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Der totale Ehe-Krieg Der totale Ehe-Krieg: Stefan Neugebauer inszeniert Klassiker

Von Kai Agthe 24.03.2017, 20:28
Erleben eine desaströse Nacht: George (Tom Baldauf), Süße (Patricia Windhab), Nick (Michael Naroditski) und Martha (Ute Wieckhorst, v. l.)
Erleben eine desaströse Nacht: George (Tom Baldauf), Süße (Patricia Windhab), Nick (Michael Naroditski) und Martha (Ute Wieckhorst, v. l.) torsten biel

Naumburg - Es wäre wohl besser gewesen, wenn Martha und George an diesem Abend nicht ausgegangen wären. So aber kommt das Paar um zwei Uhr morgens alkoholschwer von einer Party nach Hause, wo Martha ihrem Mann eröffnet, noch jenes junge Paar auf einen Drink eingeladen zu haben, das beide auf der Feier kennengelernt haben. Wie George ist auch Nick Wissenschaftler am College der Stadt, wie Martha ist auch Nicks Frau, die dieser nur „Süße“ nennt, von der Rolle als bessere Hälfte ihres Gatten gelangweilt.

Das Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee (1928-2016) ist ein psychologisches Kabinettstück über die Ehe in jenem Stadium, in dem nicht mehr die Zuneigung, sondern der Hass der Beziehungskitt ist. In der Inszenierung am Theater Naumburg, die Intendant Stefan Neugebauer auf die Bühne brachte, fasziniert Tom Baldauf in der Rolle des intellektuellen Zynikers George von der ersten Minute an. Auch Ute Wieckhorst – Krimi-Freunden als Rechtsmedizinerin Dr. Seelenbinder aus dem Weimarer „Tatort“ bekannt – ist als vom Leben, ihrer Ehe und sich selbst enttäuschte Martha ebenfalls großartig.

Michael Naroditski gibt Nick als einen rational eingestellten Naturwissenschaftler, der mit dem gehässigen Ton und der Gefühlskälte, die bei Martha und George herrschen, überfordert ist. Dennoch oder gerade deshalb lässt er es zu, dass ihm Martha eindeutige Avancen macht. Patricia Windhab ist eine Süße, die alles komisch findet, also ständig kichert, aber - gemessen an den Untiefen, die auch in ihrer Seele herrschen – zu sehr auf Dummerchen getrimmt wurde.

Wo das Elend einer vollkommen festgefahrenen Beziehung, das Austeilen von Verletzungen und Demütigungen, die sich immer mehr steigern, so beklemmend authentisch dargestellt wird, braucht auch das Publikum Raum zum Atmen. Für diesen intensiven Schlagabtausch – in dessen Verlauf vor allem Tom Baldauf wahre Textgebirge bewältigen muss – hat Ausstatter Rainer Holzapfel deshalb die kleine Naumburger Bühne als große, über Eck gehende und in Kirschrot gehaltene Sitzgruppe gestaltet, zu der nichts weiter als eine Hausbar gehört, von der sich alle vier Akteure im Lauf dieser so desaströsen Nacht, die 145 Minuten Spielzeit mit zwei Pausen umfasst, nach Kräften bedienen.

1962 in den USA und im Jahr darauf in West-Berlin uraufgeführt, ließ die Verfilmung des Dramas nicht lange auf sich warten. In „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ verkörperten die Hollywood-Stars Elizabeth Taylor und Richard Burton – deren zweifache Ehe bekanntlich das reinste Dynamit-Drama war – im Jahr 1966 Martha und George perfekt. Mag sie auch im Titel prominent erscheinen, so spielt die Schriftstellerin Virginia Woolf (1882-1941) in Albees Klassiker keine Rolle – ist aber dennoch präsent, da auch die Akteure in Naumburg die Schlagzeile, die in Anlehnung an das Lied „Who’s Afraid of the Big Bad Wolf“ (Wer hat Angst vorm großen bösen Wolf) entstand, immer wieder zur Melodie von „Happy Birthday“ anstimmen.

Dass in dem Ehegefecht, wie es derzeit die Naumburger Theatermauern erbeben lässt, auch die bislang scheinbar so harmonische Beziehung zwischen Nick und seiner Süßen Schaden nimmt (mit denen George das zerstörerische Gesellschaftsspiel „Gib’s dem Gast“ spielt), ist nicht so überraschend wie die Erkenntnis, dass Martha und George, die sich noch in der Nacht den totalen Ehe-Krieg erklärt hatten, am Morgen zu der Erkenntnis gelangen, doch nicht ohne einander sein zu können. (mz)