Mordfall Yangjie Li Mordfall Yangjie Li in Dessau: Gutachter sieht "Reifedefizite" bei Verdächtigen
Dessau/Halle (Saale) - Während das Landgericht Dessau-Roßlau das Verfahren im Mordfall Yangjie Li vorbereitet, werden weitere Einzelheiten aus der Anklage bekannt. Gefundene Spuren und andere Indizien sowie Zeugenaussagen haben die Ermittler in die Lage versetzt, den Tathergang mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu rekonstruieren. Die Indizienkette gilt für die Staatsanwaltschaft als weitgehend geschlossen. Jedoch haben die inhaftierten Beschuldigten immer noch kein Geständnis abgelegt, sie schweigen seit Monaten.
Eine wichtige Rolle in der Anklage spielen eindeutig zugeordnete genetische Fingerabdrücke, andere kriminaltechnische Nachweise und die Ergebnisse von Befragungen. Die Anklage geht demnach davon aus, dass der inzwischen 21-jährige Tatverdächtige und seine 20-jährige Lebensgefährtin, die beide in Untersuchungshaft sitzen, den Plan der Entführung und des Missbrauch des Opfers gemeinsam gefasst und durchgeführt haben.
Lebensgefährtin als Lockvogel?
Nach Auskunft von Gerichtssprecher Frank Straube spielte die Lebensgefährtin die Rolle des Lockvogels. Wo sich in den Abendstunden des 11. Mai ihre beiden kleinen Kinder aufgehalten haben, geht aus den Akten nicht hervor. Auf alle Fälle soll die Dessauerin die junge Chinesin auf der Straße angesprochen haben. In deutscher Sprache soll die Verständigung allerdings nicht geklappt haben. Offenbar verfehlten dann aber dramatische Gesten ihre Wirkung auf Yangjie Li nicht, die der aufgeregten Frau ins Haus gefolgt sein soll. Diese Hilfsbereitschaft wurde der 25-Jährigen wohl zum Verhängnis. Noch im Hausflur, so Gerichtssprecher Straube weiter, soll sie von dem jungen Dessauer erwartet und überwältigt, dann in eine leerstehende Wohnung verschleppt worden sein.
Was Straube auf Nachfrage betont: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkt, dass Yangjie Li freiwillig mitging. Im Gegenteil.“ Über weitere Details des Tatablaufs und des jeweiligen Anteils der Beschuldigten wolle man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht äußern. Das werde alles in der Hauptverhandlung, die nach MZ-Informationen im November beginnt, zur Sprache kommen. Allerdings erwähnte der Gerichtssprecher, dass in der Anklage von mehrfachem sexuellen Missbrauch und Spuren massiver Gewaltanwendung die Rede sei.
Ob während der Verhandlung sämtliche, teils grausige Einzelheiten ausgebreitet werden, muss das Landgericht von Fall zu Fall entscheiden. Ein juristischer Grundsatz: Sollte es zu dem Schluss kommen, dass die Ehre des Opfers posthum Schaden nehmen könne, darf die Öffentlichkeit innerhalb eines eng gesetzten gesetzlichen Rahmens zeitweise von der Verhandlung ausgeschlossen werden.
Gutachterlich gesichert ist nach Auskunft des Landgerichts, dass die beiden Beschuldigten uneingeschränkt schuldfähig sind. Das sei das Ergebnis einer psychiatrischen Untersuchung, die volle Steuerungsfähigkeit des Handelns bescheinige. Andererseits sollen „Reifedefizite“, so das passende Fachwort aus der Psychologie, nicht zu übersehen sein. Das könnte im Zweifel dafür sprechen, die Angeklagten nach den Bestimmungen des Jugendstrafrechtes zu behandeln. Das sieht bei Mord eine Höchststrafe von 15 Jahren vor. Im Erwachsenstrafrecht droht lebenslänglicher Freiheitsentzug. Die durchschnittliche Haftdauer liegt dabei um die 20 Jahre. In Einzelfällen kann lebenslänglich aber auch tatsächlich lebenslänglich heißen, wenn Sicherungsverwahrung angeordnet wird.
Klassischer Vertuschungsmord
Aus Sicht der Anklage, so hieß es in Justizkreisen, handelt es sich bei der Tötung Yangjie Lis um einen klassischen Vertuschungsmord. Im Kern: Um das Opfer und damit zugleich den wichtigsten Zeugen des Geschehens auszuschalten, bringt man es um. Dass es ausgerechnet Yangjie Li traf, so ein Ermittler zur MZ, sei wohl eher ein Zufall. „Es hätte auch eine andere junge Frau in Dessau treffen können, die in das sexuelle Raster der Täter gepasst hätte.“ (mz)