1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Saalekreis
  6. >
  7. Kirchengemeinden am Geiseltalsee: Kirchengemeinden am Geiseltalsee haben jüngste Pfarrerin in Sachsen-Anhalt

Kirchengemeinden am Geiseltalsee Kirchengemeinden am Geiseltalsee haben jüngste Pfarrerin in Sachsen-Anhalt

Von Ralf Böhme 27.10.2016, 20:51
Die ersten 100 Tage im Amt sind bald vorbei. Tatjana Eggert in Mücheln ist mit 32 Jahren die jüngste Pfarrerin in Sachsen-Anhalt.
Die ersten 100 Tage im Amt sind bald vorbei. Tatjana Eggert in Mücheln ist mit 32 Jahren die jüngste Pfarrerin in Sachsen-Anhalt. Andreas Stedtler

Mücheln - Luther als Playmobil-Spielfigur schaut zu, wie der kleine Leonhard süße Krümel nascht. Und Marmelade, das ist Verführung pur für ihn. Dass seine Mutter gerade acht Gottesdienste vorbereitet, ist dem Einjährigen dabei ziemlich egal.

Und ob er schon versteht, woran man ein echtes Reformationsbrötchen erkennt? „Der rote Klecks in der Mitte ist wichtig“, sagt Tatjana Eggert. Die Form hingegen sei der Lutherrose entlehnt, dem Siegel des Predigers aus Wittenberg.

Reformationstag in Mücheln (Saalekreis): Zu diesem Anlass sind für die jüngste Pfarrerin im südlichen Sachsen-Anhalt frische Reformationsbrötchen eine Selbstverständlichkeit. „Der Hefeteig schmeckt himmlisch.“ Und zudem erinnert das Gebäck an den Mönch, dem die evangelische Kirche letztlich die Existenz und sie ihren aktuellen Job verdankt - Luther. Sein Beitrag zur Weltgeschichte: Er übersetzte die Bibel ins Deutsche.

Jüngste Pfarrerin in Sachsen-Anhalt: Tatjana Eggert ist Gleichberechtigung wichtig

Nur so kann seit gut 500 Jahren jeder das Evangelium lesen und verbreiten. Bis heute ein Impuls mit Folgen, die weit über das Abendmahl für alle mit Wein und Oblaten hinausgehen. Was Eggert besonders wichtig ist: „Die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist ohne den Reformator schlicht undenkbar.“

In Mitteldeutschland liegt der Anteil der Pfarrerinnen bei 31 Prozent. Im Bundesvergleich ist das nur ein Mittelfeldplatz. Dennoch gibt es eine positive Tendenz. Im Vorjahr ist die Zahl der neu ordinierten Frauen auf 46 Prozent gestiegen. „Die jüngere Generation holt auf“, betont Christa-Maria Schaller, Gleichstellungsbeauftragte der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM). In der Landessynode, dem Parlament der EKM, sind 35 Prozent Frauen vertreten - ein Plus von sechs Prozent gegenüber 2009. Es gibt jedoch auch negative Entwicklungen. So sinkt der weibliche Anteil auf der mittleren Leitungsebene.

Die Zahl der Frauen, die das Amt eines Superintendenten ausüben, liegt bei 22 Prozent. Das ist ein Rückgang um sechs Prozent in fünf Jahren. „Die Gleichstellung bleibt ein Stachel“, erklärte Schaller. Immerhin gehöre die EKM aber zu den beiden Landeskirchen, an deren Spitze eine Bischöfin steht - hier Ilse Junkermann. (mz)

Zwar zähle man inzwischen viele Frauen in Amt und Würden. Alltäglich sei so etwas trotzdem nicht. Wenn eine Frau hierzulande auf die Kanzel steigt, ist das keinesfalls eine Alltäglichkeit.

Dabei schwankt der Frauenanteil im Pfarramt in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM) bereits zwischen 30 und 45 Prozent, je nach Region. Perspektivisch geht die Gleichstellungsbeauftragte der EKM, Christa-Maria Schaller, von einem paritätischen Verhältnis aus.

Momentan wählten ihr zufolge sogar mehr Frauen als Männer die Theologie als Studienfach. Schaller: „Juristisch sind Theologinnen ihren männlichen Kollegen - anders als vor 100 Jahren noch - völlig gleichgestellt.“ Problematisch sei hier und heute, ob es künftig überhaupt gelingen werde, genügend Nachwuchs für den Beruf zu interessieren.

Im Kirchsprengel vor Ort stellt sich manche Frage jedoch noch anders, bei Tatjana Eggerts Vorstellung so: Jemand aus Vorpommern? Und so jung? Dann noch mit einem Säugling? Wenn sich eine Kandidatin präsentiert, wie sie vor einigen Monaten, löst das nicht nur Neugier aus. Auch Skepsis und Zweifel.

Kann eine 32-jährige Berufsanfängerin auf ihrer ersten Pfarrstelle alles schaffen? Vor allem die Frauen aus den Gemeinden hätten sie jedoch ermuntert, so Eggert. Einige Männer hingegen sei das wohl schwer gefallen. Unterm Strich: eine gar nicht so leichte Entscheidung für die vier Kirchengemeinden am Geiseltalsee.

