1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Postraub 1963 in England: Postraub 1963 in England: Die Gentlemen bitten zur Kasse

Postraub 1963 in England Postraub 1963 in England: Die Gentlemen bitten zur Kasse

07.08.2013, 13:14
Einige der insgesamt 120 Geldsäcke des Postzugraubs, bei dem die Räuber 1963 insgesamt 2,6 Millionen Pfund Sterling erbeuteten.
Einige der insgesamt 120 Geldsäcke des Postzugraubs, bei dem die Räuber 1963 insgesamt 2,6 Millionen Pfund Sterling erbeuteten. dpa Lizenz

Berlin/dpa - Es war die Nacht zum 8. August 1963. Der Postzug von Glasgow nach London stoppt in einer einsamen Gegend an einer Brücke, der Lokführer hat ein rotes Signal gesehen - eine Falle. Er wird niedergeschlagen, die Räuber koppeln Lok und zwei Waggons ab und laden unbemerkt vom Rest der Zugbesatzung 120 Säcke mit insgesamt zweieinhalb Tonnen Bargeld ab. Der spektakuläre Überfall gilt als Jahrhundertraub, schließlich erbeuteten die Ganoven nach heutigem Wert umgerechnet 46 Millionen Euro. Mit der Fahndung nach den Tätern ist die Polizei Jahrzehnte beschäftigt.

Der bekannteste von ihnen ist Ronnie Biggs. 36 Jahre lang spielte er Katz und Maus mit Scotland Yard. Am Donnerstag, dem 50. Jahrestag des Postraubs, feiert Biggs seinen 84. Geburtstag. Er ist ein Pflegefall, sitzt im Rollstuhl, kann nicht mehr sprechen und sich nur noch mithilfe einer Schreibtafel mitteilen. Doch Reue zeigt er noch immer nicht.

„Wenn Sie mich fragen, ob ich bedauere, einer der Zugräuber zu sein, dann lautet meine Antwort 'nein'“, teilt Biggs mit. „Ich bin sogar stolz darauf, einer von ihnen gewesen zu sein. Was zählt, ist, dass ich in jener Nacht im August dabei gewesen bin. Ich bin einer der wenigen Zeugen dieses Jahrhundertverbrechens.“ Leid tue ihm lediglich, dass der Zugführer Jack Mills verletzt worden sei. Mills erholte sich nie wieder von seinen Kopfverletzungen und starb sieben Jahre nach dem Überfall.
Außerdem bedauere er, dass die Familien der Räuber unter der Tat gelitten hätten, lässt Bigs wissen. „Alle haben einen Preis für unsere Beteiligung an dem Raub bezahlt.“

Nach dem Überfall zogen sich die Räuber auf einen Bauernhof zurück. Doch die Polizei kam ihnen, dank des Tipps eines Nachbarn, bald auf die Spur. Neun der 16 Täter werden 1964 zu je 30 Jahren Gefängnis verurteilt, kaum einer sitzt die gesamte Strafe ab. Biggs jedoch flieht nach 15 Monaten im Londoner Wandsworth-Gefängnis auf einem Möbellastwagen.

Erste Station seiner Flucht ist Frankreich. Dort lässt er sich von einem Schönheitschirurgen ein neues Gesicht verpassen. Als ihm Scotland Yard dicht auf die Fersen kommt, setzt er sich nach Australien ab, schafft es anschließend nach Südamerika, schlägt sich durch den Dschungel bis nach Argentinien durch. Ab 1970 lebt er in Brasilien mit vom Postraub gut gefüllten Taschen als Playboy; ein Kind mit einer Brasilianerin schützt ihn vor der Auslieferung.

Pünktlich zum Jahrestag des großen Postzugraubs, kam es am 08. August 2005 zum lukrativste Einbruch der südamerikanischen Geschichte. Auch hier wurde wieder ein Tunnel gebaut. Und der versetzte die Ermittler in Staunen: Die Ganoven hatten einen 80 Meter langen Tunnel gegraben, mit sauber verlegter Beleuchtung und Entlüftungssystem. Damit nicht genug: Es gelang den Dieben, die zwei Meter dicke Betonmauer zum Tresorraum zu durchbrechen, die Sicherheits-Stahlnetze zu überwinden und die hochmodernen Alarmanlagen auszuschalten. Das alles ohne Waffen, Sprengstoff, Gewalt.

