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Auf Streife in Magdeburg  Auf Streife in Magdeburg : Was macht ein Polizist eigentlich den ganzen Tag?

Von Franziska Höhnl 05.09.2016, 12:43
Michael Laube winkt in Magdeburg einen Rettungswagen durch den Verkehr.
Michael Laube winkt in Magdeburg einen Rettungswagen durch den Verkehr. dpa-Zentralbild

Magdeburg - Knapp vier Stunden nach Schichtbeginn drückt Michael Laube zum ersten Mal das Gaspedal durch. Dreimal schneller Knopfdruck, dann schallt die Polizeisirene durch Magdeburg und das Blaulicht leuchtet.

Der Streifenwagen 20/26 hat keine Zeit zu verlieren. Es ist 18.20 Uhr, der Feierabendverkehr verstopft noch die Innenstadt, eine Hauptzeit für Unfälle. Dieses Mal an einer Ampelkreuzung, mehrere Fahrzeuge, mehrere Verletzte, meldet die Einsatzzentrale per Funk. Michael Laube gibt Gas, die anderen Autos weichen aus. Bis zu 110 Stundenkilometer zeigt der Tacho.
Obwohl es schnell gehen muss, behält der 34 Jahre alte Polizeiobermeister am Steuer die Ruhe. Laube ist seit elf Jahren bei der Landespolizei und einer von etwa 1400 Beamten, die in Sachsen-Anhalt im Streifendienst arbeiten.

Wie sieht der Job im Alltag aus?

An der Unfallstelle im Stadtteil Neue Neustadt parken schon mehrere Rettungswagen und weitere Polizeiautos. Eine Straßenbahn steht, der Unfall blockiert die Gleise. Laube und seine Kollegin Jessica Stelzner steigen aus. Die Autofahrer müssen umgeleitet werden. Ohne Kelle, einfach per Handzeichen stoppen die beiden die Wagen oder winken sie in die Nebenstraße. Dreißig Minuten später ist alles erledigt. Ein alltäglicher Einsatz für das Duo. Und bei weitem nicht der letzte in der achtstündigen Spätschicht.

Viele Menschen glauben die Arbeit der Polizisten zu kennen, Krimiboom sei Dank. Auch die politischen Diskussionen drehen sich wieder um den Berufsstand: Wie viele Polizisten braucht man für die Sicherheit in Tagen, in denen die Zahlen der Diebstähle und Einbrüche steigen, die Unfallzahlen zunehmen und auch Amok und Terror scheinbar näherrücken? Doch wie sieht der Job im Alltag aus?

Wie ein Tag abläuft, weiß vorher niemand, sagt Polizeiobermeister Laube. „Das macht auch den Reiz des Berufes aus. Es ist nicht wie in einer Fabrik, wo ich weiß: Heute baue ich hier wieder 40 Teile zusammen.“ Doch die Unberechenbarkeit heißt auch nicht selten: Arbeiten bis an die Belastungsgrenze. „Hamsterradtage“ nennt Stelzner das. Laube erklärt: „Solche Tage gibt es oft.

Gerade manche Früh- oder Spätdienste fahren wir nur von A nach B, sind fast gar nicht auf der Wache und wissen am Abend nicht mehr, ob wir Männlein oder Weiblein sind.“
Auch in diesem Spätdienst knackt der Funk immer wieder und bietet kaum Verschnaufpausen: „20/26, bitte kommen“ ist das Zeichen für den nächsten Einsatz: Nachbarschaftsstreit, Unfall mit Radfahrer, Handtaschendiebstahl, Parkplatzrempler, Betrunkene, die mit ihren Kindern an einem Brunnen spielen.

