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Musikuntergrund in der DDR "Bluessommer" Kay Lutter: Ein Sommer des Missvergnügens - In-Extremo-Bassist bringt Roman heraus

Von Steffen Könau 21.05.2017, 12:00
Wider die Routine eines verkrusteten Systems: Bei Rockkonzerten fand die Jugend der DDR ein Stück Freiheit.
Wider die Routine eines verkrusteten Systems: Bei Rockkonzerten fand die Jugend der DDR ein Stück Freiheit. Steffen Könau

Halle (Saale) - Eigentlich ist das alles nur ausgedacht. Kay Lutter, Mitgründer und Bassist der deutschlandweit erfolgreichen Mittelalter-Rockband In Extremo, beschreibt in seinem Romandebüt „Bluessommer“ eine Zeit , die es so nie gab. In einem Land, das so nie existiert hat. 

Aber natürlich ist das nicht wahr. Lutter, in Potsdam geboren und aufgewachsen und schon als kleiner Junge unheilbar mit dem Rockvirus infiziert, kommt der Geschichte seines jugendlichen Helden Mike Bergner sehr nahe: Er ist 1965 geboren, bekam mit neun Jahren seinen ersten Bass geschenkt, studierte Mitte der 80er Jahre in Berlin und spielte in dieser Zeit nicht nur bei der Jonathan-Hof-Bluesband und Lutz Kerschowski, sondern auch bei Freygang, der anarchistischen Outlaw-Gang um den ebenso charismatischen wie dem Alkohol zugeneigten Funktionärssohn André Greiner-Pol.

An dessen Seite erlebte der Autor damals seine Initiation in die Rituale einer Szene, die jetzt die Kulisse abgibt für eine Coming-of-Age-Geschichte, wie sie nur in den absurden Verhältnissen einer staatlichen Genehmigungsverfahren unterworfenen DDR-Subkultur spielen konnte: Mike Bergner, 18 Jahre alt, bricht nach der Schule Richtung Berlin auf. Er lässt seine Freunde Porni und Floyd hinter sich und genauso die Schulband Madstop, um bei Freygang einzusteigen, die hier als „Monomann“ einen sprechenden Namen tragen.

Kay Lutter veröffentlicht „Bluessommer": Untergrund-Star auf Dauer nicht zufrieden in der DDR

Mike Bergner stößt dazu, als die  bei den Wochenende für Wochenende quer durch die DDR trampenden „Kunden“  so umkultete Kapelle gerade mal wieder verboten ist. Staunend lernt er, was das bedeutet: gnadenloses Geschacher hinter den Kulissen, Gekungel um Kompromisse, Hass und am Ende Handelseinigkeit.

Monomann, denen Mike eben noch selbst hinterhergetrampt ist, stehen wieder auf der Bühne, von Tausenden umjubelt. Mike ist ein Star, dauerbreit und so offensiv angehimmelt, dass auch die Liebe zu Freundin Nina eines Tages nicht mehr hält.

Geld kommt rein, eine Wohnung wird besetzt, ein erster trauriger Text geschrieben. Von innen gesehen ist der Ruhm eines Untergrund-Stars in der DDR nichts, was auf Dauer zufriedenstellen kann.

DDR-Musikuntergrund in „Bluessommer" von Kay Lutter: Wenn aus Musikern Staatsfeinde wurden

Kay Lutter, der seine blues-rocklastige Geschichte mit leichter Hand und ohne Längen aufgeschrieben hat, weiß genau, wovon er redet. Die Szenen der Kult-Festivals von Ketzin, die Tramptouren, die Ausflüge nach Prag - der 51-Jährige, der mit seiner Band In Extremo in der ersten Liga der Mittelalterrocker spielt, war nicht nur dabei, sondern mittendrin.

Unterhaltsam schildert er die Eifersüchteleien der Gruppen, die alle in einem viel zu kleinen Teich schwimmen. Er beschreibt die Tricks, mit denen Instrumente und Anlagen besorgt wurden, die Lücken im System der staatlichen Vollüberwachung und die brutale Reaktion der Behörden auf wiederholte Regelverstöße.

Spielverbot, lebenslang, keine Bewährung, kein Freikaufen. Aus jungen Menschen, die Musik machen und sich dabei auch ein bisschen an den gesellschaftlichen Verhältnissen reiben wollen, werden Staatsfeinde, die es wegen einiger Textzeilen auszuradieren gilt.

Lutter lässt seinen Helden Mike die Konsequenzen und illegal in den Westen ziehen. Dass er dort auch nicht glücklich wird, liegt in der Natur der Sache, denn statt einiger tausend kommen nun nur noch ein paar Dutzend Fans zum Konzert. Alles endet auf dem Meer. Nur vielleicht mit Happy End. (mz)