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Mordfall Yangjie Li Mordfall Yangjie Li: Gewalt, Dominanz: Angeklagte war laut Gutachter ihrem Freund hörig

Von Lisa Garn 24.04.2017, 17:37
Die Angeklagte Xenia I. im Gespräch mit ihrer Verteidigerin.
Die Angeklagte Xenia I. im Gespräch mit ihrer Verteidigerin. Lutz Sebastian

Dessau - Die Rollen sind noch immer klar verteilt. Im Saal 118 des Landgerichts Dessau-Roßlau gibt sich der Angeklagte Sebastian F. selbstbewusst, er will Stärke demonstrieren. Drei Stühle weiter sitzt seine Ex-Freundin Xenia I. in sich zusammen gesunken und blickt weinend zu Boden. Es ist ein symptomatisches Bild für ihre Ex-Beziehung und möglicherweise auch für die brutale Tötung der jungen chinesischen Studentin Yangjie Li im Mai 2016. Vor drei Wochen hatte der forensische Psychiater Bernd Langer Sebastian F. eine außergewöhnliche Gefühlskälte, den Hang zu Sadismus und Streben nach Dominanz attestiert.

Mordfall Yangjie Li: Psychiater stellt Gutachten zur mitangeklagten Xenia I. vor

Am Montag stellte er sein Gutachten zur mitangeklagten Xenia I. vor - und empfahl die Anwendung des Jugendstrafrechts. Die Höchststrafe für Mord liegt dann in besonders schwerem Fall bei 15 Jahren. Der Experte des Instituts für Rechtspsychologie in Halle zeichnete am 26. Verhandlungstag das Bild einer traumatisierten jungen Frau, die von der eigenen Minderwertigkeit und Schwäche überzeugt ist. Eine Bedürftige auf der Suche danach, geliebt und angenommen zu werden. Von Hörigkeit sprach der Gutachter in der Beziehung zu ihrem damaligen Partner Sebastian F. Nach vier ausführlichen Treffen mit Xenia I. attestierte er ihr eine „selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung“ und verminderte Intelligenz. Xenia I. habe kein Selbstvertrauen und meide aus Furcht vor Zurückweisung soziale Kontakte. Festzustellen sei auch eine Reifeverzögerung. „Sie hat die extrem ausgeprägte Fähigkeit, unangenehme Aspekte der Realität komplett auszublenden und verhindert so die Bewältigung von Konflikten.“

Facharzt betont: Mitangeklagte Xenia I. war zum Tatzeitpunkt voll steuerungsfähig

Der Facharzt betonte allerdings auch, dass sie zur Tatzeit voll steuerungsfähig war und wusste, dass dem Opfer Gewalt angetan wird. Umso unerklärlicher erscheint es auch dem Gutachter, dass sie keine Hilfe geholt hatte. „Sie war in dieser Nacht nicht in einem Zustand einer alternativlosen Trance - es hätte Alternativen gegeben. Was wäre das Schlimme daran gewesen, die Polizei zu rufen? Dann wäre der Spuk zu Ende gewesen.“

Vor Gericht hatte Bernd Langer die Beziehung zwischen Sebastian F. und Xenia I. als Abhängigkeitsverhältnis bezeichnet, das von Gewalt, Dominanz und Unterordnung bestimmt war. „Bis zur Hörigkeit“ habe sich Xenia I. dominieren lassen. Und das Gefühl gehabt, die Misshandlungen verdient zu haben. Die „Konditionierung der sexuellen Gewalt“ wiederholte offenbar ein Trauma der Kindheit, in der Xenia I. von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden sein soll. „Sie stammt aus einem ,Broken Home’“, sagte Bernd Langer. „Sie hatte das Gefühl, ein unerwünschtes Kind zu sein. Das Gefühl, nicht geliebt zu werden, hat ihre Entwicklung maßgeblich geprägt. Es besteht ein durchweg negatives Selbstbild, schwach und unzulänglich zu sein.“

Mordfall Yangjie Li: Mitangeklagte war nie in der Lage, sich von Sebastian F. zu trennen

In der späteren Beziehung mit dem Hauptangeklagten sei sie „ausschließlich auf Sebastian F. bezogen“ gewesen. Von einer unreif-klammernden Beziehungsgestaltung sprach der Facharzt: „Verlustängste führten zu panischen Reaktionen“. Verstärkt hat Sebastian F. dies mit der Androhung von Kindesentzug und Tötung, sollte Xenia I. ihn verlassen. Doch sie war nie in der Lage, sich zu trennen. Aus Angst vor dem Alleinsein - und vor ihm.

Auch vor dem Mord an Yangjie Li in der Nacht des 11. Mai soll Sebastian F. mit Gewalt gedroht habe, sollte Xenia I. keine Frau auf der Straße für Sex zu dritt ansprechen. Ihr musste klar sein, dass „das nicht friedlich enden wird“, sagte Langer. Die Angeklagte hatte vor Gericht ausgesagt, nur kurzzeitig dabei gewesen zu sein, als Yangjie Li in der ersten Etage des Wohnhauses in der Johannisstraße missbraucht und misshandelt wurde. Sie habe versucht, zu helfen, sei aber von Sebastian F. daran gehindert worden. Zwischendurch will sie in die Wohnung des Paares eine Etage darüber gegangen sein, um die beiden Kinder ins Bett zu bringen - und zu duschen. Auch Überlegungen, Hilfe zu holen, gab es. „Aber ich hatte Angst, was er dann mit mir macht“, sagte Xenia I. dem Psychiater. Sebastian F. habe ihr den Mord in der Nacht gestanden, sie sollte den Transport der Leiche in einer Mülltonne zum Hinterhaus ausleuchten. Im Nachhinein, so der Gutachter, werfe sich Xenia I. Feigheit vor.

Psychiater prognostiziert Nachreifungspotenziale für Xenia I.

„In einem stabilen Umfeld sehe ich Nachreifungspotenziale für Xenia I.“, sagte Bernd Langer. Dagegen protestierten die Verteidiger von Sebastian F., für den der Gutachter das Erwachsenenstrafrecht empfohlen hatte. Den Protest wies Langer zurück: „Beide haben verschiedene Persönlichkeitsstörungen. Schwäche kann man abbauen, Dominanz ist schwer beherrschbar.“ (mz)

Xenia I. wird in Handschellen in den Gerichtssaal geführt.
Xenia I. wird in Handschellen in den Gerichtssaal geführt.
Lutz Sebastian