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Auf dem rechten Weg Auf dem rechten Weg: Wie sich die AfD in die neurechte Szene integriert

Von Alexander Schierholz und Jan Schumann 04.11.2016, 06:00
Wie bei Greenpeace - die Identitären im Sommer mit der Aufsehen erregenden Aktion gegen Flüchtlinge auf dem Brandenburger Tor in Berlin.
Wie bei Greenpeace - die Identitären im Sommer mit der Aufsehen erregenden Aktion gegen Flüchtlinge auf dem Brandenburger Tor in Berlin. DPA

Magdeburg - Der 27. August ist ein Sommertag wie er im Buche steht, Sonne, wolkenloser blauer Himmel. Ideal für die Aktion, die die jungen Männer sich vorgenommen haben. Sie lehnen eine lange Leiter an das Bauwerk und hangeln sich hinauf, Sprosse für Sprosse. Ein paar Minuten nur, dann sind sie oben. Oben auf dem Brandenburger Tor. Sie entrollen ein riesiges Transparent, „Sichere Grenzen - sichere Zukunft“ steht darauf. Abends ist die Nachricht in der Tagesschau: Die rechtsextreme identitäre Bewegung hat das Brandenburger Tor besetzt.

Martin Sellner verfolgt die Aktion aus der Ferne. Sellner, 27, gilt als Führungsfigur der österreichischen Identitären und als strategischer Kopf. Für seinen Youtube-Kanal dreht er flugs ein Video, in dem er die Aktion feiert: Er sei „unfassbar stolz“, sagt er in die Kamera, „extrem stolz und froh über das, was die identitären Jungs heute in Berlin geleistet haben“. Der Film ist mehr als 34.000 mal abgerufen worden.

Demnächst wird Sellner selbst in Berlin sein. Am Sonnabend ist er als Redner gebucht bei einer „Konferenz für Meinungsfreiheit“ des rechtspopulistischen „Compact-Magazins“. Die Zeitschrift, verkaufte Auflage nach eigenen Angaben 41 000 Exemplare pro Monat, hat den Untertitel „Magazin für Souveränität“ und das Werbemotto „Mut zur Wahrheit“. Compact ist nach eigenen Angaben ein Magazin, das linke und rechte Denkpositionen zusammenbringt - ohne die Schranken der Political Correctness. Kritikern gilt Compact als Hetzblatt, mit Titeln wie „Invasion aus Afrika“ oder „Wollt Ihr den totalen Maas?“.

Chefredakteur und Gastgeber Jürgen Elsässer hat eine Reihe illustrer Referenten nach Berlin eingeladen: Pegida-Chef Lutz Bachmann ist dabei oder Karl Albrecht Schachtschneider - ein Staatsrechtler und EU-Kritiker, der unter anderem Verfassungsklage gegen die Euro-Einführung oder deutsche Hilfszahlungen für Griechenland eingereicht hatte. Auch ein Mann aus Sachsen-Anhalt steht auf der Redner-Liste: André Poggenburg, Landes- und Fraktionschef der AfD.

Der Mann also, der auch im Bundesvorstand seiner Partei sitzt, wo erst im Juni ein klarer Beschluss der Abgrenzung zur Identitären Bewegung gefasst wurde. Eine Zusammenarbeit ist demnach ausgeschlossen. Der Mann, der - wenn auch erst auf Druck aus den eigenen Reihen - ein ähnlich lautendes Positionspapier seiner Kreisvorsitzenden unterzeichnet hat.

Poggenburg wird nun also in Berlin gemeinsam mit einem führenden Vertreter der Identitären auftreten - die in Deutschland übrigens vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Wie verträgt sich das mit den Abgrenzungsbeschlüssen, Herr Poggenburg?

Der AfD-Landeschef ist im Auto unterwegs, als man ihn auf seinem Mobiltelefon erreicht. Es rauscht, zuweilen sind statt ganzer Sätze nur abgehackte Fetzen zu hören - dann ist Poggenburg gerade dabei, in einem Funkloch zu verschwinden. Seine Botschaft aber ist trotz aller Empfangsstörungen ganz deutlich: alles halb so wild.