Ausgangspunkt für die Aktion war ein Gartenbaugeschäft der Bande – so konnte auch unverdächtig mit Spaten gearbeitet und Erde abtransportiert werden. Insgesamt wurden dabei 3,5 Tonnen nicht registrierte Banknoten im Wert von 55 Millionen Euro gestohlen. Zwischen 2008 und 2010 wurden schließlich alle Haupttäter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Großteil des geraubten Geldes ist jedoch weiterhin verschwunden.

Am 18. März erregte ein großer Kunstraub internationales Aufsehen, der bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist. Im Isabella Stewart Gardner Museum in Bosten erbeuteten zwei Männer 13 Gemälde, die insgesamt über 200 Millionen Euro wert sind. Vom FBI wird der Coup deshalb auf der Liste der Top Ten der Kunstverbrechen geführt.

Die beiden Männer waren bei ihrem Einbruch als Polizisten verkleidet und stahlen Bilder von Jan Vermeer und drei Gemälde Rembrandt van Rijns. Die Gemälde konnten bislang nicht wieder aufgefunden werden. Als Ausdruck des Stifterwillens der Stifterin, wonach keine Kunstwerke aus dem Museum entfernt oder in der Hängung verändert werden dürfen, hängen die leeren Rahmen immer noch an Ort und Stelle.

Nach 23 Jahren gab das FBI im März 2013 zwar bekannt, die Räuber identifiziert zu haben, doch von den Gemälden fehlt weiterhin jede Spur.

Zum Abschluss ein kleines Kuriosum aus dem Umland. Dieben geht es offenbar nicht immer um Geld, Diamanten oder teure Gemälde: Einige wohl eher physikalisch interessierte Diebe im thüringischen Weida hatten es auf eines der wenigen Urmeter abgesehen. Von der Maßverkörperung, die weltweit in 30 durchnummerierten Kopien verteilt wurde, besitzt Deutschland das Exemplar Nr. 18.

Während einer Ausstellung auf der Osterburg verschaften sich die Diebe über die Rückfront und den Burggarten Zugang. Mit einer Leiter kletterten sie die Burgmauern bis zu den Ausstellungsräumen hoch, wo sie ein Metallgitter aufbrachen und den begehrter Meter entwendeten. Wie sich anschließend herausstellte, war der vermeintliche Urmeter allerdings nur eine Stahlkopie. Das echte Exemplar Nummer 18, das aus einer Platin-Iridium-Legierung besteht, liegt weiterhin bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig.

Immerhin 100 000 Euro wäre jedoch der echte metallene "Knüppel" wert gewesen – vom ideellen Wert ganz abgesehen.

In Erinnerung an den Fall vor 50 Jahren, der durch die neuen Massenmedien noch angetrieben wurde, zeigte Arte Carl-Ludwig Rettingers zweiteiliges Doku-Drama „Die Gentlemen baten zur Kasse“. Der Mix aus Original-Nachrichtenbildern, Fernsehszenen mit reizvoller 60er-Jahre-Patina, Familienaufnahmen sowie aktuellen Recherchen und alten und neuen Interviews quasi mit Räubern und Gendarmen vermag über seine 160 Minuten lang zu fesseln. Obwohl der in Brasilien verarmte Ronald Biggs (83) bei uns populärer ist, rückt Rettinger Bandenchef Bruce Reynolds in den Mittelpunkt - die Tappert-Figur der deutschen TV-Version, in der aus rechtlichen Gründen alle Fantasienamen trugen. „Das ist mein Eldorado - das große Ding, das unsere Zukunft sichern wird“ - der Gedanke habe ihn motiviert, sagt der kurz darauf mit 81 Jahren gestorbene Reynolds im Film. Nach spät erfolgter zehnjähriger Haft war er zum - allerdings finanziell erfolglosen - Autor, Schauspieler und Medienliebling aufgestiegen.

Das Haus des prominenten Posträubers Biggs in den Hügeln von Rio de Janeiro war im Laufe der Jahre zur Attraktion für britische Touristen aufgestiegen, mit denen er sich - gegen Bezahlung - fotografieren lässt. Erst 2001 gibt er das Versteckspiel auf. Krank und finanziell am Ende kehrt er nach Großbritannien zurück und stellt sich. 2009 schließlich wird er begnadigt. Heute lebt er in einem Londoner Pflegeheim. Der Postraub beschäftigt ihn bis heute: Zuletzt arbeitete er mit an einem neuen Buch über den legendären Überfall.

Der englische Posträuber Ronald Biggs wird nach seiner Urteilsverkündung am 15. April 1964 in London von einem Polizisten abgeführt
Der englische Posträuber Ronald Biggs wird nach seiner Urteilsverkündung am 15. April 1964 in London von einem Polizisten abgeführt
dpa Lizenz