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Travestiestar Olivia Jones trifft AfD-Politiker Poggenburg Travestiestar Olivia Jones trifft AfD-Politiker Poggenburg im Landtag in Magdeburg

Von Jan Schumann 16.11.2016, 20:39
Mit feuerroter Mähne präsentierte sich die Travestiekünstlerin Olivia Jones im Landtag in Magdeburg. Vor ihrer Lesung traf sie den AfD-Politiker André Poggenburg zu einem Vier-Augen-Gesrpäch.
Mit feuerroter Mähne präsentierte sich die Travestiekünstlerin Olivia Jones im Landtag in Magdeburg. Vor ihrer Lesung traf sie den AfD-Politiker André Poggenburg zu einem Vier-Augen-Gesrpäch. dpa-Zentralbild

Magdeburg - Um über die Papageien-Perücke streichen zu können, hätte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann schon eine Klappleiter gebraucht. Olivia Jones ist eine Travestiekünstlerin wie ein Baum. Ihr Management behauptet, sie komme auf eine Gesamtlänge von 230 Zentimetern, „je nach Schuhwerk und Perücke“.

Nah dran am Spitzenwert ist sie am Mittwoch im Landtag in Magdeburg. Das Haar trägt sie feuerfarben, das Lederoutfit ist schwarz-pink-orange - eine Mischung aus Kakadu und Motorrad-Stuntman. Bevor es losgeht noch eine Umarmung mit der Grünen-Chefin. „Die Conny ist nicht klein, ich bin einfach so groß geraten“, sagt Jones.

Olivia Jones: Ein Hauch Glamour in der Landtagskantine in Magedeburg

Eine Dragqueen im Bikerlook sitzt nun in der Landtagskantine. Dort, wo wochentags Gyros mit Spätzle serviert wird und die Abgeordneten der Linken genauso ihre Stammplätze haben wie die Christdemokraten. Dort, wo in den Plenumspausen Bockwurst auf den Tisch kommt. Dort scheint am Mittwoch ein Schimmer von Reeperbahn und Glamour.

Olivia Jones, 46-jährige Kiez-Ikone aus Hamburg, hat sich zu einer Lesung angekündigt, eingeladen von der Grünenfraktion. Jones liest aus ihrem Kinderbuch „Keine Angst in Andersrum“. Ihre Mission: Sie will in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt für mehr Toleranz für Homosexuelle werben. Und vor allem: Sie will der AfD kräftig vor den Bug schießen. Sie ist so etwas wie Jones’ liebster Feind geworden.

Travestiekünstlerin Jones: Großer Andrang bei Lesung im Magdeburger Landtag

Doch zunächst inszeniert Jones, mit bürgerlichem Namen Oliver Knöbel, den wohl schillerndsten Auftritt in der Geschichte des Magdeburger Parlaments. Die Travestiekünstlerin trägt Schminke wie aus einem Disneyfilm und Wimpern aus einer anderen Welt. Wegen Jones sind am Mittwoch so viele Kamerateams im Landtag postiert wie sonst nur, wenn es Gerüchte gibt, es trete wieder mal ein Präsident oder Minister zurück.

Jones hat eigene Bodyguards mitgebracht. Sie holt die Lesebrille raus. „Damit verwandele ich mich innerhalb von Sekunden in eine Oma“, sagt sie mit sonorer Männerstimme. Rund 100 Gäste wollen sie hören, Abgeordnete aus mehreren Fraktionen sind gekommen.

Im Publikum ist auch die AfD vertreten. Die Abgeordneten Daniel Rausch und Hannes Loth hören sich die Lesung an. Wichtig ist dieses Detail an diesem Tag, weil die ernste Vorgeschichte des schrillen Showtermins eng mit der AfD verknüpft ist. Und auch mit der Art und Weise, wie sich die AfD seit der Landtagswahl im März als neue politische Kraft präsentiert.

Jones gegen AfD-Politiker Poggenburg: Anzeige wegen Volksverhetzung

Rückblick in den September: Den Anfang macht eine Strafanzeige in der berühmten Davidwache in Hamburg. „Volksverhetzung“ lautet Jones’ Vorwurf gegen Sachsen-Anhalts AfD-Fraktionschef André Poggenburg. Es ist die Zeit, in der in sachsen-anhaltischen Kitas und Grundschulen gerade Broschüren zum Aufklärungsunterricht verteilt werden.

Gleichstellungsministerin Anne-Marie Keding (CDU) ließ die Hefte in 2.000er-Auflage drucken. Darin werden Bücher empfohlen, die kindgerecht unterschiedliche Familienmodelle behandeln. Das ist Teil eines Aktionsplans, mit dem langfristig Akzeptanz für sexuelle Minderheiten wie Homo- und Transsexuelle geschaffen werden soll. Auch Jones’ Buch steht auf der Liste.

AfD in Sachsen-Anahlt stellt sich gegen Toleranzplan

Der AfD, immerhin stärkste Oppositionsfraktion im Landtag, ist der Aktionsplan der Landesregierung ein Dorn im Auge. Bundesweit, vor allem in Sachsen-Anhalt, läuft sie Sturm gegen eine vermeintliche „Frühsexualisierung“ von Kindern.

Die Partei will sich stark machen für die „klassische Familie“, macht öffentlich Stimmung gegen den Toleranzplan. Die PR-Bombe, die Jones im September dann endgültig aus der Fassung bringt, zündet die AfD-Fraktion auf Facebook: Einem Zitat von Poggenburg zum Aktionsplan („unverantwortliche Verblendung“) wird die Fotomontage eines aufgeschlagenes Schulbuchs zur Seite gestellt.