Poggenburgs Position: Die „Compact“-Konferenz sei schließlich keine Veranstaltung der Identitären, Sellner dort - wie er selbst - auch bloß Gast. Die AfD wolle „gesprächsbereit in alle Richtungen sein“, er wolle sich anhören, was Sellner zu sagen habe. „Das ist kein Schulterschluss und keine Kooperation“. Die Beobachtung durch den Geheimdienst? Poggenburg bleibt kühl: „Die Identitäre Bewegung in Österreich wird meiner Kenntnis nach nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.“ Für den AfD-Fraktionschef ist der Fall damit erledigt. Er will sich offenbar alle Wege offenhalten.

Abgrenzungsbeschlüsse nur auf dem Papier

Wie glaubwürdig sind dann aber noch die Abgrenzungsbeschlüsse des Bundesvorstandes und der Landespartei? „Sie stehen auf dem Papier“, antwortet Helmut Kellershohn. Der Rechtsextremismus-Forscher vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung hat sich lange mit neuen rechten Bewegungen beschäftigt. Er sagt: „Es ist überhaupt kein Problem, solche Beschlüsse zu unterlaufen, es gibt genügend Wege, miteinander zu kommunizieren.“ Die Auftritte einzelner Funktionäre als Redner bei bestimmten Veranstaltungen seien kaum zu kontrollieren, meint Kellershohn. Im Zweifelsfall fingen sich die Betreffenden bloß eine Rüge der Parteiführung ein.

Poggenburg ist gut vernetzt in rechten Kreisen. Den Identitären Sellner hat er bereits bei einer Veranstaltung im „Institut für Staatspolitik“ des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek in Schnellroda (Saalekreis) getroffen. Und „Compact“-Chef Elsässer ist sogar ein alter Bekannter: 13. März, der Abend der Landtagswahl, ein Gewerbegebiet in Magdeburg. In einem Kongress-Zentrum feiert die AfD ihren 24-Prozent-Erfolg. Compact hat ein TV-Studio aufgebaut und sendet live von der Wahlparty ins Internet. Elsässer interviewt Poggenburg, auch Kubitschek gesellt sich dazu.

Neurechte Szene trifft sich immer wieder

Schnellroda, Magdeburg, Berlin: Die neurechte Szene trifft sich immer wieder auf verschiedenen Veranstaltungen. So auch am vergangenen Wochenende in Linz, Oberösterreich. Während draußen vor den altehrwürdigen spätbarocken Redoutensälen Gegendemonstranten protestieren, kommen drinnen die selbsternannten „Verteidiger Europas“ zum „Europäischen Forum“ zusammen. Auf der Referenten-Liste der rechten Netzwerker stehen unter anderem Jürgen Elsässer und Philip Stein.

Stein firmiert als Leiter des Internet-Projekts „einprozent.de“, eine Plattform, die versucht, verschiedene neurechte Initiativen zu vernetzen. Kernstück ist eine „interaktive Deutschlandkarte“. Wer Sachsen-Anhalt anklickt, stößt auf Ableger der Identitären in Halle, Dessau oder dem Harz. Ziel des Projektes sei es, eine „völkische Bewegung größeren Ausmaßes“ zu schaffen, meint Rechtsextremismus-Forscher Kellershohn. Ob die Initiative damit Erfolg haben werde, sei aber noch nicht absehbar.

Als wäre Sachsen-Anhalt eine Bananenrepublik

Auch in Sachsen-Anhalt hat „einprozent.de“ bereits von sich reden gemacht. Mitte März, ein Tag vor der Landtagswahl: Die Initiative schickt eine Pressemitteilung in die Redaktionen. Darin ist die Rede von einer erfolgreichen „Wahlbeobachter-Kampagne“, es wird zum Pressegespräch eingeladen. „Anschließend“, heißt es, „wird gemeinsam ein Wahllokal im Raum Magdeburg besucht.“ Man denkt sofort an die OSZE, an osteuropäische Autokraten. Als wäre Sachsen-Anhalt eine Bananenrepublik. Als Initiator der Aktion wird Philip Stein genannt.

Poggenburg sagt heute dazu, die Aktion sei mit der AfD nicht abgesprochen gewesen. „Aber wir haben das natürlich nicht abgelehnt.“ (mz)

André Poggenburg
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DPA
Lutz Bachmann
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Martin Sellner
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DPA