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Richterin beeinflusst?  Schwere Vorwürfe gegen Justiz-Staatssekretär Hubert Böning aus Sachsen-Anhalt

Von Kai Gauselmann 17.06.2017, 09:00
Sachsen-Anhalts Justizstaatssekretär Hubert Böning (CDU) soll gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen haben.
Sachsen-Anhalts Justizstaatssekretär Hubert Böning (CDU) soll gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen haben. dpa

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalts Justizstaatssekretär  Hubert Böning (CDU) soll gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen haben. Nach MZ-Informationen wurde gegen ihn eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Der 57-jährige politische Spitzenbeamte steht demnach unter Verdacht, bei einer Richterin ein schnelles und eindeutiges Urteil verlangt zu haben.

Konkret wird Böning nach MZ-Informationen vorgeworfen, Ende Mai eine Richterin des Landgerichts Magdeburg  angerufen und - am Ende vergeblich - die Vorverlegung einer Berufungsverhandlung verlangt zu haben. Der frühere Richter und Oberstaatsanwalt soll das damit begründet haben, dass der Angeklagte „ein schlimmer Finger“ sei und schnell hinter Gitter müsse. Sollte der Vorwurf stimmen, dann hätte Böning ein schnelles Urteil zu Ungunsten des Angeklagten verlangt.

Die Beschwerde hat nach MZ-Informationen der Richterrat - ein Gremium aus fünf Richtern, ähnlich einem Betriebsrat - bei der Justizministerin eingereicht mit der Bitte, einen Verstoß gegen die Richterliche Unabhängigkeit zu prüfen.

Bei dem Angeklagten in besagtem Verfahren handelt es sich nach MZ-Informationen um Paul G., der aktuell vom Amtsgericht Quedlinburg zu einer Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Dagegen hat er Berufung eingelegt. Der 28-Jährige soll eine Elfjährige in Quedlinburg überfallen und leicht verletzt haben. G. hatte 2008 ebenfalls in Quedlinburg eine junge Frau vergewaltigt und mit 20 Messerstichen schwer verletzt. Er wurde nach mehrjähriger Jugendstrafe im Mai 2016 entlassen. G. ist Spross einer gewalttätigen Familie: Sein Bruder verbüßt eine lebenslange Haft. Er hatte seinen Vater erschossen, die Stiefmutter erschlagen und seinen Stiefbruder durch einen Kopfschuss schwer verletzt.

Nun sei bekannt geworden, dass der verurteilte Mann inzwischen gegenüber einer Kindertagesstätte in Quedlinburg wohne, erklärte der Sprecher des Justizministeriums, Detlef Thiel. Eltern hätten den dringenden Wunsch geäußert, dass die Berufungsverhandlung nicht erst im August stattfinde. Auf diese Unruhe habe der Staatssekretär die Richterin, die auch nicht direkt selbst mit dem Fall betraut gewesen sei, hingewiesen. „Er hat mehrfach versichert, nicht auf die richterliche Unabhängigkeit Einfluss nehmen zu wollen“, so Thiel.

Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) äußerte sich am Freitag auf Nachfrage nicht zu den Vorwürfen. „Ich bestätige den Eingang einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Staatssekretär“, sagte ihr Sprecher Detlef Thiel der MZ. „Die Ministerin äußert sich nicht zu laufenden Vorgängen, die sich gegen Personal ihres Hauses oder des Geschäftsbereichs richten“, so der Sprecher weiter.

Im Landtag wird Keding sich äußern müssen. „Wenn hier versucht wurde, in die Richterliche Unabhängigkeit einzugreifen, ist das völlig indiskutabel in einem Rechtsstaat. Dann muss es politische Konsequenzen geben“, sagte Linken-Justizexpertin Eva von Angern. Die Vizevorsitzende des Rechtsausschusses erwartet eine baldige Information: „Die Ministerin muss zügig für Aufklärung der schweren Vorwürfe sorgen.“

Die Richterliche Unabhängigkeit ist Kern der Rechtsstaatlichkeit: Richter müssen unbeeinflusst durch die Politik wirken können. Sie werden zwar durch das Ministerium eingesetzt, sind aber eigentlich nur dem Gesetz unterworfen. CDU-Mann Böning ist seit etwas mehr als einem Jahr Staatssekretär, vorher war der dreifache Vater Präsident des Landgerichts Braunschweig (Niedersachsen). Treffen die Vorwürfe gegen ihn zu, wäre das ein in Sachsen-Anhalt einmaliger Vorgang. In Sachsen musste ein Justizminister wegen ähnlicher Vorwürfe sein Amt aufgeben. Steffen Heitmann (CDU) war vorgeworfen worden, sich in laufende Verfahren eingeschaltet zu haben. (mz)