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Schussfahrt am Brocken Schussfahrt am Brocken: Warum Mountainbiker auf einer regelrechten Waffe sitzen

Von Ralf Böhme 07.06.2017, 08:00
Was kann einen echten Mountainbiker aufhalten? So gut wie nichts. Er schreckt  vor fast keinem Hindernis zurück. Im Harz sollen nun schlichte Verbotsschilder diese Spezies ausbremsen. Aber das funktioniert nur bedingt, keinesfalls aber am Brocken. Eine Lösung ist nicht in Sicht. 
Was kann einen echten Mountainbiker aufhalten? So gut wie nichts. Er schreckt  vor fast keinem Hindernis zurück. Im Harz sollen nun schlichte Verbotsschilder diese Spezies ausbremsen. Aber das funktioniert nur bedingt, keinesfalls aber am Brocken. Eine Lösung ist nicht in Sicht.  Fotolia

Thale - Raus aus dem Sattel, jetzt aber Druck auf die Pedale. Volles Tempo, dann eine Vollbremsung. Es ist ein echter Höllenritt für Mountainbiker, über Stock und Stein. Herzklopfen kostenlos auf der alten Bobbahn, eine Abkürzung nach Schierke, die Radfahrern eigentlich versperrt ist. Doch wer achtet schon auf das schmale geschnitzte Schild an der Brockenstraße. Vorbei wie im Flug, schon ist das Verbot vergessen. Für manche beginnt hier das Paradies für Mountainbiker.

Kinder und Ältere sind nach Beobachtung von Brocken-Benno besonders gefährdet

Radfahrer kommen im Harz auf ihre Kosten. Selbst die ambitioniertesten Mountainbiker finden herausfordernde Touren der höchsten Kategorie. Ein spezielles Wegenetz ist für sie ausgewiesen. Es umfasst eine Gesamtlänge von 222 Kilometern. Nur in ganz wenigen Abschnitten ist das Radeln im Gelände durch entsprechende Anordnungen der Nationalparkverwaltung untersagt. Doch das erweist sich bei näherem Hinsehen als graue Theorie. Niemand weiß es besser als Brocken-Benno, Sachsen-Anhalts berühmtester Gipfelstürmer.

Nach nunmehr fast 8.200 Wanderungen vermag der 85-Jährige, frische Profilspuren von Mountainbikes auch zwischen Steinen und Wurzeln schnell zu entdecken. „Das ist wirklich halsbrecherisch, auf was sich da manche Radfahrer einlassen - für sie selbst, aber auch für Wanderer, die nicht schnell genug aus dem Weg springen können.“ Kinder und Ältere sind nach seiner langjährigen Beobachtung besonders gefährdet. Der Grund: „So ein Mountainbiker taucht immer schnell und unerwartet auf, eine schwierige Situation für alle Beteiligten. “ Aber auch die Natur kommt vielfach nicht schadlos davon. So bemerkt Brocken-Benno erste Auswirkungen an der Alten Bobbahn. „Früher war die Strecke hier nicht so breit, nicht so ausgespült.“

Route über das Eckerloch: Hier müssen fast alle Radler aufgeben

Besser sieht es hingegen auf der Route über das Eckerloch aus: der steilste Lieblingsweg von Brocken-Benno aus Wernigerode. Ihm gibt er den Vorzug, nicht zuletzt deshalb, weil hier fast alle Radler aufgeben müssen - ob sie wollen oder nicht. Extreme Anstiege, riesige Felsbrocken und viele umgestürzte Bäume stoppen nämlich ihre Fahrt. Umso größer sei jedoch mitunter der Ärger, zu dem es beinahe täglich auf der Brockenstraße kommt.

Der Grund: Auf dem letzten Abschnitt vor dem Gipfel sind praktisch alle gleichzeitig unterwegs, hinauf und hinab. Fußgänger, Radfahrer, Kremser, Versorgungsfahrzeuge. Das bedeutet nicht nur an Wochenenden unfallträchtiges Gedränge. Auch wenn den Meteorologen zufolge der Frühsommer eine Pause macht, geht es dort oft eng zu. Wenn die Ferien beginnen, herrscht laut Brocken-Benno erfahrungsgemäß meist der größte Trubel.