Bewerberzahlen überstiegen die Stellen

Es ist Urlaubszeit, das Revier knapp besetzt. Jeder Krankheitsfall sorgt für neue Dienstpläne oder leere Funkwagen. Dieses Mal sind nur acht Autos in Magdeburg im Einsatz. Eigentlich sollten es zehn sein. Die spontanen Planwechsel bringen auch das Duo Stelzner/Laube für diesen Tag zusammen. Eigentlich sind sie in verschiedenen Pools und haben daher selten gemeinsam Schicht. Wer mit wem fährt, entscheidet der Streifenführer zum Dienstbeginn.

„Wir können Wünsche angeben“, sagt Laube. „Manche Kollegen planen sich auch immer zusammen und sind eingeschworene Teams.“ Selten komme es vor, dass man mit jemandem im Wagen sitze, mit dem die Chemie gar nicht stimme.

Laube ist eigentlich Leipziger. Doch als er sich 2005 für die Polizei bewarb, waren die Vorzeichen andere. Die Bewerberzahlen überstiegen um ein Vielfaches die Stellen. „Die Sachsen wollten mich damals nicht haben.“ Für ihn stand aber schon in der Schule der Berufswunsch fest. Bei den Nachbarn in Sachsen-Anhalt war er erfolgreich.

„Anfangs wollte ich nach Halle, um wieder näher am alten Leipziger Freundeskreis zu sein.“ Inzwischen ist er angekommen. Besonders gut fühlen sich Tage an, an denen er einen Verdächtigen schnappt oder merkt, dass er helfen konnte, sagt er.

Anders als vor zehn Jahren sind Polizisten in ganz Deutschland gefragt. Fast überall soll aufgestockt werden. Zu groß ist die Belastung durch Fußballspiele, Demonstrationen und Alltagskriminalität. 2,5 Millionen Verkehrsunfälle wurden 2015 in ganz Deutschland registriert, 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr. 3459 Menschen starben. In Sachsen-Anhalt waren es 145 Verkehrstote bei 74 400 Unfällen. Dazu kommen 6,3 Millionen Straftaten. Nicht in allen Fällen müssen die Streifenpolizisten übernehmen, oft aber schon.

Besonders viele Verkehrsunfälle

„Es ist ja kein Geheimnis, dass wir viel zu wenig Beamte sind“, sagt der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen-Anhalt, Uwe Petermann. 6000 sind es noch. Nach Berechnungen der Gewerkschaft 1000 zu wenig. „Viele reißen sich das Ärmelfutter raus, um alle Aufträge abzuarbeiten“, beschreibt Petermann den Alltag überall im Land. Die schwarz-rot-grüne Koalition will gegensteuern. Statt eines weiteren Abbaus soll es tatsächlich 1000 Polizisten mehr geben.

In Magdeburg sorgt die angespannte Personalsituation in der Schicht von Laube und Stelzner für einen belastenden Tag für alle Kollegen. Das Lagezentrum registriert 65 Einsätze und spricht von einer „sehr arbeitsintensiven Schicht“. Besonders viele sind Verkehrsunfälle. Auch Wagen 20/26 muss erneut zu einem fahren, kaum dass die Unfallstelle in der Neuen Neustadt geräumt ist.

Dieses Mal: Radfahrer von Auto gerammt. Etwa vier Kilometer entfernt, kein freier Wagen ist näher dran. Auch der Rettungswagen ist schon unterwegs. Wieder Blaulicht. Am Unfallort liegt ein verbeultes Fahrrad neben einem Auto. Der großgewachsene blonde Radfahrer steht in einer Traube von Zeugen. Eine Platzwunde leuchtet auf seinem Kopf, Schürfwunden hat er an Armen und Beinen. Ruhig beantwortet er die Fragen von Laube, dann steigt er in den Rettungswagen.
Die Autoinsassen stehen bestürzt neben ihrem Wagen.

Der Radfahrer kam auf dem Radweg auf der falschen Straßenseite entgegen, der Autofahrer sah ihn beim Rechtsabbiegen nicht. Es krachte und der Radfahrer flog im hohen Bogen über die Motorhaube. Die Zeugen bestätigen das. Polizeikommissarin Stelzner nimmt die Personalien und Aussagen auf.

