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Westrocker Kunze trifft auf SED-Generalsekretär Krenz  Westrocker Kunze trifft auf SED-Generalsekretär Krenz : "Lieber Betonkopf als Weichei"

Von Mathias Schulze 07.12.2016, 09:00
SED-Generalsekretär Egon Krenz spricht mit Heinz Rudolf Kunze.
SED-Generalsekretär Egon Krenz spricht mit Heinz Rudolf Kunze. dpa

Halle (Saale) - Rückblicke und Ausblicke. Ganz am Ende kommen der Dichter-Sänger Heinz Rudolf Kunze, Jahrgang 1956, und der letzte SED-Generalsekretär Egon Krenz, Jahrgang 1937, auf die kommunistische Idee zu sprechen. Ist sie ein für allemal vorbei? „Ich glaube, dass ein bestimmtes Modell einer sozialistischen Gemeinschaft gescheitert und erledigt ist, nicht aber die Vorstellung von einer alternativen, ausbeutungsfreien, menschenfreundlichen Gesellschaft“, so Krenz. Kunze, der im Buch „Ich will hier nicht das letzte Wort“ vornehmlich die Rolle des Fragestellers einnimmt, bleibt an dieser Stelle hartnäckig: Hat Krenz eine Vorstellung, wie die besagte Gesellschaft aussehen könnte?

Traut er sich ein Prognose zu? Antwort: „Zweimal nein. Zum einen: Ich sage zwar nicht, dass ich mutwillig den Sozialismus gegen die Wand gefahren habe, weil dies nicht zutrifft, aber ich bin mitverantwortlich dafür, dass wir nicht rechtzeitig die Weichen gestellt haben, um aus der Krise herauszukommen. (…) Und da ich etwas verbockt habe, will ich nicht schon wieder Ratschläge erteilen.“ Bedauerlich, dass Kunze nun nicht weiterfragt. So kommen ökonomische Probleme der DDR ebenso wie die Missachtung demokratischer Rechte und Freiheiten nur partiell zur Sprache.

Was hält Krenz von der AfD?

Schade, Krenz vermittelt im Gespräch nicht den Eindruck, als würde er sich aus seiner Verantwortung stehlen wollen. Hingegen wird die Gegenwart kommentiert, zum Zeitpunkt ihres Gespräches saßen sie in Halle, bei der Landtagswahl im März in Sachsen-Anhalt kamen gerade die Nichtwähler auf 38,9 Prozent. Und was hält Krenz von der AfD? „Nichts. Ich habe ihr Programm gelesen. Es ist reaktionär. Nationalistisch. Rückwärtsgewandt. (…) Ja, ich habe auch Angst, dass der enthemmte Kapitalismus vielleicht nicht mehr gezügelt werden kann. Aber da wählt man doch nicht AfD!“

Krenz und Kunze hatten sich schon einmal getroffen

Krenz und Kunze, beide trafen sich bereits in den 1980er Jahren im Rahmen der Aktion „Für einen atomwaffenfreien Korridor in Mitteleuropa“ in der DDR. Doch wie kam es zum aktuellen Gespräch? Für Kunze war das von Krenz herausgegebene Buch „Walter Ulbricht: Zeitzeugen erinnern sich“ (2013) - von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Gruselkabinett der Ewiggestrigen“ bezeichnet - ausschlaggebend. Der Musiker wandte sich an den Linke-Bundestagsabgeordneten und Musikproduzenten Diether Dehm. Dieser machte den Vorschlag, ein erneutes Gespräch einzuleiten, ließ anfangs beide zögern. Dass es nun doch als Buch vorliegt, kann als Gewinn betrachtet werden. Der Leser wird zum Beobachter einer Unterhaltung, die neben Altbekanntem auch Neues zu Tage fördert

„Ich will hier nicht das letzte Wort. Heinz Rudolf Kunze und Egon Krenz im Gespräch“

Klar, Krenz betont einen „Kulturkampf des politischen und medialen Mainstreams“, der sich weigere, die „DDR differenziert und im Kontext der Weltgeschichte (inklusive bundesdeutscher Geschichte) zu betrachten“. Klar, Krenz, lieber ein „Betonkopf als ein Weichei“, sieht fast überall „verbreitete Zerrbilder der DDR“. Es finden sich aber viele Ausführungen, die man nicht mit einem „Betonkopf“-Vorwurf diskreditieren kann. Krenz spricht über die Zwänge des Kalten Krieges, in dem die DDR kleine Handlungsspielräume hatte. Er berichtet über die Differenzen zwischen Honecker und Gorbatschow, betont die treibende Rolle Chruschtschows beim Mauerbau. Thematische Eingrenzungen und schärferes Nachfragen hätten dem Buch mehr Tiefe geben können.

„Ich will hier nicht das letzte Wort. Heinz Rudolf Kunze und Egon Krenz im Gespräch“, Hrsg. von Diether Dehm, Verlag Neues Leben 2016, 159 Seiten, 12,99 Euro (mz)

Heinz Rudolf Kunze fungierte als Fragensteller in dem Gespräch mit Egon Krenz.
Heinz Rudolf Kunze fungierte als Fragensteller in dem Gespräch mit Egon Krenz.
dpa