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Kampf im Einzelhandel  Kampf im Einzelhandel : Zusammenarbeiten oder zusammen untergehen

Von Harald Vopel 03.07.2017, 10:09
Für den Stadtplaner eine optische Katastrophe: Der Parkplatz Vorderbreite/Hinterbreite als Tor zur Innenstadt.
Für den Stadtplaner eine optische Katastrophe: Der Parkplatz Vorderbreite/Hinterbreite als Tor zur Innenstadt. Frank Gehrmann

Aschersleben - Sich als Team verstehen und zusammenarbeiten - oder untergehen. Klingt einigermaßen drastisch, ist aber die klare Empfehlung des renommierten Architekten und Stadtplaners Wolfgang Christ an die Ascherslebener Einzelhändler. Aber nicht nur an die, sondern auch an die Stadt selbst.

Denn ohne Handel sterbe eine Stadt, so der Experte. Und wer wissen will, wie das dann aussieht, der könne sich ja mal in einigen englischen Städten umsehen, in deren Zentren es schon jetzt kein einziges Ladengeschäft mehr gebe.

Wolfgang Christ war rund 20 Jahre Professor an der Bauhaus-Universität in Weimar und hat sich unter anderem mit der Stadtplanung - und in diesem Zusammenhang mit dem Handel - beschäftigt. Für ihn unverständlich, dass es bis heute an keiner einzigen Universität in Deutschland einen Lehrstuhl für Handel gibt.

Kein Patentrezept aber fundierte Ideen gibt es

Jetzt stellte der Experte vor vollem Haus im Grauen Hof in Aschersleben seine „Analoge Agenda Aschersleben - Stadt und Handel im digitalen Wandel“ vor. Vorausgegangen war vor mehreren Wochen ein Besuch in Aschersleben, bei dem Christ im Auftrag der Ascherslebener Kaufmannsgilde die Innenstadt unter die Lupe genommen hatte.

Patentrezepte für die Zukunft der Ascherslebener Innenstadt waren zwar nicht zu erwarten. Wissenschaftlich fundierte Ideen und Anregungen dagegen schon. Und in dieser Sache hat Wolfgang Christ umfänglich geliefert.

Schlummerndes Potenzial muss geweckt werden

Die gute Nachricht zuerst: Aschersleben besitzt nach Christs Meinung im Vergleich zu anderen Städten eine enorm gute Infrastruktur und jede Menge Potenzial, um die analogen Herausforderungen im digitalen Zeitalter zu meistern.

Die weniger gute Nachricht: Wird das schlummernde Potenzial nicht wachgeküsst, bestehe die Gefahr, dass beim Einzelhandel peu à peu die Lichter ausgehen.

So sei die Online-Konkurrenz für den innerstädtischen Handel inzwischen ungleich größer als die Herausforderungen der Vergangenheit wie Einkaufspassagen, Warenhäuser oder Einkaufsparks auf der grünen Wiese.

Und eins spricht Christ auch aus: „Ohne Geld, Zeit und Engagement wird es nicht gehen.“

Direkt an die Einzelhändler gewandt: „Stellen Sie Ihre Konzepte immer wieder komplett auf den Prüfstand. Seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst - auch wenn’s manchmal wehtut. Vielleicht eröffnen sich dabei sogar völlig neue Geschäftsideen.“

Warenpräsentation vor dem Geschäft sinnlos

Und konkrete Tipps gab’s auch: So hält Wolfgang Christ beispielsweise die Warenpräsentation vor dem Geschäft - im öffentlichen Raum - für einigermaßen sinnlos. Vielmehr solle es darum gehen, die Kunden in die Läden zu locken.

In Läden, in denen mehr als nur das eigentliche Warensortiment angeboten wird, in denen der Kunde überrascht und neugierig gemacht werde.

Einen größeren Teil seiner Agenda widmete Christ dem Ambiente der Innenstadt - als für ihn ganz wichtiges Element eines auch künftig funktionieren Handels. Dabei sei für ihn die Stadt in ihrer Vielfalt und Schönheit selbst das eigentliche Werbekapital.

Zwang nach Veränderungen muss es geben

Deshalb empfiehlt er: „Die Kaufmannsgilde sollte die Mischung aus Altstadtgassen und -plätzen, Baukultur, Gartenkultur, Parklandschaften, Museen, Sport-, Kunst- und Kultureinrichtungen bis hin zum Zoo in ein Handelskonzept mit der Stadt als ‚Hauptdarsteller‘ einbringen.“

Und weiter: „Die Stadt ist so vielfältig aufgestellt, dass damit auch ein permanentes Problem des Einzelhandels angegangen werden könnte - nämlich der Zwang nach ständiger Veränderung, nach immer neuen Anreizen zu einem Ladenbesuch.“

Innerstädtischer Parkplatz ist eine einzige Katastrophe

Dem Stadtplaner und Handelsexperten sind bei seiner Stadtbesichtigung aber auch Ecken und Kanten aufgefallen, die es in sich haben. So bezeichnet Christ als Besucher der Stadt den innerstädtischen Parkplatz Vorderbreite/Hinterbreite in seinem jetzigen Zustand als einzige Katastrophe. Das sei jedenfalls alles andere als ein einladender Eingang zu einer Innenstadt.

„Da möchte man am liebsten gleich wieder ins Auto steigen“, provozierte Christ in der Runde schon mal.

Baum auf Marktplatz ist völlig sinnlos platziert

Und dann waren da auch noch vermeintliche Kleinigkeiten, die beim Stadtplaner Fragen aufwerfen: Zum Beispiel, wer auf die Idee gekommen sei, einen Baum auf dem Holzmarkt so sinnlos zu platzieren, wie er dort steht, oder warum am Eingang von der Breiten Straße zur Krügerbrücke zwei Papierkörbe mindestens genauso sinnlos aufgestellt wurden.

Ohne das Internet werde der analoge Einzelhandel in Zukunft auch nicht überleben können. Aber auch hier plädiert Wolfgang Christ für Gemeinsamkeit statt verbissenen Konkurrenzkampfes.

Es gehe darum, analoge Potenziale im Netz erfahrbar zu machen. Christ gibt dieser Idee den Namen „Nettwerk Aschersleben“ als gemeinsamen Auftritt der Ascherslebener Gewerbetreibenden mit dem Fokus auf Dialog, Service und Community. „Nur keine platte Werbeplattform.“ (mz)