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Tod von Yangjie Li Chinesische Studentin Yangjie Li in Dessau getötet: Dokumentation einer grausamen Nacht auf 30 Seiten

Von Ralf Böhme 26.11.2016, 11:00
Überregionales Interesse: Ein Medien-Team aus China berichtet vom Auftakt des Prozesses live vor dem Landgericht Dessau.
Überregionales Interesse: Ein Medien-Team aus China berichtet vom Auftakt des Prozesses live vor dem Landgericht Dessau. dpa

Dessau-Roßlau - Sieht so der Mörder der chinesischen Studentin Yangjie Li aus? Ein Kerl, nach dem sich manche junge Frauen umdrehen. Groß, kräftig, kurz und modisch die Frisur, der Bart sauber getrimmt - Sebastian F., 21 Jahre. Keine Spur von Nervosität, sein Blick weicht nicht aus, er sucht das Gespräch mit dem Rechtsbeistand.

Ebenfalls auf der Anklagebank des Dessauer Landgerichts sitzt die gleichaltrige Xenia I. - auf den ersten Blick ein Mauerblümchen, leicht zu übersehen. Klein von Statur, aber mit großer Brille, schwächlich, die Haare hängen ins Gesicht. Ihre Augen sind fast immer nach unten gerichtet. Sieht so eine Frau aus, die eine andere, möglicherweise attraktivere Frau zu Tode quält?

Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Die Anklage, die von einem gemeinschaftlichen Mord nach brutaler Vergewaltigung des Opfers ausgeht, stützt sich auf mehrmonatige Ermittlungen eines großen Teams. Auf 30 Seiten sind dessen Untersuchungsergebnisse zusammengefasst. Wenn alles so zutrifft, ist es den Kriminalisten in enger Zusammenarbeit mit Gerichtsmedizinern gelungen, den Ablauf einer Schreckensnacht bis ins Detail aufzuarbeiten.

So war der Prozessauftakt der ermordeten Yangjie Li aus Dessau

Die Vorwürfe an die Adresse der beiden Verdächtigen lässt Zuschauer erschaudern. Selbst der Anklagevertreterin, die den Text abliest, stockt an mehreren Stellen die Stimme. Es dauert nicht lange, bis einige Frauen im Publikum mit den Tränen kämpfen und nach Taschentüchern greifen müssen. Männern ist das Entsetzen in den Gesichtern gleichfalls anzusehen. Viele Medienvertreter geben bald auf, alle Einzelheiten der Grausamkeiten zu notieren. Auch ihnen fällt es offenbar schwer, die ganze Brutalität der Handlungen umfassend aufzunehmen.

Fast eine halbe Stunde vergeht, ehe die Schilderung am Ende ist. Danach herrscht einen Moment lang atemlose Stille im Raum. Was in Erinnerung bleibt: Weder Sebastian F., der einen Ring am Finger trägt, noch Xenia I. lassen irgendwelche Zeichen von Rührung erkennen. Beobachter registrieren zudem, dass es zwischen ihnen keinerlei Blickkontakt gibt. Dabei leben die Beschuldigten seit Mai getrennt - in Untersuchungshaft. Er sitzt in der Strafanstalt in Raßnitz (Saalekreis) ein. Sie bleibt hinter Gittern im Gefängnis „Roter Ochsen“ in Halle.

Zuschauer Manuel Bemmann, ein junger Familienvater, hofft auf eine möglichst abschreckende Wirkung des Prozesses. „Potenzielle Sextäter sollten wissen, dass im Fall des Falles das Gesetz mit aller Härte angewandt wird.“

Jugendstrafrecht - kommt Sebastian F. und Xenia I. eine mildere Strafe zugute?

Ob das Gericht diesem Wunsch jedoch so nachkommt, ist noch unklar. Noch wisse niemand, welche Kriterien einem möglichen Schuldspruch zugrunde liegen. Aufgrund ihres Alters zur Tatzeit könnte den Beschuldigten, wenn sie verurteilt würden, der Vorzug des Jugendstrafrechts helfen.