Tatjana Eggert, die jüngste Pfarrerin Sachsen-Anhalts, hat eine interessante Biografie

Was am Ende den Ausschlag gegeben haben mag, das lässt sich kaum ausmachen. Vielleicht der Reiz ihrer Vorgeschichte. Eggert stammt aus einem durch und durch atheistischen Elternhaus. Sie findet erst spät über Freunde zu ihrem Gott.

Aber vielleicht überzeugten auch prima Prüfungsnoten. Oder einfach ihre fröhliche Art. Oder doch mehr die eindrucksvolle Ordination im Merseburger Dom? Andererseits, die freie Stelle musste nach eineinhalb Jahren endlich wieder besetzt werden. Handlungsdruck.

Egal wie, Eggert nimmt es heiter, versteht das Besetzungsverfahren als „glückliche Fügung und Vertrauensvorschuss“. Ihre Einsicht: „Jetzt muss natürlich zurück gezahlt werden, täglich.“ Noch keine 100 Tage sind seit der Amtseinführung vergangen. Inzwischen zeichnet sich ab, irgendwie kommen alle unter einen Hut – die rund 1 200 Kirchenmitglieder und die Neue im schwarzen Talar.

Gerd Böttcher vom Gemeindekirchenrat in Langeneichstädt, ein ehemaliger Bauhandwerker, bescheinigt ihr auf alle Fälle mehr als nur guten Willen. „Wie die junge Pfarrerin ihre Aufgaben erfüllt, wirkt auf uns hier sehr erfrischend. Ich denke, dass tut den Kirchengemeinden sehr gut, hält sie lebendig.“

Wie in anderen Berufen auch, fällt der Spagat zwischen Familie und Beruf oft nicht leicht - in Eggerts Fall zwischen Kirchenkanzel, Tragetuch und Baby-Bett. Manchmal kann die Kinderkrippe einfach nicht helfen. Wie weiter, wenn das Söhnchen kränkelt? Und der Ehemann studiert noch in Halle, gleichfalls Theologie.

Rasch stapelt sich dann die Post auf dem Schreibtisch, beispielsweise aus der niederländischen Partnergemeinde mit der Anfrage: Wie wollen wir nun das Luther-Jubiläum gemeinsam vorbereiten?

Stress im Kirchenamt: Auch der jüngsten Pfarrerin in Sachsen-Anhalt verlangt der Beruf viel ab

Alltäglicher Stress verlangt der berufstätigen Mutter zusätzliche Anstrengungen ab. Bei Eggert liegt die Messlatte an diesem Punkt: „Keine Predigt darf ausfallen.“ Hinzu kommen Beerdigungen, Trauergespräche, Taufen, Trauungen - Anlässe zum Lachen und Weinen, wie Eggert sagt.

„Emotional selten kalkulierbar oder schon gar nicht über einen Kamm zu scheren.“ Dafür brauche es vor allem eins: Zeit. Die Pfarrerin, die sich als einfühlsame Hirtin versteht, will sie sich nehmen. Das gelingt manchmal, nicht immer.

Auch wenn auf den harten Bänken zuweilen nur 15 Zuhörer sitzen, Gottesdienst-Besucher erwarten Antworten. Versprecher oder Unstimmigkeiten bei der Liederauswahl, selbst die Suche nach dem passenden Abendmahlgeschirr - so etwas nimmt man nach Eggerts Erfahrung in Kauf, hilft, wo es sich anbietet.

Was wirklich zählt, ist die überzeugende Predigt. Und weil Glauben an Gott auch praktische Lebenshilfe sein soll, nimmt die junge Frau möglichst Bezug auf Ereignisse und Umstände aus der näheren Umgebung - oder greift zur Gitarre und singt.

Geburten, Krankheiten, Streitigkeiten - oft entwickeln sich daraus fundamentale religiöse Probleme. Eine Frage, die Christen früher oder später immer wieder stellen: „Wie komme ich denn nun in den Himmel?“ Eggert ist sich nicht sicher, ob es dafür die eine Gebrauchsanweisung gibt. „Die Bibel kann ein Kompass sein.“ Vielleicht ist dann auch schon der Weg das Ziel?

Soviel steht fest: Wer ein Pfarramt abseits der großen Städte übernimmt, lässt sich dabei auf Wanderarbeit ein. Allein im Geiseltal stehen zwölf Kirchen. Das bedeutet: Pfarrerin on Tour. Spätestens am Ewigkeitssonntag und erst recht noch an Weihnachten ist es soweit: Gottesdienst in dichter Folge. Qualifizierte Laien, darunter auch etliche Frauen, könnten Tatjana Eggert zur Seite stehen.

Doch die Leute vom Geiseltalsee möchten im dann voll besetzten Kirchenraum keinen Ersatz, sondern immer das Original sehen und hören: ihre Pfarrerin. (mz)