Überschrift: „Die neue Bildungslektüre für Kinder“. Auf den Buchseiten der AfD-Montage ist zu lesen: „Wie kann ich als Kind Sex haben? 5 Schritte, leicht erklärt. Heute: Warum du in Wirklichkeit homo bist.“ Und weiter auf Seite zwei: „Schreibe deine 7 erotischen Szenarien mit einem Erwachsenen auf!“

Jones will nicht die Klappe halten: Es geht um Liebe

Das ist zu viel für die Hamburger Künstlerin und der bundesweite Skandal ist perfekt. Wenn „Homosexualität mit Pädophilie in Zusammenhang gebracht wird, ist das für mich keine Frage von Meinungsverschiedenheiten mehr, sondern Volksverhetzung“, schreibt Jones in einem offenen Brief, nachdem sie die Polizei eingeschaltet hat.

Und sie setzt nach: Ihr sei klar, dass André Poggenburg das „von jemandem wie mir vermutlich als Ritterschlag empfinden wird. Aber ich will mich später nicht fragen lassen müssen, warum ich die Klappe gehalten habe“. Sie bezweifle, dass irgendjemand aus der AfD-Fraktion die Bücher der Ministeriumsbroschüre überhaupt gelesen habe.

Nachhilfe-Unterricht also. Das ist es, was die aufgetakelte Jones am Mittwoch im Landtag leisten will. Bevor sie zu lesen beginnt, richtet sie deutliche Worte an die AfD-Fraktion. „Nicht um Sex“ gehe es bei der Aufklärung der Kinder in den Büchern, „sondern um Liebe“.

Es gehe darum, dass auch junge Menschen verstehen können, dass Männer auch Männer lieben können „und davon die Welt nicht untergeht“. Wer das stattdessen als „Frühsexualisierung“ bezeichne - oder gar mit Pädophilie in Verbindung bringe - „gießt Öl ins Feuer der Diskriminierung“. Auch Intoleranz, so Jones, könne anerzogen werden.

Klare Fronten: Lüddemann dankt Jones für Unterstützung gegen AfD

Und die so gescholtene AfD? Machte kaum einen Hehl daraus, dass sie in dem Auftritt eine Anmaßung sah. Daniel Rausch hatte schon zuvor gesagt, er wolle doch mal schauen, „mit was unsere Kinder hier indoktriniert werden“. Während der Diskussion nach der Lesung warf er Jones dann vor, eine „Verkaufsveranstaltung für Ihr Buch“ zu veranstalten.

Wenn Grüne, Linke und auch Olivia Jones so tolerant seien, sollten sie doch auch die Meinung der AfD tolerieren. Tatsächlich hatte Lüddemann der Hamburgerin auf offener Bühne gedankt, „dass Sie uns im Kampf gegen die AfD unterstützen“.

Jones mit Poggenburg: Gespräch hinter verschlossenen Türen

Und Poggenburg? Hatte im September nach der Anzeige bestritten, dass Homosexualität und Pädophilie gleichgesetzt worden seien. Das sei „hineininterpretiert“ worden. Vor diesem Hintergrund war es überraschend, dass sich am Mittwoch Poggenburg und Jones, zwei liebste Feinde, noch zum kurzen Vier-Augen-Gespräch trafen. Dort lud Poggenburg die Hamburgerin zu einer Sitzung der Fraktion ein.

Zum Beweis für das Treffen schickte die AfD-Pressestelle ein Foto des ungleichen Gesprächs-Pärchens. Auf dem Schnappschuss hält die fast einen Kopf größere Jones einen Stapel Papier in den Händen - die sogenannte Magdeburger Erklärung, in der die AfD länderübergreifend zum Kampf gegen die Toleranzpläne aufruft. Handsigniert von Poggenburg.

(mz)

Vier-Augen-Gespräch im Landtag: Abseits der Öffentlichkeit trafen sich Olivia Jones (links) und AfD-Chef André Poggenburg vor der Lesung im Landtag. Ergebnis: Die Fraktion will Jones demnächst zur Diskussion einladen. Pressefotografen wollte die AfD bei dem Kurzgespräch nicht sehen. Stattdessen verschickten Mitarbeiter am Abend dieses Foto.
Vier-Augen-Gespräch im Landtag: Abseits der Öffentlichkeit trafen sich Olivia Jones (links) und AfD-Chef André Poggenburg vor der Lesung im Landtag. Ergebnis: Die Fraktion will Jones demnächst zur Diskussion einladen. Pressefotografen wollte die AfD bei dem Kurzgespräch nicht sehen. Stattdessen verschickten Mitarbeiter am Abend dieses Foto.
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Vier-Augen-Gespräch im Landtag: Abseits der Öffentlichkeit trafen sich Olivia Jones (links) und AfD-Chef André Poggenburg vor der Lesung im Landtag. Ergebnis: Die Fraktion will Jones demnächst zur Diskussion einladen. Pressefotografen wollte die AfD bei dem Kurzgespräch nicht sehen. Stattdessen verschickten Mitarbeiter am Abend dieses Foto.
Vier-Augen-Gespräch im Landtag: Abseits der Öffentlichkeit trafen sich Olivia Jones (links) und AfD-Chef André Poggenburg vor der Lesung im Landtag. Ergebnis: Die Fraktion will Jones demnächst zur Diskussion einladen. Pressefotografen wollte die AfD bei dem Kurzgespräch nicht sehen. Stattdessen verschickten Mitarbeiter am Abend dieses Foto.
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