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Armutsforscher Armutsforscher: Butterwegge sieht sich als wählbarer Kandidat zum Bundespräsidenten

05.02.2017, 21:00
Armutsforscher Christoph Butterwegge.
Armutsforscher Christoph Butterwegge. dpa

Magdeburg - Wenn am 12. Februar der neue Bundespräsident für Deutschland gewählt wird, tritt der Linke Christoph  Butterwegge gegen Außenminister Steinmeier (SPD) an. Hagen Eichler hat mit dem 66-Jährigen über Aufbruchstimmung, soziale Ungerechtigkeit und seine  Wählbarkeit gesprochen.

Herr Butterwegge, die Linke entsendet 95 Leute in die Bundesversammlung. Wenn es für Sie gut läuft, erhalten Sie mehr als 100 Stimmen, sind aber dennoch in der ersten Runde raus. Was bringt Ihnen die Kandidatur?
Christoph Butterwegge: Für mich gilt das olympische Motto: Dabeisein ist alles. Die Kandidatur gibt mir die Möglichkeit, die soziale Frage stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Als Wissenschaftler habe ich zum Beispiel weitgehend vergeblich versucht, eine Zahl bekanntzumachen: Das Geschwisterpaar Stefan Quandt und Susanne Klatten hat im vergangenen Jahr 994,7 Millionen Euro Dividende allein aus BMW-Aktien bezogen.
 
Sie halten das für unmoralisch?
Butterwegge: Mich stört die soziale Ungleichheit. Auf der einen Seite breitet sich die Armut bis in die Mitte der Gesellschaft aus, auf der anderen Seite konzentriert sich der Reichtum in wenigen Händen. Und wer reich ist, ist meistens auch politisch einflussreich, übt also Macht aus, die nicht demokratisch durch eine Wahl  legitimiert ist.


Sie wollen, dass der Staat von Frau Klatten und Herrn Quandt mehr Steuern kassiert. Wieviel genau?
Butterwegge: Wenn Firmenerben wie die beiden Genannten keine Funktionen in dem Unternehmen haben, müssen sie nur eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent bezahlen, was ungerecht ist, weil ein Facharbeiter, der viele Überstunden macht, den Spitzensteuersatz in Höhe von 42 Prozent bezahlt. Für Hyperreiche sollte er deutlich höher sein. In den 50er Jahren betrug er mal 91 Prozent! Ich will solche Oligarchen ja nicht enteignen, aber ihre breiten Schultern müssen mehr tragen.
 
Sie haben detaillierte Steuerpläne. Um die zu verwirklichen, müssten Sie doch für ein Parlament kandidieren, nicht für das Amt des Bundespräsidenten.
Butterwegge: Es wäre falsch, die Rolle des Bundespräsidenten auf die eines Notars zu reduzieren, der Verträge und Gesetze unterschreibt. Er hat zusätzlich die Aufgabe, die Gesellschaft aufzurütteln. Roman Herzog hat das mit seiner Ruck-Rede getan, leider in die falsche Richtung. Er hat die Bevölkerung zu sozialen Opfern aufgefordert und eine größere Leistungsbereitschaft gefordert. Ohne ihn hätte es vielleicht die Agenda 2010 gar nicht gegeben. Tatsächlich müsste ein Ruck durch Deutschland gehen, aber einer für mehr Solidarität, sozialen Ausgleich und Umverteilung von oben nach unten.


Soll der Bundespräsident dafür auch in die Tagespolitik eingreifen?
Butterwegge: Das haben Bundespräsidenten schon mehrfach getan, gehört aber nicht zu ihren Aufgaben. Denn die Tagespolitik machen Parlament und Regierung. Wenn diese jedoch zum wiederholten Mal ein Steuergesetz einbringt, das die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft, sollte das Staatsoberhaupt sie deutlich auf die fatale Wirkung ihrer Fehlentscheidung hinweisen. Die präsidialen Reden könnten ruhig politischer, also weniger pastoral und diplomatisch ausfallen.

Der Bundespräsident soll die politische  Richtung vorgeben?
Butterwegge: Die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten wird eine Richtungsentscheidung: entweder für ein „Weiter so!“ der Großen Koalition oder für einen Politikwechsel durch Rot-Rot-Grün. Mit der Wahl von Gustav Heinemann wurde 1969 die sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt vorbereitet.
 
Union und SPD haben sich auf einen Kandidaten festgelegt. Wofür würde ein Bundespräsident Steinmeier aus Ihrer Sicht stehen?
Butterwegge: In erster Linie für Kontinuität im Berliner Politikbetrieb. Aufbruchstimmung, die wir brauchen, um junge Menschen für Politik zu begeistern, erzeugt ein großkoalitionärer „Konsenskandidat“, den auch die FDP unterstützt, bestimmt nicht. Man braucht nur nach Österreich gucken, um zu sehen, wohin länger dauernde Große Koalitionen führen: zu einem Erstarken des Rechtspopulismus.


Die Wahl  zeigt wieder einmal, dass die Linke bis heute auf Bundesebene keine Bündnispartner findet. Gibt es keinen Kandidaten, der über die Linke hinaus wählbar ist?
Butterwegge: Ich bin das hoffentlich, denn ich fühle mich als ideeller Gesamtlinker mit ökologischem Einschlag, also als personelles Angebot an Grüne und Piraten, aber auch an sozialdemokratische Wahlmänner und -frauen, die der unsozialen Agenda-Politik kritisch gegenüberstehen. Martin Schulz als neuer Hoffnungsträger der SPD distanziert sich davon zwar leider nicht explizit, betont aber wie ich die soziale Gerechtigkeit und die Notwendigkeit einer gerechteren Steuerpolitik.
 
Mit Verlaub: Die Linke hat doch mit Ihnen einen Hartz-IV-Kritiker aufgestellt, um die SPD zu quälen.
Butterwegge: Vielleicht ärgert das einige in der SPD, die mich damals aus der Partei hinausgeekelt haben. Aber das Motiv der Linken, mich zu nominieren, war sicher eher, dass ich ihr zentrales Thema, die soziale Frage, seit Jahren in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken suche. Dass Herr Steinmeier und ich konträre Positionen zur Sozialstaatsentwicklung und zu Hartz IV einnehmen, macht doch den Reiz dieser Wahlentscheidung aus. (mz)

Zur Person

Als Politikwissenschaftler hat Christoph Butterwegge vor allem zum Sozialstaat, zu Armut und Migration geforscht. Zugleich war er auch politisch aktiv – in der SPD sogar zweimal. 1975 wurde er als Linksradikaler ausgeschlossen, 1987 erneut aufgenommen, um 2005 aus Protest gegen die Große Koalition auszutreten. Bis heute zitiert er gern Marx. Der emeritierte Professor der Universität Köln ist verheiratet und hat zwei Kinder. Am 12. Februar tritt er für die Linke bei der Wahl des Bundespräsidenten an.