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Fall Yangjie Li Yangjie Li: Chronik eines Mordes in Dessau

Von Steffen Brachert und Lisa Garn 04.08.2017, 11:11
Yangjie Li wurde nur 25 Jahre alt. Am 11. Mai 2016 verschwand die Studentin in Dessau. Am 13. Mai wurde ihre Leiche unweit ihrer Wohnung entdeckt.
Yangjie Li wurde nur 25 Jahre alt. Am 11. Mai 2016 verschwand die Studentin in Dessau. Am 13. Mai wurde ihre Leiche unweit ihrer Wohnung entdeckt. Privat/Polizei

Dessau - Es waren drei Tage, in denen Dessau-Roßlau den Atem anhielt und bangte - am Ende vergeblich. Am Abend des 11. Mai vor einem Jahr ging die chinesischen Studentin Yangjie Li joggen und kehrte nicht zurück. Erst am 13. Mai wurde sie gefunden - tot und misshandelt.

Ende November 2016 begann der Prozess gegen ihre mutmaßlichen Mörder: Sebastian F. und Xenia I. sind angeklagt wegen gemeinschaftlichen Mordes und Vergewaltigung. Der Prozess nähert sich dem Ende - jetzt wird nachvollziehbar, was an jenen verhängnisvollen Tagen im Mai geschah. Eine Rekonstruktion.

11. Mai 2016 20.30Uhr - Yangjie Li verlässt die Wohnung zum Joggen und kehrt nie zurück

11. Mai, 19.36 Uhr: Yangjie Li ist mit ihrer besten Freundin im Kaufland in der Wolfgangstraße einkaufen. Die Ermittler finden später einen Bon in ihrer WG in der Johannisstraße - und eingekaufte Lebensmittel in der Küche, darunter sind Süßkartoffeln und Honig. In ihrem Zimmer bleiben Kleidungsstücke zurück. „Mein Gefühl war“, sagt später die Freundin aus China vor Gericht, „dass sie sich eilig umgezogen hatte und dann raus gegangen ist.“

20.30 Uhr: Yangjie Li verlässt die Wohnung zum Joggen. Die dunklen Haare sind zum Zopf gebunden, sie trägt Sportkleidung. Die Studentin ist eine versierte Läuferin, trainiert mehrmals pro Woche. Sie läuft zur Ecke Hausmannstraße und dann Richtung Theater.

21.24 Uhr: Es ist eines der wichtigsten Beweismittel der Ankläger: Ein Video zeigt, wie Yangjie Li vor dem Haus in der Johannisstraße 7 von einer Frau angesprochen wird. Yangjie Li wirkt unschlüssig, blickt sich auf der Straße um - folgt der Frau aber dann ins Haus.

Massive Gewalt gegen Yangjie Li - Ermittler finden 300 Blutspuren in Tatwohnung

21.26 Uhr: Wie die Angeklagte Xenia I. im Januar bei einem Teilgeständnis berichtet, soll Sebastian F. dann über Yangjie Li hergefallen sein. „Er wollte sie fesseln. Aber Frau Li hat sich die ganze Zeit gewehrt, hat um sich geschlagen und getreten“, berichtet Xenia I.. Sebastian F. habe das Opfer festgehalten, ihm den Mund zugehalten, es unter massiver Gewalt in eine leer stehende Wohnung des Hauses, in dem nur sie wohnten, gezogen und vergewaltigt. Im Hausflur und in der Wohnung werden die Ermittler später über 300 Blutspuren finden.

21.40 Uhr: Das Handy von Yangjie Li wird ausgeschaltet. Von dem Gerät fehlt trotz umfangreicher Suche bis heute jede Spur. Auch einige Kleidungsstücke von Yangjie Li sind bislang nicht gefunden worden. Eine groß angelegte Suchaktion in einer Müllsortieranlage bleibt ohne Erfolg.

0 Uhr: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Yangjie Li in der Tatwohnung drei Stunden liegen gelassen wurde, „in der Annahme“, heißt es in der Anklage, „dass sie alsbald versterben wird“.

12. Mai 2016: Die Suche nach Yangjie Li - Spürhunde und Hubschrauber im Einsatz

12. Mai, gegen 2 Uhr: Sebastian F. soll eine 120-Liter-Mülltonne geholt haben, um Yangjie Li aus dem Haus zu bringen. Auch das berichtet Xenia I. in ihrem Teilgeständnis. Zuvor soll Sebastian F. den Kopf der Studentin in einen Wassereimer getaucht haben. Xenia I. leuchtet mit ihrem Handy den Weg durch den Hinterhof der Johannisstraße 7. Das Hinterhaus ist eine Baustelle. Über ein Fenster im Erdgeschoss wird Yangjie Li nach draußen gebracht.

2.24 Uhr: Ein erst spät gesichertes Überwachungsvideo aus dem Antiquitätengeschäft im Erdgeschoss der Johannisstraße 7 zeigt einen Mann, der aus dem Eingang kommt und um das Haus herum läuft. Die Gerichtsmedizinerin sagt später aus, dass Yangjie Li am frühen Morgen des 12. Mai beziehungsweise in den Stunden danach gestorben ist.

