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Bundestagswahl Studie aus Halle zur Bundestagswahl: Platzhirsche und zu wenig Frauen, wie Parteien in Sachsen-Anhalt ihre Kandidaten für die Wahl aussuchen.

Von Walter Zöller 06.06.2017, 09:00
Der Plenarsaal im Reichstagsgebäude - der Weg dorthin ist mühsam.
Der Plenarsaal im Reichstagsgebäude - der Weg dorthin ist mühsam. dpa

Halle (Saale) - Das Forschungsziel ist anspruchsvoll: Wie funktioniert in den Parteien die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl am 24. September? Was ist dran an der immer wieder geäußerten Behauptung, die Parteioberen würden die Bewerber in Hinterzimmern aussuchen und das Parteivolk dürfe dies nur noch abnicken?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit einem Jahr Wissenschaftler des noch jungen „Instituts für Parlamentarismusforschung“ in Halle. „Uns geht es darum herauszufinden: Wer stellt wen wie und warum auf?“, hatte die Gründungsdirektorin Suzanne S. Schüttemeyer zum Start der bundesweiten Untersuchung gesagt.

Rund vier Monate vor der Bundestagswahl liegen jetzt erste Zwischenergebnisse vor - auch für Sachsen-Anhalt. Sie zeigen ein differenziertes Bild der Kandidatenkür. Mit einigen klaren Aussagen, wie der stellvertretende Institutsleiter Benjamin Höhne vor Kurzem während einer Vorlesung an der Universität Halle erläuterte.

Die Befragung des „Instituts für Parlamentarismusforschung“ gibt auch Einblicke in das Selbstverständnis der Parteimitglieder, die die Bundestagskandidaten in Sachsen-Anhalt aufgestellt haben.  Die Wissenschaftler hatten wissen wollen, wo sich die Mitglieder persönlich und ihre Partei im politischen Spektrum einordnen. Eine 1 bedeutet „links“ eine 11 „rechts“. Der Wert 6 wäre auf der Skala   die politische Mitte.

Die CDU-Befragten sehen sich etwas rechts von der Mitte. Sie geben ihren politischen Ansichten den Wert 7,2, ihre Partei bewerten sie mit 6,6 etwas näher an der Mitte. 

Da ist der Abstand zur AfD nicht riesig. Deren Mitglieder verorten sich  bei 7,8 - und etwas rechtslastiger als die eigene Partei insgesamt mit 7,6. Die FDP-Mitglieder stufen sich selbst und ihre Partei auf der Skala beinahe exakt in der Mitte ein.

Ähnlich wie bei der CDU sind auch  die befragten SPD-Mitglieder mit ihrem persönlichen Politikansatz (3,7) nicht  in der Mitte beheimatet, sie tendieren stärker nach links.

Die SPD als Partei sehen sie auf der Skala mit  einem Wert 4,5 näher an der Mitte.  Noch etwas weiter links begreifen sich die Grünen (3,1  persönlicher Wert und 3,8 Wert für die Partei).  Mit knapp unter unterhalb  des Skalenwert von 2 haben sich die Linken in der Befragung noch weiter links angesiedelt.   (mz/zö)

So ist die oft geäußerte Behauptung, die Kandidatenauswahl sei durchweg undurchsichtig, ebenso falsch wie die Vermutung, die Parteien bestünden nur noch aus altgedienten Mitgliedern. Richtig ist aber, dass Frauen immer noch wenig zu sagen haben und Platzhirsche, die bereits im Bundestag sitzen, schon viel falsch machen müssen, um nicht wieder aufgestellt zu werden. Die MZ gibt mithilfe der Studie Antwort auf die wichtigsten Fragen.

Wie umfangreich ist die Befragung angelegt?

Mitarbeiter des Instituts haben in ganz Deutschland Hunderte Wahlkreisveranstaltungen sowie Listenparteitage besucht und dort Fragebögen an die abstimmungsberechtigten Parteimitglieder verteilt sowie viele Interviews geführt und das Geschehen dokumentiert. Allein in Sachsen-Anhalt erhielten 892 Mitglieder von CDU, SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD einen solchen Fragenkatalog, 449 füllten ihn anonym aus. Die Rücklaufquote sei sehr gut, die wissenschaftliche Aussagefähigkeit der Studie damit gesichert, versichert Höhne.

Wie funktioniert die Kandidatenkür? Ist sie für alle Parteimitglieder offen?

In den Wahlkreisen - also auf unterster Ebene - werden die Direktkandidaten gewählt. CDU, Grüne, FDP und AfD nutzen dazu in Sachsen-Anhalt ausschließlich das Instrument der Mitgliederversammlung . Alle Parteimitglieder können also über ihre Frau oder ihren Mann für Berlin mit abstimmen, wenn sie es wollen. Bei SPD und Linken entscheiden in einigen Fällen auch Delegierte - also Mitglieder, die zuvor von Untergliederungen gewählt wurden.

Wie stark haben übergeordnete Parteigremien Einfluss genommen?

