1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Anschlag in Berlin und die Folgen: Terror in Berlin: Reiner Haseloff: "Wir sind nicht im Krieg"

Anschlag in Berlin und die Folgen Terror in Berlin: Reiner Haseloff: "Wir sind nicht im Krieg"

20.12.2016, 20:10
Mit mehreren Fahrzeugen und bewaffnet mit Maschinenpistolen sichert die Polizei seit Dienstag auch den Wittenberger Weihnachtsmarkt.
Mit mehreren Fahrzeugen und bewaffnet mit Maschinenpistolen sichert die Polizei seit Dienstag auch den Wittenberger Weihnachtsmarkt. Thomas Klitzsch

Magdeburg - Man dürfe sich nicht einschüchtern lassen vom Terror, sagt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Über den Anschlag in Berlin sprachen mit ihm die MZ-Redakteure Hartmut Augustin und Kai Gauselmann.

Herr Ministerpräsident, was waren Ihre ersten Gedanken und Gefühle, als Sie vom Anschlag in Berlin gehört haben?
Reiner Haseloff: Ich habe noch über der Post gesessen, als die ersten Meldungen hereingekommen sind. Von mir zu Hause in Wittenberg bis zum Breitscheidtplatz in Berlin sind es nur 60 Kilometer Luftlinie. Das ging mir schon an die Nieren. Als ich den Kollegen Müller (Regierender Bürgermeister von Berlin, Anm. der Red.) gesehen habe, konnte ich mir vorstellen, wie er sich fühlte. So etwas geht einem schon bis ins Mark. Ich habe dann mit dem Innenminister telefoniert und Maßnahmen beraten. Seit Monaten, seit den Anschlägen in Frankreich, haben wir in der Regierung befürchtet, dass so etwas passieren könnte. Deshalb war die Sicherheitslage ja schon auf dem höchsten Level.

Muss man jetzt schon Angst haben bei so alltäglichen und eigentlich harmlosen Dingen wie einem Weihnachtsmarktbesuch?
Haseloff: Nein. Die Strategie der Terroristen ist es, solche Ängste zu schüren und unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir befinden uns nicht im Krieg, das ist etwas vollkommen anderes und wir lassen uns den Krieg auch nicht von Salafisten in unser Land tragen. Hier gibt es den Versuch, in unsere intakte und demokratische Gesellschaft Unruhe zu bringen. Diese Wirkung darf sich nicht entfalten.

Sind die hiesigen Weihnachtsmärkte sicher? Müssen wir befürchten, dass es einen Anschlag auch in weiteren deutschen Städten und in Sachsen-Anhalt gibt?
Haseloff: An den größeren Weihnachtsmärkten haben wir überall Sicherheitsmaßnahmen. Das intensivieren wir noch: Mit mehr Polizisten, stärker bewaffneten Polizisten und, wo das sinnvoll ist, blockierten Zufahrten - eher mit Streifenwagen als mit Betonblöcken. Die meisten unserer Weihnachtsmärkte liegen aber auch nicht wie in Berlin zwischen großen Straßen, wo ohne Aufsehen Lkw so nah herankommen. Statistisch gesehen ist so eine Bedrohung zwar marginal - auszuschließen ist es aber eben nicht. Wir dürfen jetzt nicht hysterisch werden. Es geht vielmehr darum, sich sensibler gegenüber Bedrohungen zu verhalten. Wenn man auf dem Bahnhof ist, sollte man zum Beispiel auf herrenloses Gepäck achten.

Haben Sie persönlich Angst vor Terrorismus?
Haseloff: Nein. Ich will solche Ängste aber auch nicht kleinreden. Da kann man den Menschen nicht mit Statistiken kommen. Wir tun alles Menschenmögliche, um solche Anschläge zu verhindern - man kann in einer offenen demokratischen Gesellschaft solche Bedrohungen aber nicht völlig ausschließen. Deshalb muss jeder wachsam sein: Sensibel gegenüber Risiken, aber ohne hysterisch zu werden.

Sie selbst genießen als Regierungschef einen gewissen Schutz. Fürchten Sie um das Wohl Ihrer Angehörigen? Würden Sie Ihre Frau ruhigen Gewissens nach Berlin fahren lassen?
Haseloff: Ja, natürlich. Berlin ist jetzt nicht gefährlicher geworden. Aber auch ich bin in den vergangenen Jahren vorsichtiger geworden, was mein familiäres Umfeld angeht. Man darf sich aber keine Angst machen lassen, so dass unser Leben an Qualität verliert und wir unsere Werte nicht mehr leben können.

Wodurch hat sich die Sicherheitslage denn verschärft - die Flüchtlinge?
Haseloff: Wir reden über einzelne, die ein Problem sind, nicht generalisierend über die Flüchtlinge. Und natürlich gibt es auch in der deutschen Bevölkerung Menschen, die Verbrechen begehen. Andererseits sind unter den Flüchtlingen auch Menschen, die die Probleme ihrer Heimatländer zu uns gebracht haben. Darauf müssen wir reagieren.

Befürchten Sie, dass in der Folge des Anschlags die Akzeptanz der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen abnimmt. Kippt die Stimmung?
Haseloff: Ich hoffe, wir behalten in Deutschland die Nerven. Das Thema wird aber sehr stark instrumentalisierbar sein, gerade angesichts der Wahlkämpfe im kommenden Jahr, wie wir in den sozialen Medien erleben können. Umso wichtiger ist, dass Demokraten die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates nachweisen und aktiv verteidigen.

Politisch ruft der Anschlag einiges auf die Tagesordnung. Wir hatten im vergangenen Jahr zeitweilig einen Kontrollverlust und haben noch ein Kontrolldefizit. Es gibt zum Beispiel Flüchtlinge, die mit verschiedenen Identitäten bei uns sind. Das kann nicht sein.

Wie schließt man denn diese Kontrolllücke?
Haseloff: Indem die biometrische Registrierung voll umgesetzt wird. Dafür muss es Auflagen geben. Wer sich daran nicht hält, darf keine Leistungen bekommen. Das ist für die Behörden mühsam, aber nötig. Es funktioniert jetzt schon vieles. Das muss aber auch dauerhaft so sein.

AfD-Politiker wie der NRW-Landesvorsitzende haben frühzeitig den Anschlag für eine Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels instrumentalisiert. Das seien „Merkels Tote“. Halten Sie das für legitim?
Haseloff: Das ist einfach unanständig und unwahr. Politisch ist das unterirdisch. Ein Mörder hat Menschen getötet - und daraus eine solche Kausalkette abzuleiten, ist widerwärtig.

(mz)

Reiner Haseloff
Reiner Haseloff
dpa