1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Reportage aus dem Brennpunkt Südpark : Brennpunkt Südpark in Halle: "Hier ist es wie im Ghetto"

Reportage aus dem Brennpunkt Südpark  Brennpunkt Südpark in Halle: "Hier ist es wie im Ghetto"

Von Robert Briest 09.09.2016, 06:00
Politische Diskussionen am Kaffeetisch: Jens Hankel  (links)  und seine Nachbarn sind sich einig, was in ihrem Viertel schief  läuft und warum. Der Frust im Südpark ist groß: Vermüllung, nächtlicher Lärm, viele Brände und eine Rattenplage machen ihnen zu schaffen.
Politische Diskussionen am Kaffeetisch: Jens Hankel  (links)  und seine Nachbarn sind sich einig, was in ihrem Viertel schief  läuft und warum. Der Frust im Südpark ist groß: Vermüllung, nächtlicher Lärm, viele Brände und eine Rattenplage machen ihnen zu schaffen. Silvio Kison

Halle (Saale) - „Beschissen.“ Manuela Schulze nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie nach dem Zustand ihres Viertels gefragt wird. Ihr Viertel, das ist der Südpark. Ein Plattenbaugebiet am Südrand der Neustadt zwischen dem beschaulichen Passendorf im Norden und der B80. Eine Durchfahrtsstraße gibt es nicht. Man kommt nicht zufällig her. Als Ghetto bezeichnen selbst viele Bewohner ihr Viertel. Die Unzufriedenheit ist groß, wie am Montag auch  Oberbürgermeister Bernd Wiegand erfahren musste, als sich der Unmut auf einer Bürgerversammlung entlud.

Die Frustration im Südpark ist auch zwei Tage später greifbar. Dabei sind die Lebensbedingungen hier auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Der Weg auf dem Manuela Schulze, eine schwarzhaarige Frau mit runder Brille und schwarzem Kleid ihren Einkauf nach Hause trägt, ist gesäumt von Wiesen und Sträuchern. Ohnehin bietet das Viertel viel Grün, Spielplätze, den benachbarten Park. Fußwege und Treppenaufgänge sind so belebt, wie sonst wohl nirgends in der Stadt. Überall spielen Kinder, sitzen kleine Grüppchen mit Tischen vor ihren Eingängen.

Müll und verdreckte Spielplätze

Doch man darf nicht zu genau hinschauen, denn in den Büschen liegt der Müll, die Spielplätze sind verdreckt. Zwar sind einige Wohnblöcke saniert und in frische Pastellfarben getaucht, doch gerade im Kern des Südparks,  entlang der Telemannstraße, stehen zwei lange Blöcke leer. Ihre Fenster und Türen sind vernagelt.

Bei Manuela Schulze überwog der positive Eindruck, als sie vor einem Jahr in den Südpark zog. „Es sah gut aus mit den Spielplätzen zwischen den Häusern.“ Heute sagt sie, es sei ein Fehler gewesen, hierher zuziehen. Wenn sie die finanziellen Möglichkeiten hätte, wäre sie sofort weg. Was sie stört, seien die Vermüllung, bis in die Nacht hinein lärmende Kinder und nächtliche Autorennen. Vor allem aber fühle sie sich nicht mehr sicher. „Ich habe mich mittlerweile mit einem Pfefferspray bewaffnet. Ich bin nicht die einzige Deutsche im Südpark, die Angst hat, allein rauszugehen.“

Überall stehen Einkaufswagen

Schulz hat auch eine klare Antwort, wer für die Probleme im Viertel verantwortlich ist: „Die Roma. Die kamen im letzten Jahr wie in Scharen.“ Diese Antwort ist an diesem Nachmittag fast so allgewärtig, wie die Einkaufswagen des nahen Kaufland, die sich an den unpassendsten Orten im ganzen Viertel wiederfinden, als wären sie Teil einer unverstandenen Kunstinstallation.

Auch ein älterer Herr mit stattlichem Schnauzbart, der einige hundert Meter weiter mit seiner Frau aus dem Küchenfenster lehnt, kommt beim Gespräch über das Viertel sehr schnell auf das Thema und liefert noch eine weitere wiederkehrende Einschätzung im Viertel: „Eigentlich ist es erst seit einem Jahr wirklich schlimm geworden.“

Zuzug von Ausländern

Als Grund sieht er den Zuzug von Ausländern, schränkt jedoch gleich ein: Man dürfe nicht alle über einen Kamm scheren. „Hier gab es schon früher viele Afrikaner, mit denen gab es aber kaum Probleme.“ Stolz deutet er auf seinen dunkelhäutigen Enkel, der vor dem Haus auf einem Fahrrad herumfährt.

Die Nordafrikaner seien problematisch, vor allem aber die Sinti und Roma, schimpft der Mann: „Wie die sich benehmen. Wir haben einen Garten in der Nähe, dort holen sie alles raus, was nicht niet- und nagelfest ist. Stadt und Polizei machen nichts. Die trauen sich auch nicht hierher.“ Besonders schlimm sei es in der Mendelsohn-Bartholdy-Straße.

Grünstreifen zwischen den Wohnblöcken

Die ist eigentlich mehr ein Weg im Süden des Viertels und wirkt von Weiten ganz beschaulich. Zwischen den langen Blöcken erstreckt sich ein Grünstreifen, in der Mitte ein großer Spielplatz mit buntem Holzboot. Doch der Sand ist durchmischt mit Plasteverpackungen, an der Häuserwand daneben, ist jemand beim Zeichnen an der Komplexität eines Hakenkreuzes gescheitert.

