinder in Obhut

Von Robert Briest 04.07.2017, 13:29

Merseburg - Die Zahl klingt alarmierend: 223 Kinder und Jugendliche hat das Jugendamt des Saalekreises 2016 in Obhut genommen. Das sind fast viermal so viele wie im langjährigen Durchschnitt. Damit liegt der Saalekreis auch deutlich über dem Gesamttrend für Sachsen-Anhalt, in dem die Inobhutnahmen um knapp 60 Prozent im Vergleich zu 2015 gestiegen sind.

Im Gespräch mit Monika Schröpfer relativiert sich die Zahl jedoch schnell. Die Sachgebietsleiterin Sozialer Dienst im Jugendamt erklärt: In 170 Fällen habe es sich um unbegleitete minderjährige Ausländer gehandelt - in der Verwaltung Umas genannt -, also Kinder und Jugendliche, die zumeist als Flüchtlinge ohne Eltern in den Kreis gekommen waren und um die sich deshalb das Jugendamt kümmern musste.

Wann das Jugendamt Kinder in Obhut nimmt

Die Zahl der deutschen Kinder, die in Obhut genommen wurden, lag somit mit 53 im vergangenen Jahr sogar unter dem Langzeitdurchschnitt von 67. Neben den Umas gibt es zwei Hauptgründe, warum das Jugendamt zu dieser vorübergehenden Schutzmaßnahme greift, erklärt Schöpfert: „Wenn das Kind selbst darum bittet und wenn dringende Gefahr für das Wohl des Kindes besteht.“

Der zweite Fall ist häufiger. In der Regel geht dann beim Jugendamt ein Hinweis ein. Der komme aus der Schule, von Nachbarn oder auch anonym. „Wir sind verpflichtet, jeden Hinweis zu prüfen.“

Inobhutnahmen: Kein Interesse, Eltern und Kinder zu trennen

Das führe nicht zwangsläufig zur temporären Betreuung durch das Jugendamt. „Es muss einen berechtigten Grund geben, um Kinder von ihren Eltern zu trennen. Denn da gehören sie hin. Deshalb ist das Ziel auch, sie schnellstmöglich zu ihren Eltern zurückzubringen“, betont Schröpfer, schränkt jedoch ein: „Es gibt immer Einzelfälle, wo das nicht gelingt.“

Die Dauer der Inobhutnahmen kann von einigen Stunden - wenn etwa eine Kita anruft, ein Kind sei nicht abgeholt worden - bis zu mehreren Monaten reichen. Wo die Betroffenen diese Zeit verbringen, sei sehr unterschiedlich, erklärt die Jugendamtsmitarbeiterin. Möglichkeiten seien etwa Verwandte, Heime oder Bereitschaftspflegefamilien. Das sei immer vom Einzelfall abhängig.

Inobhutnahme von Kindern: Eltern können widersprechen

Bei kleineren Kindern ist der Aufenthalt in Pflegefamilien auf drei Monate begrenzt. In dieser Zeit hätten die Eltern meist Gelegenheit, die Vorgaben der Behörde zu erfüllen, sagt Schröpfer: „Wenn Eltern nicht mitmachen wollen oder können, dann müssen wir das Familiengericht anrufen.“ Dieses entscheidet gegebenenfalls, ob das Sorgerecht eingeschränkt oder ihnen ganz entzogen wird.

Die Richter können aber auch schon früher involviert werden, nämlich dann, wenn die Eltern der Inobhutnahme widersprechen. Gegen den erklärten Willen der Sorgeberechtigten darf ihnen das Jugendamt die Kinder sonst nur für 24 Stunden entziehen.

Anders verhält es sich mit den Umas, die früher eher Sonderfälle waren, wie Schröpfer berichtet: Ein, zwei unbegleitete Ausländer seien es pro Jahr gewesen. Dass es im vergangenen Jahr deutlich mehr waren, stellte den Kreis vor große Herausforderungen. Neue Einrichtungen mussten geschaffen werden, doch selbst die reichten nicht: „Wir haben unsere Umas in ganz Deutschland verteilt, weil wir keine Plätze hatten.“ Die jungen Flüchtlinge leben in der Regel in Heimen. Schröpfer sagt, es sei nicht gelungen, sie in Pflegefamilien unterzubringen.

Inobhutnahme im Saalekreis: Dem Jugendamt fehlen Mitarbeiter

In diesem Jahr ist die Zahl der Umas deutlich zurückgegangen. Die große Unbekannte für das Jugendamt ist, ob das so bleibt. Für die Planung der Kapazitäten und des Personals sei das schwierig, erzählt Schröpfer, deren Abteilung ohnehin Personalsorgen habe, weil befristete Kräfte gegangen seien: „Die Arbeit ist zwar weniger geworden, aber auch die Zahl der Mitarbeiter. Wir haben zu viele Fälle, um sie entsprechend unserer Qualitätsansprüche zu bearbeiten.“ Die Sachgebietsleiterin hat jedoch Hoffnung, dass sich dies bald ändern könnte. Es laufe derzeit in der Verwaltung eine Bedarfsprüfung. (mz)