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Zerrissene Alternative AfD Sachsen-Anhalt: Zerrissene Alternative: In der Landes-AfD sind die Fronten verhärtet

Von Hagen Eichler und Jan Schumann 31.03.2017, 10:00
Martin Reichardt ist neuer Landesvorsitzender der AfD
Martin Reichardt ist neuer Landesvorsitzender der AfD dpa/Archiv

Magdeburg - Gleich ist es wieder so weit, gleich explodiert Hans-Thomas Tillschneider. Das Abstimmungsergebnis ist kaum verkündet, da springt er vom Stuhl, brüllt vor Freude und schlägt die Hände mit aller Kraft rhythmisch ineinander.

Wild triumphierend blickt der 39-Jährige mit rasiertem Schädel und wucherndem Bart in die Runde. Tillschneider ist der Einheizer des AfD-Parteitages. Der von ihm entfachte Jubelsturm soll den parteiinternen Rebellen zeigen, dass sie keine Chance haben.

Landesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt in Badeborn

Gerade ist deren Bewerber für die AfD-Kandidatenliste zur Bundestagswahl durchgefallen, andere folgen. Fünf Plätze werden an diesem Tag bestimmt. Jedes Mal gewinnt der Kandidat, den der Landesvorstand ins Rennen schickt.

Die Szene vom vergangenen Sonntag im Dorfgemeinschaftshaus des Vorharz-Dorfes Badeborn offenbart das Innenleben einer zutiefst gespaltenen Partei. Die AfD wollte eigentlich die Alternative zum bestehenden Parteiensystem sein, wollte alles anders und besser machen.

Die etablierten Parteien gelten ihr als machtsüchtige Klüngelgruppen, in denen die Führung der Basis vorgibt, was sie richtig finden und wen sie wählen soll. Doch an diesem Sonntag zeigt sich: In der AfD gibt es gut funktionierende Absprachen, wer mit welchem Listenplatz bedacht werden soll.

Martin Reichardt Spitzenkandidat der AfD Sachsen-Anhalt

Spitzenkandidat wird Martin Reichardt, für den AfD-Landeschef André Poggenburg persönlich wirbt. „Wer soll das sein? Ich kenne den gar nicht“, murren einige im Saal.

Sein Gegenkandidat ist der Versicherungskaufmann Uwe Kühn aus der Börde. Die AfD ist die erste Partei, für die er sich engagiert. „Ich bin das, was wir wollen: ein Bürger. Der Nachwuchs. Lassen Sie mich Ihr Nachwuchs sein“, appelliert Kühn.

Unzufriedene aus vielen AfD-Kreisverbänden schließen sich zusammen

Es hilft ihm nichts: Gewählt wird Reichardt, der eine bewegte politische Vita hat. Er war in der SPD, dann bei den Republikanern, dann suchte er sein Glück beim rechten Flügel der FDP. Als Reichardt das aufzählt, erntet er von einigen höhnisches Lachen. Aus ihrer Sicht angelt sich hier ein Karrierepolitiker den sicheren Platz im Bundestag.

Um auf diesem Parteitag erfolgreich zu sein, hatten sich Unzufriedene aus vielen Kreisverbänden zusammengeschlossen. „Verbündete in der AfD“ heißt die Chatgruppe, in der sie vom Sturz des Landesvorstands träumten. Doch schon am Vortag der Listenaufstellung scheitern die Verschwörer beim Versuch, zwei ihnen besonders verhasste Vorstandsmitglieder abzuwählen.

Es geht um Landesschatzmeister Frank Pasemann und Vize-Landeschef Ronny Kumpf. Ersterer verdient sein Geld als Wahlkreismitarbeiter eines vorstandstreuen Abgeordneten, Kumpf ist Angestellter der Landtagsfraktion.

Die Verschwörer sehen darin eine unzulässige finanzielle Abhängigkeit. „Wir nennen uns die Alternative“, beschwört Poggenburgs Gegenspieler Daniel Roi die Mitglieder, „wir wollten nicht so sein wie die CDU, wo die Mitarbeiter in den Vorständen sitzen.“ Doch nur ein Viertel der anwesenden Mitglieder unterstützt seine Forderung, eine Neuwahl der beiden Vorstandsposten auf die Tagesordnung zu setzen.

Heftiger Streit um die Macht in der AfD: Verschwörern missfällt „Nazi-Sprech“

Es bleibt nicht die einzige Niederlage für Roi. Der 29-Jährige hat die AfD von Anfang an aufgebaut, jeden Bundesparteitag hat er besucht. Nach eigenen Angaben ist Roi bundesweit der dienstälteste Kreisvorsitzende. Doch sein Einfluss ist rapide geschwunden. Der fulminante Wahlerfolg bei der Landtagswahl 2016 hat die AfD für viele attraktiv gemacht. Innerhalb eines Jahres verdoppelte sich die Mitgliederzahl auf jetzt 675.

Was die Verschwörer eint, ist der eigene Bedeutungsverlust. Im Frühsommer 2016, beim Parteitag in Eisleben, verlor Roi seinen Sitz im Landesvorstand, ebenso wie Dirk Hoffmann, Jens Diederichs, Lydia Funke, Hannes Loth und Alexander Raue. Abgesägt sind auch der frühere Chef der Jungen Alternative (JA), Steffen Schroeder, und Gottfried Backhaus, einst Chef im Kreisverband Saalekreis. Sie alle und andere sinnen nun auf Rache.