Es sieht beispielsweise für Mord eine maximale Freiheitsstrafe von 15 Jahren vor. Sonst ist unter Umständen sogar ein lebenslängliches Wegsperren nicht ausgeschlossen. Rechtsanwalt Sven Peitzner, der die Eltern des Mordopfers als Nebenkläger vertritt, sagt: „Ob Jugendstrafe oder nicht, das wird sich erst im Verlaufe des Verfahrens herausstellen.“

Es falle ihr sehr schwer, die passenden Worte für das Verbrechen zu finden. Vanessa Donath aus Dessau ist tief bewegt: „Ich kenne Xenia und stehe vor einem Rätsel. Wir sind gemeinsam an einer Schule gewesen. Für mich ist die Tat einfach unvorstellbar. Wie konnte so etwas Schlimmes nur passieren?“

Das Schlimme besitzt eine Vorgeschichte, die allerdings einige Jahre zurückliegt. Laut Anklage soll sich Sebastian F. damals zweimal brutal an einer anderen jungen Frau, Cindy H. aus Dessau, vergangen haben. Schauplätze der Vergewaltigungen sind danach eine Lagerhalle des Deutschen Roten Kreuzes und ein privates Kleingartengrundstück gewesen.

Killer oder Sex-Bestien - kann man die Angeklagten im Mordfall Yangjie Li so bezeichnen?

In beiden Fällen habe der Verdächtige seine körperliche Überlegenheit ausgespielt und den Widerstand des Opfers gebrochen. Zur Anzeige sei es zunächst deshalb nicht gekommen, so die Staatsanwaltschaft, weil der Täter dem Opfer mit Vergeltung gedroht habe.

Herbert Müller ist einer von insgesamt 32 Besuchern, die ein Ticket für einen Platz im Gerichtssaal ergattert haben. Ihn treiben diese Fragen um: „Was sind das für Menschen? Was waren ihre Motive? Wie wurden sie zu Sex-Bestien, Killern oder wie man sie sonst noch nennen will?“ Solange man darauf keine Antworten finde, dürfte kein Dessauer mehr ruhig schlafen können.

Erste Anhaltspunkte jedoch gibt es. Es sind Teile des rekonstruierten Ablaufs der mutmaßlichen Vergewaltigungs- und Mordorgie. Ausgangspunkt sind die unbefriedigten sexuellen Bedürfnisse von Sebastian F. Laut Staatsanwaltschaft soll er der Lebensgefährtin mehrfach ein Ultimatum gestellt haben. Seine Forderung ist demnach auch Drohung: Entweder sie befriedige ihn zusammen mit einer zweiten Frau oder er werde sich von ihr trennen. Nachdem eine Verwandte das Ansinnen zurückweist, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf.

Reporterin von New Tang Dynasty Television Yiuan Zhou: „Die Verunsicherung über die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland groß ist.“

Spuren und Zeugen werden an den geplanten 19 Prozesstagen davon Zeugnis ablegen und zu einer gerechten Bestrafung führen. Das ist zumindest die Hoffnung der verzweifelten Eltern des Mordopfers, die den Prozess in ihrer Heimat via Internet verfolgen. Mittlerweile ruht die Urne mit der Asche ihrer Tochter in einem Schrein auf einem Friedhof im Nordosten des Riesenlandes.

Dass die Tat ihre Sühne findet, sei im Reich der Mitte nicht nur ein rechtliches Problem, sondern eine Frage der Ehre des Opfers. Das sagt Yiuan Zhou, Reporterin von New Tang Dynasty Television mit Sitz in New York. Sie berichtet vom Verfahren am Landgericht live nach China. „Es gibt ein riesiges Interesse, weil die Verunsicherung über die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland groß ist.“ Tausende junger Chinesen studierten in Deutschland, sagt sie, noch mehr würden künftig hier lernen wollen.

Ob Ausländerfeindlichkeit auch ein Motiv gewesen sein könnte, dazu gibt es bislang von keiner Seite eine Aussage. So darf nach dem ersten Prozesstag weiter gemutmaßt werden, dass Yangjie Li mehr oder weniger zufällig hemmungslosen sexuellen Aggressionen zum Opfer gefallen ist. (mz)