Nicht selten: Handgreiflichkeiten zwischen Wanderern und Mountainbikern am Brocken

Friedhart Knolle, Sprecher der Nationalparkverwaltung, mag diese Zeit nicht. „Ich habe die große Sorge, dass es zu unliebsamen Zwischenfällen kommen könnte.“ Das liege daran, dass sich zwar 99 Prozent der Leute vernünftig verhielten, ein Prozent aber eben nicht. Mitunter komme es, und das sei nicht so selten, zu Handgreiflichkeiten zwischen Wanderern und Mountainbikern. „Was schlimmer ist, wir hatten hier schon gravierende Unfälle.“ Dann müsse die Bergwacht ausrücken oder der Rettungshubschrauber gerufen werden.

Knolle unter Hinweis auf die Folgen: „Vielen Mountainbikern ist gar nicht bewusst, dass sie auf einer Waffe sitzen.“ Wenn so ein Gerät in den Rücken eines Wanderers krache, könne das am Ende eine Querschnittslähmung bedeuten. Doch solche möglichen Folgen würden, wie sich immer wieder zeige, regelrecht ausgeblendet. Das habe er vielfach selbst erlebt, so am Goetheweg, auch am Heinrich-Heine-Weg, auf dem Teufelsstieg, in Richtung Bad Harzburg. Als unfallträchtigste Stelle sieht Knolle die untere Lage der Brockenstraße. Dort seien manche Raser auf zwei Rädern mit vielleicht 80, 90 Kilometern pro Stunde unterwegs. „Hier könnte der Landkreis einen Blitzer installieren und würde vermutlich reich werden.“

Ältere Leute reagieren langsamer, geraten umso schneller unter die Räder

Die Risiken beschränken sich Knolle zufolge jedoch nicht auf Knotenpunkte. „Gerade auf den schmalen, kuschligen Wanderwegen kann ein aggressiver Mountainbiker die Welt auf den Kopf stellen.“ Dann gelte einfach nur noch die Parole: Rette sich, wer kann. „Aber es können sich eben nicht alle retten.“ Gerade ältere Leute reagierten langsamer, gerieten umso schneller unter die Räder.

Rechtlich gesehen könnte der Nationalpark sehr einfach eingreifen und Mountainbikern das Leben durch umfassende Verbote erschweren. Jedoch ruft jede zusätzliche Einschränkung, wie ein Blick in einschlägige Internet-Foren zeigt, eine enorme Aufregung hervor. Zu den Folgen der erhitzten Debatten in der Szene gehört der häufige Diebstahl von Schildern. „Das ist mittlerweile ein finanzielles Problem für uns“, sagt Knolle. Aber nicht nur aus diesem Grund suche der Nationalpark vermehrt Kontakte in die Szene. Einer der wenigen Ansprechpartner ist die Deutsche Initiative Mountainbike. Zu ihren Sprechern in der Harz-Region gehören Jan Zander und Tino Meininger, die beispielsweise unter Mountainbikern für gegenseitiges Verständnis und Rücksichtnahme werben. Jeder müsse seinen Teil dazu beitragen, damit die schönen Trails im Nationalpark auch in Zukunft befahrbar blieben. (mz)

Der Brocken übt auf immer mehr Mountainbiker eine magische Anziehungskraft aus. Und weil die besten Wege vor der Haustür liegen, entdecken sie den Harz als ihr Revier.
Der Brocken übt auf immer mehr Mountainbiker eine magische Anziehungskraft aus. Und weil die besten Wege vor der Haustür liegen, entdecken sie den Harz als ihr Revier.
Ralf Böhme
150.000 ambitionierte Radfahrer sind jährlich unterwegs.  
150.000 ambitionierte Radfahrer sind jährlich unterwegs.  
Ralf Böhme