Eine Gruppe Kinder spielt dennoch im Sand. Am Rande sitzen zwei Mütter. Sie winken gleich ab, sie könnten kein Deutsch. Die gleiche Antwort gibt auch ein Gruppe Frauen, Mitte 40, einige Meter weiter. Ein junger Mann mit dunklem Haar und Kippe in der Hand, sagt, er spreche nur Rumänisch.

Französisch, Englisch, auch Deutsch

Touré Said ist da vielsprachiger. Französisch, Englisch, auch Deutsch. Der junge Mann im grünen T-Shirt, der mit seinen Freunden auf der Treppe vor einer unsanierten Platte am Anfang der Telemannstraße sitzt, ist an diesem Nachmittag ein Unikat. Said ist an diesem Nachmittag der einzige Bewohner des Südparks, der erklärt, er habe keine Probleme mit dem Zustand seines Viertels, in dem er sich seit anderthalb Jahren mit einem Kumpel eine Wohnung teilt. „Ich bin zufrieden“, sagt der Beniner. Von den regelmäßigen Bränden und der Kriminalität, über die viele seiner Nachbarn klagen, habe er nichts mitbekommen.

Die Polizei steht da allerdings gerade um die Ecke. Auf der Ernst-Hermann-Meyer-Straße diskutieren zwei Beamte vor einer entglasten Telefonzelle mit einer Gruppe Kinder. Die haben mit dem Notruf rumgespielt, berichten zwei ältere Damen, die die Situation aufmerksam beobachten. Auch auf der anderen Straßenseite sitzen ausreichend Schaulustige.

Vor einem Eingang haben es sich Nachbarn an einem weißen Plastiktisch gemütlich gemacht. Kaffee und Kekse stehen darauf, auch eine Dose Tabak. Es wird kräftig gedreht und geraucht. Wie sie die Situation im Viertel erleben? Jens Hankel, ein junger Mann mit kurzem Haar und Metallkette um den Hals, ergreift die Wortführerschaft. „Irgendwie sei es schon wie im Ghetto. Es gibt hier nichts Schönes mehr.“

Und wieder brennt es

Über den Grund braucht er nicht lange nachzudenken: „So etwas wie die, wollen wir hier nicht“, sagt er und deutet mit dem Kopf in Richtung einer Gruppe schwarzhaariger Kinder, die gerade vorbeilaufen. Er meint: Roma. Sie würden ständig Zeug aus dem Fenster werfen, mit viel zu vielen Menschen in den Wohnungen leben und im Garten mit Zaunpfählen grillen. Die Roma macht er auch für die Brände verantwortlich, die im Südpark zum Alltag gehören. „Die haben keinen Strom in der Bude, machen deshalb Kerzen an und dann brennt’s.“ Aus der Runde erntet er dafür viel Kopfnicken.

Sein Nachbar, ein junger Metallerlehrling aus Benin, hält sich zurück. Doch auch er klagt, über den Dreck im Hausflur und die Ratten. Überall würde man die Tiere sehen und hören, selbst in der Wohnung.
Die Berichte der Bewohner weisen noch eine weitere Parallele auf: Abends da sei es besonders schlimm in ihrem Viertel, laut und gefährlich. An diesem Abend ist davon allerdings wenig zu sehen und zu hören. Eine flackernde Hausnummerbeleuchtung gibt der Szenerie zwar einen Hauch von Verruchtheit, doch ansonsten ist der Südpark ruhig, fast ausgestorben.

Kleinere Gruppen meist jüngerer Männer

Vereinzelt laufen kleinere Gruppen meist jüngerer Männer durch die Straßen, ein paar Passanten mit Hund huschen vorbei. Die am Nachmittag noch so belebten Treppen vor den Häusern sind bis auf einige Raucher verwaist. Das gilt auch für den Spielplatz in der Bartholdy-Zentrum, den viele Gesprächspartner als Kernproblemzone beschrieben hatten.

„Heute ist die erste ruhige Nacht seit eigentlich einem Jahr“, erklärt ein kurzhaariger Mann, Mitte 50, der mit seiner Frau und zwei Hunden, gerade die Telemannstraße entlang läuft. Er sagt, dies liege an den vermehrten Streifenfahrten der Polizei nach dem Besuch des Oberbürgermeisters.

Rumänen mag er nicht

Allein heute Abend habe sie schon zwei Streifen gesehen, pflichtet ihm seine Frau bei. Endlich könne man abends mal lüften, freut sie sich. Ansonsten seien die Roma ja so laut. Sie tätschelt ihren Hund, einen großen weiß-braunen Mischling. Nur mit ihm traue sie sich abends raus. Ein Rumäne sei er, erklärt sie: „Aber Rumänen mag er nicht. Wenn er einen Ausländer sieht, dann schwillt ihm der Kamm.“ Dann verschwindet sie mit Mann und Hund in die Nacht.

Doch kaum eine Stunde später ist die Ruhe bereits wieder vorbei. In der  Praetoriusstraße brennen Paletten, in einem Block, der gerade saniert wird. Kurze Zeit später steht ein Sperrmüllcontainer in Flammen. Es sind die Brände zwei und drei in dieser Woche. (mz)