Todesursache bei Yangjie Li: Herzversagen infolge massiver Gewalt

Todesursache ist Herzversagen infolge einer so genannten Lungenfettembolie. Durch die Gewalt wurde unter anderem das Fettgewebe zertrümmert, Tröpfchen gelangten in die Blutbahn und in die Lunge. „Der Körper von Yangjie Li war übersät mit Hämatomen. Das Gesamtverletzungsausmaß war erheblich“, erklärte die Rechtsmedizinerin vor dem Landgericht.

3.56 Uhr: Sebastian F. chattet mit einer Bekannten, dass er gerade einen Einsatz als Feuerwehrmann hatte. „Mussten Amtshilfe für Polizei leisten. War nicht gerade schön.“ Auf die Frage, worum es gegangen sei, antwortete er: um eine Leiche.

Im Internetprotokoll des Handys von F. werden später noch Suchanfragen gefunden: „Wie lange riecht ein Polizeihund einen Menschen?“, wird ebenso gegoogelt wie: „Wann beginnt ein Mensch zu verwesen?“ Im Benutzer-Wörterbuch finden Experten später 54 Begriffe mit unmittelbarem Bezug zum Tatvorwurf. Unter anderem tauchte die Wortgruppe „Leiche im Freien“ auf, aber auch Begriffe wie Spürhund, Polizei, Leichenstarre und der genetische Fingerabdruck DNA.

Vormittag: Die beste Freundin von Yangjie Li schreibt ihr eine SMS, um sie zum Frühstück einzuladen. Sie bekommt keine Antwort.

13.10 Uhr: Freunde von Yangjie Li melden die chinesische Studentin im Polizeirevier als vermisst. Der Fall hat bei der Polizei sofort höchste Priorität. Es ist klar: Yangjie Li ist nicht einfach verschwunden.

16 Uhr: Das Suchgebiet wird ausgeweitet: Ein Hubschrauber steigt auf - und fliegt mit einer Wärmebildkamera über das Stadtzentrum, auch entlang der Mulde.

16.33 Uhr: Polizei und Staatsanwaltschaft starten eine Öffentlichkeitsfahndung. „Seit Mittwoch, den 11.05.2016, gegen 21:40 Uhr, wird die in Dessau-Roßlau studierende, 25-jährige chinesische Staatsbürgerin, Yangjie Li, vermisst. Sie war zuletzt in der Stadt Dessau-Roßlau in der Johannisstraße wohnhaft.“ In der Mail sind zwei Fotos der Studentin beigefügt. Es gibt viele Hinweise, aber sie bleibt verschwunden.

13. Mai 2016 - Polizisten entdecken die brutal zugerichtete Leiche von Yangjie Li

13. Mai, 10 Uhr: Im Stadtzentrum startet eine große Suchaktion. Eine extra angeforderte Hundertschaft der Landesbereitschaftspolizei beginnt das Gebiet rund um den Friedensplatz zu durchkämmen. Ein Bunker gerät in den Fokus, weil die Tür offenbar kurz zuvor geöffnet wurde.

11 Uhr: Ein junger Magdeburger Bereitschaftspolizist findet hinter einem blauen Dixi-Klo und unter einer Konifere in der Hausmannstraße eine Leiche - unbekleidet und misshandelt. „Die Tote sah aus wie eine Puppe“, sagt der Beamte vor Gericht. Blutergüsse und geronnenes Blut hatten das Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Fundort und der Wohnort der Chinesin sind keine 15 Meter auseinander.

Mordfall Yangjie Li: Polizei übersieht Blutspur am Gerüst

13 Uhr: Die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes ist vor Ort und beginnt mit der Spurensicherung. Ein Sichtschutz wird aufgebaut. Was sich später herausstellt: Eine Blutspur am Gerüst wird nicht entdeckt. Durch einen Fehler: Beamte sind später zwar in dem Hinterhaus in der Johannisstraße, öffnen aber die Fenster nicht, weil in dem Moment Blumen an der Fundstelle der Leiche niedergelegt werden.

16 Uhr: Der Tatort wird freigeben. Die Suche nach dem Täter beginnt.

Später: Am 23. Mai macht Sebastian F. in der Polizeidirektion in Dessau-Roßlau eine Zeugenaussage. Es ist eine Routinebefragung eines Anwohners rund um den Fundort der Leiche. Doch der junge Mann erzählt dem Beamten, Sex mit seiner Freundin und einer jungen Chinesin gehabt zu haben. Er habe nun Angst, dass an der Leiche seine DNA gefunden werden könnten. Kurz darauf werden Sebastian F. und Xenia I. festgenommen. Im November beginnt der Prozess. Nach 28 Verhandlungstagen steht die Verhandlung im Mai 2017 vor ihrem Ende. (mz)