Als Polizistin habe sie schon viele Unfälle erlebt und viele Einsätze, an denen sie lange zu knabbern hatte, sagt Polizeikommissarin Stelzner. „Ich war noch im Praktikum, da ist ein Mann gegen einen Brückenpfeiler gerast“, erinnert sich die blonde 27-Jährige. „Da war nichts mehr zu retten, aber ich war dabei, als wir die Nachricht den Eltern und der Ex-Freundin mit einem kleinen Kind überbringen mussten.“ Sie schluckt, bricht ab.

„Hass“ auf Fingerknöchel tätowiert

Ihre erste Leiche sei eine Frau gewesen, die wochenlang tot in ihrer Wohnung lag. „Das war gleich hier um die Ecke“, sagt sie und zeigt auf einen Wohnblock. Solche Einsätze gebe es häufiger, als man denke. „Der Zusammenhalt in der Stadt hat abgenommen. Viele wissen nicht, wer um sie herum wohnt und merken dann auch nicht, wenn jemand länger nicht auftaucht.“
Auch zu Nachbarschafts-Streitigkeiten müssten sie öfter als früher.

An diesem Tag zum Beispiel in einem langgezogenen Wohnblock mit mehreren Eingängen. Ein Innenhof mit wenigen Bäumen, einer Bank und einer winzigen Sandkiste. Dort sitzen zwei Männer am frühen Nachmittag, einen angeleinten Terrier und mehrere leere Bierflaschen um sich herum drapiert. Eine Nachbarin hatte die Polizei gerufen, ein Streit ist eskaliert.

Die Männer sollen ihr Sand in die Wohnung geworfen haben. Ein rotes Plastik-Eimerchen liegt wie zum Beweis noch auf dem Fensterbrett. „Ich halte mich da raus“, wiederholt der eine immer wieder, als die Polizisten eintreffen.

Der Schwarzhaarige sieht verlebt aus, auf seine Fingerknöchel hat er „Hass“ tätowieren lassen. Sein drahtiger, hochgeschossener Banknachbar redet sich in Rage. Er wisse schon, wer die Polizei gerufen habe, sagt er. Es gebe immer nur Ärger mit dieser einen Frau. Er wohne hier, er dürfe hier sitzen, sein Hund sei immer angeleint.

„Streiten ist nicht strafbar“

Laube und Stelzner stehen vor den beiden, stellen kurze Fragen, nicken. Auf die Sache mit dem Sand kommen sie zunächst nicht zu sprechen. Stattdessen nehmen sie Personalien auf und ermahnen: „Versuchen Sie doch, sich aus dem Weg zu gehen, wenn Sie wissen, dass es immer wieder Konflikte gibt.“ Das gleiche raten sie der Frau, die sie gerufen hat.

Der Sandwurf ist keine Sachbeschädigung, alles lässt sich ohne Schaden wegkehren. Daher gibt es auch keine Anzeige. „Streiten ist nicht strafbar“, sagt Laube. „Das muss ich immer wieder sagen. Unser Job ist auch oft der eines Sozialarbeiters.“

Im Moment können sich die beiden jungen Polizisten keine bessere Aufgabe vorstellen, sagen sie. „Ich habe für mich beschlossen, dass ich erst einmal Erfahrungen sammeln will, ehe ich über einen Wechsel etwa in die Kriminalpolizei nachdenke“, sagt Stelzner. Sie sei seit zwei Jahren Mutter, doch etwas anderes als ein Vollzeitjob komme für sie nicht infrage.

Es ist dunkel geworden. Die Polizistin und ihr Kollege räumen Wagen 20/26 für die Nachtschicht. Dann verschwinden sie im Revier. Eine halbe Stunde dauert ihr Arbeitstag noch. Zeit, um die Einsätze und Anzeigen des Tages niederzuschreiben, bevor es am nächsten Tag mit einem anderen Kollegen wieder quer durch Magdeburg geht.  (dpa)