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Geburtstag  Internet hat Geburtstag: Ein Vierteljahrhundert unterwegs im WWW

Von Steffen Könau 06.08.2016, 12:40
Seit 25 Jahren online: Das Internet für eine breite Nutzerschicht.
Seit 25 Jahren online: Das Internet für eine breite Nutzerschicht. Illustration: Könau

Gerademal 60 Zeilen Text braucht Tim Berners-Lee, um die ganze Welt zu verändern. „Das WWW-Projekt verbindet Techniken der Informationsverarbeitung und der Vernetzung und schafft ein einfaches, aber leistungsfähiges globales Informationssystem“, schreibt der Informatiker des Kernforschungszentrum CERN in der Nähe von Genf am 6. August 1991 in der Newsgroup alt.hypertext.

Dass er das tun kann, verrät schon, dass es das Internet im Sommer vor 25 Jahren schon gibt: Bereits 1969 ist der erste Netzknoten an der Uni von Los Angeles angeschaltet worden, später im selben Jahres hängen schon vier Universitäten an der damals noch Arpanet genannten Datenverbindung.

Im Dezember 1974 wird die erste Version des Internet-Protokolls beschlossen, die es verschiedenen Rechnern möglich macht, dieselbe Sprache zu sprechen. 1972 entwickelt der Holländer Ray Tomlinson das erste E-Mail-Programm. Und 1984 entsteht das bis heute gültige Adresssystem des Netzes.

Dennoch ist es der gerade 36-jährige Physiker Berners-Lee, der mit seinem Newsgroup-Eintrag zum Erfinder der Zukunft wird. Ein Jahr zuvor hatte der Sohn eines englischen Mathematiker-Paares, das an der Entwicklung der ersten britischen Röhrenrechner beteiligt war, damit begonnen, Möglichkeiten zu suchen, wie sich der Informationsaustausch zwischen französischen und den schweizerischen CERN-Labors beschleunigen lässt.

Die beiden Länder betreiben unterschiedliche Netzwerke, Berners-Lee entwickelt eine Hypertext-Sprache, die beide verstehen. „Es sollten möglichst viele Informationen für jedermann frei erhältlich sein“, beschreibt er das Projekt, das er zuerst „Mesh“ wie Gewebe nannte, dann aber in „World Wide Web“ oder „W3“ umtaufte.

Das Internet für alle: eine Idee ohne Gewinnerwartung

Fast alles, was heute so gern als „Internet“ bezeichnet wird, entstammt dem Kopf des Mannes, der inzwischen am Massachusetts Institute of Technology lehrt und sich im World-Wide-Web-Consortium um allgemeine technische Standards für das WWW kümmert.

Berners-Lee ist der Erfinder der HTML-Sprache, in der die meisten Internetseiten geschrieben sind. Von ihm stammt das Prinzip der URL-Adressen, er erstellt die erste Webseite info.cern.ch und er programmiert den ersten Browser.

Der Brite, der neben Informatik auch Physik studiert hat, verbindet mit seinen Ideen keine Gewinnerwartungen. „Sie können nicht vorschlagen, dass etwas ein universeller Raum sein soll und zugleich die Kontrolle über ihn behalten“, sagt er.

Berners-Lee stellt seine Konzepte zur freien Verwendung zur Verfügung - vermutlich hat sein WWW aus diesem Grund einen Siegeszug angetreten, der es heute zur mächtigsten Erfindung macht, die die Menschheit bisher gelang.

Berners-Lees Manifest von 1991 ist im Rückblick das Gründungsdokument einer neuen Welt, die Geburtsurkunde einer Technologie, die das Leben auf der Erde verändert wie die Erfindung von Rad und Buchdruck.

Lesen Sie hier, wie sehr das Internet die Welt verändert hat

Schon heute ist nichts mehr wie damals, als das Netz ein Ort für Technikfans ist, die sich über die Probleme mit langsamen Modems und abstürzenden Rechnern unterhalten.

Noch 1993 gibt es für Nutzer keinen Grund, sich in der virtuellen Welt umzuschauen. Kaum eine Firma hat eine Homepage. Wozu auch, hier ist ja kaum Kundschaft. Die aber bleibt aus, weil es für sie nichts zu sehen gibt: keine Shops, keine Blogs, keine Auktionen, kaum Bilder. Musik und Videos sowieso nicht.

Ende 1995 sind dann aber doch knapp 10 000 Webserver online. Und nun geht alles ganz schnell. Ende 2000 gibt es bereits 17 Millionen Seiten im WWW, fünf Jahre später sind es 64 Millionen. Und noch mal zehn Jahre weiter ist die Zahl auf 863 Millionen explodiert.

Aus null Nutzern von Berners-Lees W3 sind in derselben Zeit mehr als 3,4 Milliarden geworden. Und aus den unkommerziellen Anfängen wuchs das größte und profitabelste Geschäft aller Zeiten.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Start ist es eine Handvoll Internetriesen, die die neue Welt dominiert, regiert und in ihr abkassiert. Google, Facebook und Amazon aus den USA und ihre chinesischen Konkurrenten Alibaba und Tencent beherrschen Märkte wie Monopolisten.

Das WWW, als Ort gedacht, an dem alle Informationen gleichberechtigt zu finden sein sollten, ist zu einem Nebeneinander gigantischer Nischen geworden. Einkauf heißt Amazon. Suche ist Google. Kommunikation macht Facebook. Nachrichten liefert Twitter, Video Youtube und Musik kommt von Spotify. Fertig.

Es ist die Büchse der Pandora, denn im Moment der Verwandlung in eine Profimaschine zeigt das WWW seine größte Schwäche: Es folgt dem Prinzip des größten Haufens, der alles anzieht wie ein Schwarzes Loch. Alle Besucher, alle Umsätze, alle Gewinne. Die sind dann so hoch, dass selbst bessere Alternativen keine Chance haben, sich zu entwickeln. Sie werden aufgekauft, ehe sie die kritische Masse an Nutzern erreicht haben.

Waren die zehn größten WWW-Firmen vor 20 Jahren gemeinsam 18 Milliarden Euro wert, bringen es ihre neun Nachfolger - Apple war schon damals dabei - heute auf den sagenhaften Wert von 2,4 Billionen Euro. Das ist zweieinhalbmal mehr als die 30 größten deutschen Unternehmen zusammen auf die Waage bringen.

Und trotzdem erst der Anfang. Wickelte Google am Anfang 10 000 Suchanfragen am Tag ab, sind es heute 3,5 Milliarden. Pro Sekunde viermal mehr als seinerzeit am Tag. Amazon verkauft 13 Mal so viele Waren wie vor zehn Jahren und kommt damit auf ein Viertel des Umsatzes des deutschen Einzelhandels.

Und Facebook, das 2006 zwölf Millionen Nutzer hatte, zählt jetzt 1,6 Milliarden Mitglieder, die der größten Werbeplattform der Welt jeden Tag und freiwillig Terabytes an vermarktbaren Inhalten schenken.

Das WWW ist Alltag für Milliarden, Informations- und Unterhaltungsquelle, Fernsehsender, Zeitung, Supermarkt und Doktor, Bank, Fotoalbum und Musikbox. Es sieht perfekt aus, es macht Spaß, man muss es nicht einmal verstehen, denn es funktioniert nicht nur einfach auch so, dank Smartphone begleitet es jeden sogar überallhin.

Gemessen an der Entwicklungsgeschichte des Automobils ist Tim Berners-Lees Idee heute im Jahr 1911 angekommen. Das Modell T von Ford war das Auto jener Zeit. Es hatte 20 PS und schaffte 70 Kilometer pro Stunde.