Es ist ein heftiger Streit um die Macht, den beide Lager austragen. Inhaltlich liegen sie auf einer Linie: deutsch-national, rechtskonservativ, jederzeit bereit, gegen Muslime und Einwanderer zu holzen. Einziger inhaltlicher Streitpunkt ist die an die NS-Zeit erinnernde Wortwahl Poggenburgs, die die Verschwörer ablehnen. Über „Nazi-Sprech“ rümpfen sie die Nase.

Allerdings ist nicht Poggenburg ihr Hauptfeind. Zum bekanntesten Gesicht des Landesverbands sehen die Putschisten keine Alternative. Regelrecht verhasst sind hingegen Schatzmeister Pasemann, JA-Chef Jan Wenzel Schmidt, Vize-Chef Kumpf und Tillschneider, der Parteitags-Einheizer. Kalte Karrieristen sehen die Verschwörer in ihnen. Rücksichtslose Aufsteiger, die mittlerweile den Landesverband nach ihrem Willen steuern können.

Widerstand der AfD-Verschwörer scheitert in Badeborn

Der Hass rührt auch daher, dass der Landesvorstand offenbar immer wieder Einfluss in den Kreisen nehmen will, vorbei an den Chefs der Basis. Etwa in Mansfeld-Südharz, wo Kreischef Jens Diederichs schon im Herbst den lokalen Direktkandidaten für die Bundestagswahl aufbauen wollte. Aus heiterem Himmel machten sich Vertreter des Landesvorstands im Winter für einen anderen, weitgehend unbekannten Mann stark: Jens Lange.

Der hatte zwar oft durch Abwesenheit geglänzt, wie Mitglieder sagen. Doch er gilt eben auch als Verbündeter Tillschneiders. Dass bei der Wahl im Februar dann keiner von beiden Kandidat in Mansfeld wurde, galt der düpierten Basis wenigstens als kleine Genugtuung. „Je näher die Wahl kommt, desto mehr offenbart sich der Charakter einiger Parteimitglieder“, sagt Diederichs.

Poggenburgs Landesspitze regiere in die Kreise hinein, beschneide die Macht der Basis, drücke von oben Entscheidungen durch: Dieser Eindruck schürt die Wut der Rebellen. So sehr, dass sie in ihrer Chatgruppe halb ironisch, halb ernst zum Widerstand aufrufen. „Sollte man eine Wirmer-Flagge mitführen?“, fragt ein Verschwörer vor dem Parteitag. Unter dieser Flagge zog der Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg in den Widerstandskampf. „Müssen wir nur noch klären, wer am Samstag die Aktentasche unter den Präsidiumstisch stellt“, schreibt ein anderer. Doch der Widerstand der AfD-Verschwörer scheitert in Badeborn.

Und die Landesspitze schlägt auf dem Parteitag mit Härte zurück, zerrt die Rebellen an den Pranger. Über eine undichte Stelle im Chat waren die Verschwörer aufgeflogen - nun werden besonders brisante Nachrichten mit Klarnamen und Handynummern per Beamer an die Wand geworfen. Die Widerständler sind entblößt. Dass Poggenburg dies zugelassen hat, sagt einer der Enttarnten, werde er ihm nie vergessen.

Poggenburg droht renitenten Kreisvorstandsmitgliedern mit Konsequenzen

„Politische Differenzen sind das nicht“, sagt JA-Chef Schmidt mit einigen Tagen Abstand. „Denen, die diese Intrige betreiben, geht es nur um Posten, nie um politische Arbeit.“ Angefeindet würden jene, die besonders viel für die Partei leisteten. Kann denn die Landtagsfraktion diesen Riss in der Partei überleben? „Ja,“, sagt Schmidt, „aber wir müssen alle zusammen überlegen, welche Konsequenzen wir ziehen müssen.“

Ein neuer Ausschlussversuch? Bereits Anfang Februar hatte es einen Anlauf gegeben, Roi loszuwerden. Treibende Kraft dahinter war Robert Farle, Parlamentarischer Geschäftsführer und zentrale Stütze von Poggenburg. In einer nächtlichen Krisen-Sitzung mit viel Brüllerei kam die notwendige Zweidrittelmehrheit jedoch nicht zustande.

Fraktionschef Poggenburg lässt offen, was er in der Fraktion plant. Zunächst müssten die Chat-Protokolle der „subversiven Elemente“ ausgewertet werden, sagt er. Entscheidend sei, ob es Belege dafür gebe, dass Roi erneut interne Dokumente weitergegeben habe - das war bereits die Begründung des letzten Ausschlussverfahrens. „Wenn es jemanden betrifft, der schon einmal aufgefallen ist, wäre das sehr schwerwiegend“, sagt Poggenburg.

Auch renitenten Kreisvorstandsmitgliedern droht Poggenburg mit Konsequenzen. Abmahnungen, Amtsenthebungen, Ämtersperren seien denkbare Mittel zur Disziplinierung. Doch der Landesvorsitzende droht nicht nur - nach dem konfliktreichen Parteitag setzt er auch ein Zeichen des Entgegenkommens. Nicht jeder aus der Chatgruppe müsse mit Bestrafung rechnen, deutet er an. „Ich werde denen die Hand reichen, die den Willen zu konstruktiver Kritik haben.“ Zudem wolle er sich wieder stärker um die inneren Angelegenheiten des Landesverbandes kümmern.

Für manchen klingt das wie eine Drohung. (mz)