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Mordfall Yangjie Li Mordfall Yangjie Li: Seltsame Telefonate nach Leichenfund

Von Lisa Garn 20.12.2016, 07:00
Der Angeklagte Sebastian F. im Gerichtssaal bei einem früheren Verhandlungstag.
Der Angeklagte Sebastian F. im Gerichtssaal bei einem früheren Verhandlungstag. Lutz Sebastian

Dessau - Ob es Probleme mit Sebastian F. gegeben hat? „Er war nicht so wie andere Kinder. Er war zappeliger und nicht pflegeleicht.“ Es dauert eine Weile, bis der schmalen Frau vor Gericht diese Sätze über die Lippen kommen.

Sie ist eng mit der Mutter von Sebastian F. befreundet und sagte am Montag im Mordprozess Yangjie Li als letzte Zeugin aus. Der 21-Jährige und seine gleichaltrige Freundin Xenia I. sind vor dem Landgericht angeklagt, im Mai die chinesische Studentin Yangjie Li vergewaltigt und ermordet zu haben.

Enge Freundin der Mutter von Tatverdächtigem Sebastian F. sagt aus

Am sechsten Verhandlungstag zeichneten Zeugen in groben Zügen ein Psychogramm des Angeklagten Sebastian F. Dabei kam am Montag vor allem der Freundin seiner Mutter eine wichtige Rolle zu.

Seit 40 Jahren seien die beiden Frauen eng befreundet, Sebastian F. kenne sie seit seiner Geburt. Trotzdem oder gerade deshalb mauerte die Zeugin. „Ganz normal“ sei dieser immer gewesen, „höflich und nett“. Erst als die Vorsitzende Richterin ein Machtwort sprach und die Staatsanwaltschaft härter nachbohrte, fielen ihr Details zur Entwicklung des Angeklagten ein, die für den Prozess relevant sein könnten.

Tatverdächtiger Sebastian F. im Mordfall Yangjie Li soll mehrfach in der Psychiatrie gewesen sein

„Er war mehrfach stationär in der Psychiatrie und in psychologischer Behandlung“, sagte die Zeugin. Dies habe sie aus Gesprächen mit der Mutter erfahren. Warum und in welchem Alter, das wisse sie nicht. Ihre Aussagen ließen darauf schließen, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit zu Ausbrüchen und auch zu Gewalt neigte. Das alles habe sie aber nur gehört, nie selbst festgestellt, sagte die Zeugin.

Sie wisse von Schwierigkeiten in der Schule, Sebastian F. habe sich mit Lehrern angelegt, es gab Prügeleien mit Schülern. „Und es soll da einen Vorfall gegeben haben: Er soll seinen Stiefbruder sexuell missbraucht haben“, berichtete die Frau. Später habe ihr Sebastian F.’s Mutter erklärt, die Vorwürfe hätten sich nicht bestätigt. Vor drei oder vier Jahren sei der Sohn dann zu Hause ausgezogen.

Man sah sich ab und zu, hatte lose Kontakt. Am 13. Mai schickte Sebastian F. der Freundin seiner Mutter eine seltsame Nachricht. An dem Tag, an dem Yangjie Li hinter dem Haus der Johannisstraße 7 - dort wohnte das Paar damals - tot aufgefunden wurde.

Zeugin im Mordfall Yangjie Li: „Mir ist an beiden nichts aufgefallen.“

Es ging um einen Umzug in das leerstehende Haus der Eltern in Meinsdorf. Die Pläne habe es wegen des Verdachts auf Schimmel in der Wohnung schon länger gegeben, doch an diesem Tag wurden sie plötzlich drängender. So schnell wie möglich wolle er umziehen, schrieb er. Früher oder später würde die Polizei alle Anwohner befragen.

Gewundert habe sie sich über diese Nachricht erst viel später bei der Vernehmung bei der Polizei, sagte die Zeugin. Zuvor hatte sie schon am 17. Mai geholfen, ein paar Dinge in das Haus zu fahren.

Damit wurden offenbar bereits vor dem bislang bekannten Umzugstermin am 21. Mai Gegenstände aus der Wohnung in der Johannisstraße nach Meinsdorf gebracht. „Mir ist an beiden nichts aufgefallen“, erinnerte sich die Frau vor Gericht an das Paar. Unterhalten haben will sie sich über den Mord an der chinesischen Studentin nicht groß. Auch nicht mit der Mutter von Sebastian F., mit der sie sich in all den Jahren manchmal fast täglich traf.

Sebastian F. soll wechselhaft gewesen sein

Ein Freund berichtete am Montag ebenfalls, dass nach dem Fund der Leiche hinter dem Haus des Paares angeblich nicht über den Fall gesprochen wurde. Sebastian F. und Xenia I. hätten ihm nur einen Artikel gezeigt. „Das soll ich Ihnen glauben? Da wird eine tote junge Frau im Gebüsch gefunden und sie trinken weiter Kaffee?“, fragte Nebenklage-Anwalt Sven Peitzner den Zeugen.

Sebastian F. gilt einigen Zeugen als schwer einschätzbar und wechselhaft. Mal ruhig, mal redselig und mitunter forsch und aufbrausend. Die Arbeit mit ihm beim DRK war offenbar schwierig.

Vorgesetzte bezweifelt Reife von Sebastian F.

Nicht alle Kollegen hätten gern mit ihm gearbeitet, erklärte eine Gruppenführerin vom DRK, damals Vorgesetzte von Sebastian F. Sie beschrieb ihn einerseits als „höflich und einsatzbereit“, aber als „noch nicht so erwachsen“ andererseits. „Er wollte etwas bedeuten, etwas darstellen, ein Held sein. So kam das rüber“, sagte die Zeugin. Einige Kollegen hätten ihn in Diskussionen als bockig und uneinsichtig erlebt. Manchmal habe sie sich gefragt, ob Sebastian F. die fachlichen Dinge verstanden habe.

Sie äußerte insgesamt Zweifel an seiner Reife, was die Verteidigung am Montag zum Anlass für viele Nachfragen nahm. Auch eine Vorgeschichte des Angeklagten bei Feuerwehren in Dessau-Roßlau wurden Thema. Mitglieder hätten vor F. gewarnt, erzählte die DRK-Mitarbeiterin, weil er mit Brandstiftungen in Zusammenhang gebracht wurde. „Uns wurde gesagt, dass wir vorsichtig sein sollten. Er hatte keinen guten Ruf, aber wir wollten ihm eine Chance geben.“

Auch die Gruppenführerin bekam am 13. Mai einen seltsamen Anruf. F. wollte seinen Dienst absagen, wirkte aufgewühlt und wiederholte mehrfach: „Ich will hier weg, ich muss ausziehen. Hier werden Leute umgebracht.“ Ängstlich habe er geklungen. „So kannte ich ihn nicht.“

Elektriker erhielt ebenfalls einen Anruf von Tatverdächtigem im Mordfall Yangjie Li

Einem Elektriker kam das nicht komisch vor. Er hatte am 13. Mai ebenfalls Nachrichten und Anrufe erhalten. Man kannte sich von diversen Terminen in der Wohnung und war per Du. Am Telefon sagte F. aufgeregt, er habe Angst, weil eine Leiche gefunden wurde und ein Mörder frei herumlaufe. Ob der Mann beim Umzug helfen könne, fragte F. Der Elektriker dachte sich nichts dabei. „Wenn in der Nähe eine Leiche gefunden wird, hätte ich auch Angst.“

Die Verhandlung wird am Dienstag fortgesetzt. Unter anderem ist die Mutter der Angeklagten geladen. (mz)