Wenn es um die Bewerber in den Wahlkreisen ging, eigentlich überhaupt nicht. Mit einer Ausnahme: Der AfD-Landesvorstand hatte nach erbitterten internen Streitigkeiten angeordnet, die Aufstellung in den Wahlkreisen Börde, Jerichower Land, Harz und Anhalt zu wiederholen. Das ist rechtlich möglich, aber nach Angaben von Höhne ein „seltenes und im Prinzip wenig erfolgversprechendes Unterfangen“.

Und wie sah es auf Landesebene aus?

Dort legten die Parteien in einer Versammlung fest, welche Politiker auf der Landesliste ganz nach oben kommen. Das ist vor allem für die Parteien wichtig, die nicht oder kaum auf erfolgreiche Direktkandidaten hoffen können.

Die ersten Listenplätze sind dann das Ticket für den Bundestag. Bei CDU und SPD treffen die Landesvorstände und die Kreisvorsitzenden Absprachen, wer wie platziert werden soll. Bei den anderen Parteien gibt es keine formale „Vorentscheidungsarena“, so Höhne. Freilich sind auch dort Absprachen üblich.

Ist es nicht bedenklich, wenn Parteivorstände die Richtung vorgeben?

Die Mitglieder können bei den Listenparteitagen alles wieder über den Haufen werfen. Zudem haben die Vorschläge der Landesvorstände nicht zwangsläufig etwas mit Klüngel zu tun. Denn sie sollten zum Beispiel darauf achten, dass die späteren Bundestagsabgeordneten möglichst aus allen Teilen Sachsen-Anhalts kommen. „Man sollte nicht unterschätzen, was Parteivorstände leisten, wenn sie einen Listenvorschlag erarbeiten. Wenn ein Vorstand dabei gravierende Fehler macht, droht erheblicher innerparteilicher Zwist“, so Höhne.

Welche Rolle spielen Frauen bei der Kandidatenkür?

Immer noch eine sehr bescheidene - wie die Befragung zeigt. Im Schnitt waren weit über zwei Drittel der Parteimitglied, die über die Bewerber entschieden, Männer. Die Grünen kamen immerhin auf einen Frauenanteil von knapp 40 Prozent, bei CDU, SPD und Linke war er zehn Prozentpunkte niedriger. Noch männerdominierter waren die Wahlversammlungen von FDP und AfD - dort lag der Männeranteil bei 80 Prozent und höher.

Muss man schon viele Jahre Parteimitgliedschaft auf dem Buckel haben, um über einen Bundestagskandidaten mit entscheiden zu können?

Nein, der Trend geht in eine andere Richtung. Bei den Wahlversammlungen waren relativ viele Mitglieder, deren Parteieintritt erst maximal sieben Jahre zurückliegt. Das gilt natürlich für die noch junge AfD, aber auch für die Grünen (rund 60 Prozent) oder die SPD (etwas über 30 Prozent). Es gibt allerdings eine Ausnahme: In den Wahlversammlungen der Linken überwog bei weitem die Zahl derer, die seit 20, 30 oder 40 Jahren zumindest in einer der Vorgängerparteien waren. Dazu passt die Tatsache, dass von den befragten Linken, die über die Bundestagsbewerber mit entschieden, über 80 Prozent 50 Jahre und älter waren.

Hatten Bewerber, die bereits im Bundestag sitzen, bei der Aufstellung einen Vorteil?

Da klafft bei den Mitgliedern aller Parteien eine große Lücke zwischen Reden und Handeln. Einerseits versichern sehr viele, dass für sie ein Bundestagsmandat als Kandidatenmerkmal nicht wichtig sei. Und eine starke Gruppe in allen Parteien hält es nicht für aussichtslos, gegen einen amtierenden Bundestagsabgeordneten anzutreten. Zudem findet eine große überparteiliche Mehrheit es wünschenswert, „wenn sich mehr fähige Parteimitglieder trauen würden, gegen amtierende Bundestagsabgeordnete anzutreten“. Tatsächlich aber sind diese Abgeordneten alle ohne Problem erneut aufgestellt worden.

Mögen es die Mitglieder lieber ruhig oder kontrovers?

Von einem Kuschelkurs halten offenbar nur wenige etwas. So stimmten in der Befragung zwischen 85 und 90 Prozent der Mitglieder je nach Parteizugehörigkeit der Feststellung zu, dass „Kampfabstimmungen ein Zeichen lebendiger Demokratie“ sind.

Wie haben die Parteimitglieder die Kandidatenaufstellung beurteilt, an der sie beteiligt waren.

Überwiegend positiv: So lagen bei allen Parteien die Werte für die Kriterien „demokratisch“ und „transparent“ zwischen mindestens 80 und bis über 90 Prozent. Lediglich die befragten AfD-Mitglieder kamen bei der Bewertung ihrer Kandidatenkür mit 65 Prozent („transparent“) zu einem etwas anderen Urteil.  (mz)