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Großbäcker Lieken Lieken: Großbäckerei in Weißenfels zahlt keinen Tariflohn

Von Steffen Höhne 08.12.2016, 09:21
Bereits im Sommer wurden die Fundamente für das neue Backwerk gelegt. Ende 2017 soll in Wittenberg die Produktion starten.
Bereits im Sommer wurden die Fundamente für das neue Backwerk gelegt. Ende 2017 soll in Wittenberg die Produktion starten. Lieken

Wittenberg/Weißenfels - An der neuen Brotfabrik wird kräftig gebaut. Die Grundmauern stehen bereits. Spätestens Ende 2017 will der Backkonzern Lieken in Wittenberg sein 200 Millionen Euro teures Werk in Betrieb nehmen. Gleichzeitig wird allerdings ein anderer Produktionsstandort in Sachsen-Anhalt, das Werk in Weißenfels, geschlossen.

Bereits als Lieken die Pläne im November 2015 bekannt machte, hagelte es vor allem von Seiten der 270 Mitarbeiter in Weißenfels Proteste. Politisch wurde die Diskussion kurz darauf, als der damalige Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) entschied, den Neubau mit der maximal zulässigen Summe von 11,25 Millionen Euro zu fördern.

Der Weißenfelser Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben (SPD) warnte bereits damals, Produktionsverlagerungen innerhalb des Landes zu subventionieren.

Großbäckerei Lieken in Weißenfels: 25 Prozent weniger Lohn

Um die Wogen zu glätten, machte Lieken-Chef Markus Biermann den Weißenfelser Mitarbeitern das Angebot, nach Wittenberg zu wechseln. „Sicher ist, dass wir ein großes Interesse haben, eingespielte Teams mitzunehmen“, sagte Biermann im MZ-Gespräch vor gut einem Jahr.

Wie sich nun herausstellt, sollen die Lieken-Mitarbeiter in Wittenberg aber zu deutlich niedrigeren Löhnen arbeiten. Die Beschäftigten in Weißenfels sollen kündigen und sich in Wittenberg neu bewerben.

Nach MZ-Informationen liegen die angebotenen Löhne etwa 25 Prozent unter dem derzeitigen Niveau. Für einen Facharbeiter macht das etwa 400 Euro weniger im Monat aus. Urlaubs- und Weihnachtsgeld fallen weg, ebenso erworbene Ansprüche. Das führt dazu, dass Mitarbeiter, die bereits seit 20 Jahren für Lieken arbeiten, in Wittenberg eine sechsmonatige Probezeit akzeptieren sollen.

Wie ist das möglich? Der SPD-Politiker Erben hat von Gewerkschaftern erfahren, dass nicht Lieken, sondern der tschechische Mutterkonzern Agrofert in Wittenberg die Brotfabrik führen soll.

Agrofert betreibt in der Lutherstadt bereits das große Düngemittel-Unternehmen SKW und baut auch die Backwarenfabrik. Laut Erben wird Agrofert das Werk wohl auch betreiben und die Waren an Lieken verkaufen.

Neues Werk der Großbäckerei Lieken in Wittenberg: Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Beschäftigten

„Agrofert unterliegt anders als Lieken nicht dem Tarifvertrag Brotindustrie Ost“, so Erben. „Es widerspricht aber der Förderphilosophie des Landes komplett, wenn Tarifflucht subventioniert wird.

Die Nahrungsmittel-Gewerkschaft NGG sieht es ähnlich: „Die Entscheidung von Agrofert, den Tarifvertrag der Großbäckereien im neuen Werk nicht anzuwenden, ist unverschämt. Da versucht ein Konzern ohne Not, sich auf Kosten der Beschäftigten Wettbewerbsvorteile zu verschaffen“, so Gewerkschafter Michael Anderke.

Lieken-Vorstand Biermann sagte auf MZ-Anfrage: „Einen Umzug des Werkes Weißenfels nach Wittenberg gibt es nicht.“ Ursprünglich sollte die neue Fabrik im Rhein-Main-Gebiet gebaut werden. Da dort kein geeigneter Standort gefunden wurde, habe Wittenberg den Zuschlag erhalten.

Das Werk in Weißenfels hätte so oder so keinen Bestand gehabt. Zu den künftigen Löhnen in Wittenberg äußerte sich Biermann nicht. Er teilte nur mit: „Es liegt aber auf der Hand, dass wir bemüht sind, nicht nur technisch-technologisch attraktive Arbeitsplätze zu schaffen.“

Zeigt das neue Werk der Großbäckerei Lieken in Wittenberg, dass die Förderpolitik in die falsche Richtung läuft?

Der Fall Lieken dürfte die Fördermittel-Diskussion in Sachsen-Anhalt erneut anfachen. Der Backkonzern Aryzta hatte in diesem Jahr bereits sein Fricopan-Werk in Klötze (Altmark) mit 500 Mitarbeitern geschlossen. Gleichzeitig wird staatlich subventioniert eine 100 Millionen Euro teure Fabrik in Eisleben (Mansfeld-Südharz) gebaut.

„Es zeigt sich, dass die Förderpolitik des Landes in die falsche Richtung läuft. Im Fall von Lieken sollte die Landesregierung ihren Einfluss auf Agrofert aber noch nutzen, um Tariflöhne durchzusetzen“, sagte Linken-Landtagsabgeordnete Andreas Höppner.

Höppner spricht dabei vor allem Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) an, der in Wittenberg wohnt. Haseloff hat beste Kontakte zu Agrofert-Chef Andrej Babis. Der tschechische Milliardär und Finanzminister hat nach 1990 einen riesigen Agrar-Konzern aufgebaut. 2013 erwarb Agrofert auch die angeschlagene Lieken und strukturierte sie neu.

Babis deutsche Basis wird aber offenbar in Wittenberg errichtet. Dort ist nicht nur der Sitz von SKW, Babis erwarb in der Stadt Immobilien, baut Betriebskindergärten, finanziert ein Museum und die neue Feuerwache, in die sich die Stadt günstig einmieten kann.

Höppner: Haseloff in der Pflicht

Wie das Wirtschaftsministerium am Mittwoch mitteilte, fiel die Fördermittel-Entscheidung in der Ära Möllring aus zwei Gründen: Zum einen habe es die Gefahr gegeben, dass große Teile der Lieken-Produktion aus Sachsen-Anhalt heraus in westliche Bundesländer verlagert werden. Zum anderen besteht die Chance, dass der Standort Wittenberg ausgebaut wird. Haseloff feierte das vor einem Jahr als Erfolg. Höppner sieht ihn nun in der Pflicht, sich auch für die Lieken-Beschäftigten einzusetzen.  (mz)