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Ausstellung "Big heritage"  Ausstellung "Big heritage" : Tritt Neustadt ein Denkmal-Erbe an?

Von Silvia Zöller 23.09.2016, 04:00
So gammelig sieht es am Marler Kulturzentrum aus. Der Traum von einer modernen Stadt hielt auch hier im Ruhrgebiet nicht lange.
So gammelig sieht es am Marler Kulturzentrum aus. Der Traum von einer modernen Stadt hielt auch hier im Ruhrgebiet nicht lange. Holger John

Halle (Saale) - Es sind die Ausgeburten der Hässlichkeit: Die Ruhruniversität Bochum, als Massenuniversität entstand der einen Kilometer lange Bau in den 60er Jahren. Oder das Klinikum Aachen, ein kalter Zweckbau mit viel Technik an der Außenfassade, eine Gesundheitsmaschine, erbaut ab 1969. Oder das Zentrum der heruntergekommenen Ruhrgebietsstadt Marl mit seinen zwei Rathaustürmen aus den 70er Jahren - quadratisch, praktisch, gut, aber nicht schön. Und trotzdem denkmalgeschützt.

Ob auch Neustadt den Status „Denkmal“ verdient, dem wollen ein Forschungsprojekt mehrerer Wissenschaftler der Bauhausuniversität Weimar und der TU Dortmund und eine Ausstellung in der Neustädter Passage nachgehen. Der Titel: „Big heritage (deutsch: großes Erbe) - Welche Denkmale welcher Moderne?“ Untersucht wird die internationale Architektur der Moderne von den 60ern bis in die 80er Jahre.

Forschungsprojekt läuft bis Januar

Abschließende Antworten gibt es noch nicht, betont Projektkoordinator Johannes Warda: „Die Forschung läuft noch bis Januar. Dann wird es eine Abschlusspublikation geben“, so der Weimarer Historiker und Architekturwissenschaftler. Die Frage, was in Neustadt Denkmalwert hat, kann der 32-Jährige jedoch positiv beantworten: Sowohl das Stadtzentrum mit den Scheiben als auch die Funktionszentren im damaligen „1.WK“ rund um das Gastronom gehören für den Forscher unbedingt dazu.

Noch bis zum 3. Oktober ist die Schau „Big heritage“ in den Räumen unterhalb des Neustädter Rathauses zu sehen. In Bildern und Dokumenten wird die Großbauweise von Neustadt in einen internationalen Zusammenhang gestellt - und nach den großen Fotoausstellungen zum Neustadtjubiläum 2014 sind hier wieder Bilder aus den Anfangsjahren zu sehen. Vor allem die Fotografen Bernd Walther und Gerald Große haben ihre Werke dazu beigesteuert.

Filme zeigen Neustadt der 60er und 70er Jahre

Am Freitag, 23. September, startet im Rahmen der Ausstellung ab 20 Uhr eine lange Filmnacht, in der Streifen aus dem alten Neustadt und aus dem Marl der 60er und 70er Jahre gezeigt werden - kostenlos, wie auch für die gesamte Ausstellung kein Eintritt gezahlt werden muss. Denn das Projekt wird aus Mitteln des Bundesforschungsministerium finanziert.

Zur Filmnacht werden auch Gäste aus Marl anreisen, die sich zum einem im Denkmalschutz engagieren, zum anderen aus der Marler Geschichtswerkstatt kommen. Am Samstag werden sie mit Neustädtern in einem offenen Workshop diskutieren und sich Neustadt gemeinsam anschauen. Ab 11. November wird die Ausstellung in Marl zu sehen sein.

Bauliche Parallelen zu Paris, Genf und Neapel

Denn auch darauf will die Ausstellung hinaus: Das Experiment Neustadt war fraglos für die Region etwas besonderes, nicht aber im nationalen und internationalen Kontext. Marl, einmal als grüne City am Rande des Ruhrgebiets geplant, war in den 70er Jahren ein Vorzeigemodell mit experimentellen Bauten, auch aus Fertigteilen wie in Neustadt. Der visionäre Glanz mit Shopping-Mall, Kulturzentrum und Wasserspielen wurde jedoch schon Ende der 70er Jahre blass - es folgten Abriss und die Diskussion um den Erhalt der hässlichen Rathaustürme, die nun für fast 40 Millionen Euro saniert werden sollen. Aber auch weltweit gibt es kastenförmige Großraumsiedlungen, sei es rund um Paris, im Baltikum oder in Italien: Und darunter sind top-sanierte Wohnanlagen wie die „Cité du Lignon“, ein 10.000-Einwohner-Vorort der schweizer Stadt Genf und der völlig verwahrloste und nur noch zu 60 Prozent bewohnte „Le Vele“-Gebäudekomplex in einem Vorort von Neapel, der von der Mafia kontrolliert wird.

Die Ausstellung ist mittwochs bis samstags von 13 bis 20 Uhr in der Neustädter Passage 13 zu sehen. Der Eintritt ist frei. Stadtrundgänge mit Frank-Torsten Böger am 24. September, 16 Uhr, und am 1. Oktober um 15 Uhr. Start jeweils in der Ausstellung. (mz)

Auch das Modell von Neustadt - komplett mit allen bereits abgerissenen Häusern - ist in der Ausstellung zu sehen.
Auch das Modell von Neustadt - komplett mit allen bereits abgerissenen Häusern - ist in der Ausstellung zu sehen.
Holger John