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Jobcenter-Affäre in Halle Jobcenter-Affäre in Halle: Das Geschäft mit der Bildung

Von Felix Knothe 30.09.2014, 07:24
Ausrisse aus der Mitteldeutschen Zeitung zur Berichterstattung über Sylvia Tempel
Ausrisse aus der Mitteldeutschen Zeitung zur Berichterstattung über Sylvia Tempel MZ Lizenz

Halle (Saale) - Warum schickte ein hallescher Bildungsträger Ein-Euro-Jobber auf das Privatgrundstück der Jobcenterchefin Sylvia Tempel? Diese hatten dort nach MZ-Recherchen Bauarbeiten ausgeführt - ein Vorgang, der weiter für erheblichen Wirbel sorgt. Wegen weiterer Korruptionsvorwürfe war Sylvia Tempel in der vergangenen Woche suspendiert worden. Zu dem umstrittenen Arbeitseinsatz schweigt sie - und ebenso das Berufliche Bildungswerk (BBW), das die Hartz-IV-Empfänger beauftragt hatte.

Das BBW, ein eingetragener Verein aus Halle-Reideburg, profitiert erheblich von Jobcenter-Aufträgen. Nach MZ-Informationen gehört es sogar zu den privaten Trägern, denen das Jobcenter besonders viele Projekte genehmigt. Sylvia Tempel wiederum war als Geschäftsführerin des Jobcenters bei der Vergabe dieser Aufträge in einer Schlüsselstellung.

Einsatz in Tempels Garten

Bildungsträger wie das BBW gehören zu den besten Kunden von Jobcentern, nicht nur in Halle. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit auch über das erlaubte Maß hinaus? BBW und Jobcenter haben jahrelang gemeinsame Projekte veranstaltet. Darunter waren etwa die beliebten Ausstellungen in der Neuen Residenz. Doch der Arbeitseinsatz bei Tempel im Mansfelder Land im Jahr 2012 dürfte keinesfalls Teil irgendeiner öffentlichen Ausschreibung gewesen sein. Ein-Euro-Jobber dürfen nämlich nur für streng reglementierte Arbeiten eingesetzt werden. Solche, die im öffentlichen Interesse liegen und Firmen nicht vom Markt verdrängen. Denn Ein-Euro-Jobs werden öffentlich subventioniert. Auch für die Weiterbildung, die Umschulung oder die Eingliederung von Hartz-IV-Empfängern in den Arbeitsmarkt zahlt das Jobcenter an die Bildungsträger.

Für die Kontrolle des Jobcenters ist die Trägerversammlung zuständig. Diese besteht lediglich aus zwei Personen: dem städtischen Beigeordneten für Arbeit Wolfram Neumann und der Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Halle Petra Bratzke. Die Stadt, also Neumann, hat in der Trägerversammlung formal die Stimmenmehrheit. Entscheidungen zur Geschäftsführung müssen einstimmig fallen.

Beide Träger entsenden zudem zu ungefähr gleichen Teilen Mitarbeiter ins Jobcenter. Der Großteil der Vermittler und anderen Beschäftigten ist also nicht beim Jobcenter angestellt, sondern nur dorthin abgeordnet oder zugewiesen.

Die Stadt ist übrigens wiederum ebenfalls Vertragspartner des Jobcenters. Im städtischen Eigenbetrieb für Arbeitsförderung sind zahlreiche Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Sie hatten unter anderem beim Hochwasser 2013 einen großen Anteil an den Deich- und Aufräumarbeiten. (xkn)

Insgesamt verfügt das hallesche Jobcenter dafür in diesem Jahr über einen Etat von 18,4 Millionen Euro. Für die Verteilung des Geldes an die Träger war Tempel verantwortlich. Sie habe praktisch das letzte Wort gehabt, sagen übereinstimmend mehrere Mitarbeiter der Behörde.

Weitere Einzelheiten lesen Sie auf der folgenden Seite.

Das Geschäft mit der Bildung funktioniert dabei zwischen beiden Seiten nach einem komplizierten System. Am Anfang stehen zumeist Angebote der Träger an das Jobcenter. Darin führen die Träger jeweils aus, welche Umschulungsmaßnahmen in Zukunft geplant sind oder welche Projekte mit Ein-Euro-Jobbern sie demnächst durchführen wollen. Diese Angebote werden im Jobcenter geprüft. Eigens dafür gibt es sogenannte Arbeitgeber/Träger-Teams. Die Maßnahmen und Projekte, die für die Anforderungen des Jobcenters besonders geeignet sind, werden dann den Vermittlern im Jobcenter für ihre „Kunden“, die Hartz-IV-Empfänger, empfohlen. Die Vermittler geben dann Rückmeldung über mögliche Teilnehmerzahlen für das jeweils kommende Jahr, auf deren Grundlage wiederum die Angebote der Träger gebucht werden.

Bonus bei erreichter Quote

Hier spielt die Chefetage des Jobcenters wieder eine große Rolle, weil hier entschieden wird, wie viele Hartz-IV-Empfänger auf die einzelnen Projekte aufgeteilt werden. Wenn in einem Projekt also eine Lücke entsteht, kann das Jobcenter dafür sorgen, dass sie geschlossen wird - und damit das Projekt auch begonnen werden kann.

Der Erfolg der Vermittlung in solche Projekte hat auch direkte Folgen für leitende Mitarbeiter. Sie sollen nach MZ-Recherchen Bonuszahlungen nur erhalten haben, wenn im Jobcenter die Vermittlungsquoten erreicht wurden. (mz)