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Neues Stadtoberhaupt Bitterfeld-Wolfen: Setzt sich die AfD auch bei der OB-Wahl durch?

Von Lisa Garn 22.10.2016, 13:26
Das Rathaus in Bitterfeld-Wolfen.
Das Rathaus in Bitterfeld-Wolfen. dpa

Bitterfeld-Wolfen - In Bitterfeld-Wolfen wird gewählt. Am Sonntag steht die Wahl des Oberbürgermeisters an. Der AfD-Kandidat Kay-Uwe Ziegler hat neben Armin Schenk (CDU) und Eckbert Flämig (parteilos) die besten Chancen. Jan Kiese (SPD) und Marko Roye (Die Linke) gelten bei der Wahl als Außenseiter.

Bitterfeld-Wolfen: Oberbürgermeisterin Petra Wust tritt nicht mehr an

Eine gewisse Müdigkeit war ihr zuletzt schon anzumerken. Die vielen Kämpfe haben Spuren bei Petra Wust (parteilos) hinterlassen. Nach Stadtratssitzungen wurde gelästert: Die scheidende Bitterfeld-Wolfener Oberbürgermeisterin habe die Endphase ihrer Amtszeit vor allem mit drei Sätzen absolviert: „Die Kommune hat kein Geld“, „Das muss der Stadtrat entscheiden“ und „Da bin ich leidenschaftslos“. Eine kleine, etwas gemeine Überspitzung - die aber zur Stimmung passt in der 40.500-Einwohner-Stadt, wo bei vielen Frust herrscht.

Landtagswahl Sachsen-Anhalt: Knapp 32 Prozent für die AfD in Bitterfeld

Der hatte sich im März erstmals politisch niedergeschlagen, mitten in der Flüchtlingskrise: Zur Landtagswahl erreichte die AfD 31,9 Prozent im Wahlkreis Bitterfeld, ihr landesweit bestes Ergebnis. Beide Direktmandate gewann sie in Bitterfeld und Wolfen. Es war ein Denkzettel der Unzufriedenen. Am Sonntag könnte es den zweiten geben: Beim anstehenden Urnengang könnte erstmals in Deutschland ein AfD-Politiker zum Oberbürgermeister gewählt werden.

Die gefühlt schlechte Lage der fünftgrößten Stadt des Landes passt nur bedingt zur tatsächlichen Entwicklung. Diesen Widerspruch aufzulösen, das wird nun die Hauptaufgabe des neuen Oberbürgermeisters sein. Zum einen gibt es diesen erstaunlichen Wandel in der Industriestadt. Nach der Wende flossen Hunderte Millionen, um die Region zu sanieren. Die Umwelt erholte sich, es sind Naturschutzgebiete entstanden, der größte Tagebau ist nun ein Naherholungsgebiet: An die Goitzsche kommt jährlich eine halbe Million Besucher. Und im Chemiepark haben sich inzwischen mehr als 360 Firmen mit rund 12.000 Arbeitsplätzen angesiedelt.

Bitterfeld-Wolfen: Schuldenberg in Höhe von 73 Millionen Euro

Zum anderen sitzt Bitterfeld-Wolfen aber auch auf einem Schuldenberg von 73 Millionen Euro. Allein bei den Straßen beträgt der Investitionsstau 170 Millionen Euro. Und die Zahl der Einwohner sinkt sogar schneller als erwartet. Allein seit 2006 verlor die Stadt fast 10.000 Einwohner. 2012 brach der größte wirtschaftliche Hoffnungsträger, die Solar-Industrie, zusammen - und im Solar Valley bei Thalheim gingen fast 2.000 Jobs verloren.

Es gibt durchaus Licht und Schatten in Bitterfeld-Wolfen - außerhalb interessiert aber vor allem der Schatten. Das Wahlergebnis im März brachte Bitterfeld-Wolfen deutschlandweit in die Schlagzeilen: Wie ein Virus hatte sich ein Video von Spiegel Online verbreitet, das negative Äußerungen von Passanten über Flüchtlinge wiedergab.

Dieses deutschlandweite Interesse könnte wieder aufflackern. AfD-Politik-Neuling Kay-Uwe Ziegler, den ursprünglich sogar AfD-Vorsitzende Frauke Petry vor Ort in Bitterfeld-Wolfen unterstützen wollte, hat wohl neben CDU-Wirtschaftsexperte Armin Schenk und dem parteilosen Stadtentwickler Eckbert Flämig die größten Chancen im Rennen um den OB-Posten. Weniger Aussichten werden den Kandidaten Jan Kiese von der SPD und Marko Roye von den Linken eingeräumt. Die Amtsinhaberin Petra Wust (64) tritt aus Altersgründen nicht mehr an.

