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VW-Zulieferer-Streit VW-Zulieferer-Streit: Prevent und VW vor Gericht - Experten-Interview

24.08.2016, 08:54
Neuwagen von Volkswagen stehen in den Autotürmen der Autostadt am VW Werk in Wolfsburg
Neuwagen von Volkswagen stehen in den Autotürmen der Autostadt am VW Werk in Wolfsburg dpa

Leipzig - Der Abgas-Skandal ist noch nicht ausgestanden, da steht Volkswagen wieder in den Schlagzeilen:  Durch ausbleibende Teile-Lieferungen von zwei sächsischen Zulieferern, die zur Prevent-Gruppe mit Hauptsitz in Slowenien gehören, muss die Produktion in einigen deutschen VW-Werken gestoppt werden. Konzern und Zulieferer streiten sich vor Gericht. Der Fall wirft auch ein Schlaglicht darauf, mit welch harten Bandagen in der Branche gekämpft wird. „Zwischen Autokonzernen und ihren Zulieferern gibt es nur noch selten eine Partnerschaft“, sagt Branchenexperte Harald Schatz vom Unternehmen Peter Schreiber & Partner. Schatz arbeitete mehr als 20 Jahre als Führungskraft bei Autozulieferern und berät heute diese. 2010 erschien sein Buch: „Beziehungskrise – Die Gepflogenheiten in den Geschäftsbeziehungen zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferern“. Mit Schatz sprach Steffen Höhne.

Sind Sie von der Eskalation bei VW überrascht?

Schatz: Ja, mit der Motorsäge durchtrennt der Zulieferer gerade den Ast, auf dem er sitzt. Wenn ein Unternehmen seinen Großkunden vor Gericht bringt und dessen Produktion lahmlegt, dann muss er keinerlei Erwartungen mehr an diesen haben.

Nach dem Abgas-Skandal will VW sparen. Wurden die Daumenschrauben bei dem Zulieferer vielleicht zu fest angezogen?

Schatz: Ich kenne die genauen Hintergründe in dem Fall nicht und will daher nicht spekulieren. VW will Kosten senken, doch Einsparprogramme sind in der gesamten Branche eher die Regel als die Ausnahme. Es gibt eine Faustformel: 80 Prozent der Teile kaufen die Autobauer zu, etwa 20 Prozent ist eigene Produktion. Beschließen die Konzernvorstände nun, die Kosten um zehn Prozent zu senken, dann wird natürlich zuerst bei den Zulieferern begonnen. Dort sind die Effekte größer. Viele Kostensenkungen werden inzwischen auch schon vorab vereinbart.

Wie sieht das aus?

Schatz: Zulieferer müssen heute in der Regel bei mehrjährigen Lieferverträgen zusichern, die Teile jedes Jahr um x-Prozent billiger zu verkaufen. Da Löhne und Energiepreise steigen, muss der Zulieferer das vorab in seinen Preis mit einkalkulieren. Problematisch wird die Situation dann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Beispielsweise wenn der Auto-Konzern wegen einer Absatzkrise weniger Teile abnimmt als vorgesehen. Dann wird versucht, einfach neue Konditionen zu diktieren. Die Auto-Konzerne sitzen da meist am längeren Hebel. Eine partnerschaftliche Beziehung gibt es in vielen Fällen nicht mehr.

Seit wann ist das so?

Schatz: Das kann man zeitlich sehr genau einordnen. Es fing mit dem GM-Manager José Ignacio López de Arriortúa an, der Anfang der 90er Jahre zu Opel kam. Damals badeten die deutschen Auto-Hersteller noch in Absatzerfolgen durch die Wiedervereinigung. Die japanische Konkurrenz wurde aber immer effizienter und drohte die deutschen Autobauer bei den Kosten abzuhängen. López ordnete daher bei Opel die Teile-Zulieferung neu und drückte die Preise. Später wurde er von VW als Kostensenker geholt. Das war für die deutsche Auto-Branche einerseits ein Segen, da sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte. Andererseits verfielen die Sitten im Umgang miteinander. Heute liegen die Umsatzrenditen mittelständischer Zulieferer bis auf wenige Ausnahmen zwischen einem und drei Prozent. Das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. In kaum einer anderen Branche muss man sich zudem so nackt ausziehen.

Nackt ausziehen?

Schatz: Bildlich gesprochen. Seit 2002/2003 müssen bei fast allen Herstellern mit der Angebotsabgabe auch die Kalkulationen offengelegt werden. Die Autobauer wissen daher recht genau, wie viel der Zulieferer verdient. Das muss nicht nur schlecht sein. Zulieferer können sehr transparent darlegen, wo ihre Schmerzgrenze liegt. In der Regel wird diese von den Einkäufern auch nicht überschritten. Dennoch ist die Situation zwischen den Parteien zumeist angespannt.

Beide Seiten sind aber aufeinander angewiesen?

Schatz: Das ist richtig. Während der Wirtschaftskrise 2008/09 mussten die Auto-Konzerne auch mit Milliarden-Hilfen ihre finanzschwachen Zulieferer stützen, die sonst pleite gegangen wären. In der Folge wären die Lieferketten gerissen. Doch mittelfristig haben die Fahrzeugbauer immer mehrere Lieferanten für eine Komponente und spielen dies gnadenlos aus. 

Wie reagieren die Zulieferer darauf?

Schatz: Viele Schlüpfen unter das Dach eines größeren Zulieferers. Bosch, Magna oder Continental sind selbst weltweit agierende Unternehmen. Auch diese stehen unter einem enormen Kostendruck, haben in Preisverhandlungen mit den Autobauern aber eine stärkere Position.

Und wer eigenständig bleiben will?

Schatz: Der muss langfristig in seinem Bereich Technologie-Führer sein. Es gibt viele Mittelständler, die in einer Nische sehr erfolgreich agieren. Sie bieten Teile an, die nicht so schnell kopiert werden können oder durch Patente geschützt sind. Doch auch diese müssen bereit sein, mit den Konzernen etwa in neue Märkte wie China zu gehen. Es wird erwartet, dass auch die Zulieferer dort präsent sind. Wie das finanziert wird, interessiert die Einkaufsmanager in der Regel nicht.

Elektro-Mobilität und selbstfahrende Autos sind starke Trends. Was bedeutet das für die Zulieferer?

Schatz: In einigen Bereichen werden die Karten neu gemischt. Das bietet die Chance, Technologie-Führer in neuen Segmenten zu werden und damit seine Marktposition zu stärken. Mit Tesla, Google und Apple entstehen vielleicht auch neue Abnehmer. Grundsätzlich glaube ich aber, dass sich an den großen Trends wenig ändert. Die Zahl der mittelständischen Zulieferer wird weiter zurückgehen. Es entstehen große Zuliefer-Konzerne, die wenigen, mächtigen Auto-Konzernen gegenüberstehen. (mz)