Kay-Uwe Ziegler (AfD): Keine Erfahrungen in Verwaltung und Politik - ein Vorteil?

Der Wahlkampf war lange hingeplätschert, bevor die AfD im August den 52-jährigen Ziegler aufstellte. Das war ein geschickter Schachzug: Ziegler ist Einzelhändler in Bitterfeld, bekannt und gut vernetzt. Ende 2015 hatte er das Ruder im Innenstadtverein übernommen - gegen Widerstände. Kurz zuvor war Ziegler mit einer Anonymous-Maske und einem Sarg, wodurch symbolisch Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie zu Grabe getragen werden sollten, durch die Bitterfelder Innenstadt gezogen. Eine Klamauk-Aktion. Heute würde er vielleicht andere Mittel wählen, sagt Ziegler. Dass er keine Erfahrungen in Verwaltung und Politik hat, gibt Ziegler als Vorteil aus. Bürgernähe ist sein Schlagwort. „Das Geld der Stadt aus Steuern und Zuweisungen muss beim Bürger landen.“ Und für stärkere Innenstädte will er eintreten. „Dafür darf der Handel nicht mehr in Randlagen angesiedelt werden.“ Ziegler sieht sich als Veränderer und Aufräumer. Er ist unnachgiebig, wenn er seine Meinung durchfechten will.

OB-Wahl in Bitterfeld-Wolfen: CDU-Kandidat Armin Schenk ist erfahrener Kommunalpolitiker

Die CDU schickt mit Armin Schenk einen erfahrenen Kommunalpolitiker ins Rennen. Der 55-Jährige ist Chef der Wirtschafts-Förderungsgesellschaft im Landkreis und sitzt seit Jahren im Stadtrat. Ihm wird eine ausgleichende Art nachgesagt und das Vermögen, Fraktionen zu einen. Aber ebenso attestiert man ihm den Willen zur Macht. Die desaströse Haushaltslage will Schenk als erstes angehen. „Die Stadt darf sich nicht weiter kaputt sparen. Sie muss sich wieder etwas leisten können“, sagt Schenk. Und für Sauberkeit und Sicherheit will er sorgen. Seine Vision: Bitterfeld-Wolfen als Stadt der Parks, der Digitalisierung und der Generationen. „Nach Jahren des Stillstands geht es darum, etwas zu bewegen, Vertrauen zurück zu gewinnen.“

Bitterfeld-Wolfen: Eckbert Flämig stellt sich als parteiloser Vertreter zur OB-Wahl

Der Dritte im Favoritenkreis, der 57-jährige Eckbert Flämig, wird unterstützt vom Bitterfelder Ex-Bürgermeister Werner Rauball, der für die Linke im Rat sitzt, und Wolfens Ortsbürgermeister. Er punktet mit Fachwissen aus der Zeit als Bitterfelder Dezernent für Wirtschaft und Bau, arbeitet als freiberuflicher Projektentwickler. Er ist der routinierteste unter den Chancenreichen, manchen aber zu lässig. Flämig hat vor allem die Stadtentwicklung im Blick. „Es muss Schluss sein mit dem Abriss. Die Aufwertung schafft man nur durch Um- und Neubau.“ Die Grundschulen wolle er auf Vordermann bringen, flexible Öffnungszeiten der Kitas am Industriestandort. Und die Stadtentwicklungsgesellschaft solle ihrem Namen gerecht werden. „Wir brauchen eine intelligentere Investitionssteuerung: entwickeln statt abreißen.“

Stimmung in Bitterfeld: Es wird alles anders - und zwar schlechter

Die Ziele zeigen: Viele Probleme haben sich angesammelt. Bitterfeld-Wolfen teilt sie mit anderen mittelgroßen Städten, die nach der Wende einen Strukturwandel erlebten und jetzt erneut den Zeitenumbruch spüren. Hier entlädt sich die Unzufriedenheit an der Städtefusion 2007, leeren Innenstädten, am Abriss in Wolfen-Nord, an Ruinen, am Verkauf des Goitzsche-Tagebausees 2013 oder am geplatzten Plan für ein Einkaufszentrum mitten in Bitterfeld. Das Gefühl überwiegt: Es wird alles anders - und zwar schlechter. Ob diese Grundstimmung zu ändern ist, auch daran muss sich der neue Oberbürgermeister messen lassen. (mz)