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Tierschutz in Bernburg Artgerechte Tierhaltung in Bernburg? Faktencheck im Circus Probst

Von Magdalena Kammler 09.07.2016, 10:58
Amtstierarzt Christian Lutter erfasst die Identifikation eines Lamas mit einem Chiplesegerät.
Amtstierarzt Christian Lutter erfasst die Identifikation eines Lamas mit einem Chiplesegerät. Engelbert Pülicher

Bernburg - „Ich hoffe, das hier ist kein Robinienholz?“, fragt Christian Lutter mit einem Augenzwinkern die Zirkus-Chefin Brigitte Probst. Denn die Rinde des Holzes könnte bei bereits 150 Gramm für Tiere schon tödlich sein.

Es ist Donnerstagmorgen. Beide stehen vor dem Ziegen-, Lama-, und Emu-Gehege der Artistenfamilie auf der Bernburger Töpferwiese. „Nein, ist es nicht“, erwidert die 56-Jährige gewissenhaft.

So entspannt die Situation in diesem Moment scheint, ist sie insgesamt nicht. Gleich zweifach wird die Zirkusfamilie mit ihren 60 Tieren an diesem Tag unter die Lupe genommen, die Presse sowie das Veterinäramt haben sich angekündigt.

Für viele bedeutet Zirkus alles andere als Faszination: Die Tierhaltung rückt zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit. Die MZ hat den Zirkusbesuch als Anlass genommen, hinter die Kulissen zu schauen. „Wir sind ein transparenter Zirkus“, so Brigitte Probst.

Tierrechtsorganisationen wie die Hamburger „Vier Pfoten“ kritisieren die Haltung, speziell von Wildtieren, im Zirkusumfeld. Was ist dran an den Vorwürfen? Ein Überblick:

Bewegung

Durch einen kurzen Bühnenauftritt werde dem Bewegungsdrang der Tiere nicht ausreichend nachgekommen, argumentiert Denise Schmidt, Kampagnenleiterin von „Vier Pfoten“ in Deutschland. „Eintönigkeit und Langeweile sind vorprogrammiert“, so die Mitarbeiterin.

„Dahinter steckt Unwissenheit“, kontert Brigitte Probst. „Allein die Pferde proben jeden Tag von 9 Uhr bis 13 Uhr“, so die Zirkus-Chefin. Raubtierlehrer Tom Dieck Junior ergänzt: „Es ist wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Tiere zu kennen.“ Pferde seien zum Beispiel Lauftiere und brauchen besonders viel Bewegung. Löwen hingegen wären eher ruhiger. Pro Tag trainiert er mit den Raubtieren zwei Mal, insgesamt circa 30 Minuten. „Man muss die Tiere mental und körperlich fordern, jeden Tag“, konstatiert Dieck.

Im Zoo passiere dies weniger als im Zirkus, so der Dresseur. Die Bewegungen in der Manege seien zudem an natürlichen Bewegungen der Tiere orientiert: Springen, selbst auf den Hinterbeinen stehen ist für die Tiere nicht Unnatürliches, meint der Lehrer.

Was den Beschäftigungsmangel anbelangt, kann Tierarzt Christian Lutter kein Defizit bei den Tieren in Bernburg erkennen: „Das ist okay hier!“

Sozialverhalten

Unter den begrenzten Flächen für die Tiere leide das Sozialverhalten. Arten, die nicht zusammen gehören, leben im Zirkus auf engstem Raum, so der Vorwurf von „Vier Pfoten“.

Im „Circus Probst“ gibt es ein Mischgehege: So leben auf ungefähr 150 Quadratmetern circa ein Dutzend Emus, Lamas und Ziegen. „Das funktioniert?“, fragt Tierarzt Christian Lutter.

Bisher liefe es gut, antwortet Brigitte Probst. Als Tierarzt habe Lutter zwar das Wissen, allerdings nicht wie der Zirkus die Erfahrung mit den Exoten, so der 51-Jährige.

Versorgung und Transport

„Die Tiere stehen gut in Futter“, urteilt Tierarzt Christian Lutter, mit Blick auf die Ziegen. Allein ein ausgewachsenes Raubtier frisst zum Beispiel alle zwei Tage bis zu 15 Kilogramm Fleisch. Jede Woche fährt der 80-Mann-Zirkus zur nächsten Spielstätte: „Maximal 120 Kilometer“, erklärt Brigitte Probst.

Gesetzeslage

In Deutschland sind Wildtiere im Zirkus bisher nicht verboten, in vielen europäischen Ländern wie Schweden, Niederlande, Slowenien und Österreich hingegen schon.

„Vier Pfoten“ setzen sich für eine Gesetzesänderung in Deutschland ein. Dieck Junior findet das heuchlerisch, ihm fehlt die Relation: „Weil die Mehrheit Fleisch isst, dürfen Tiere dafür getötet werden? Wir halten die Tiere tiergerecht, vertreten aber anscheinend zu wenig Interessen.“

Der Zirkus hält in Bernburg die gesetzlichen Standards vorbildlich ein, stellt Veterinärmediziner Christian Lutter fest. Dass diese nicht ausreichend sind, bemängeln Organisationen wie „Vier Pfoten“.

„Die gesetzlichen Bestimmungen sind sehr niedrig. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Braunbären brauchen nach dem sogenannten Säugetiergutachten mindestens 500 Quadratmeter Außengehege. Laut Zirkusleitlinien reicht die Größe von 75 Quadratmeter als Außengehege“, so Denise Schmidt von „Vier Pfoten“.

MZ-Fazit

Dass Tierhaltung im Zirkus nicht per se schlecht sein muss, zeigt „Circus Probst“. Dennoch bleibt ein Gehege ein Gehege. Letztendlich stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Im ersten Moment erscheint es zwar einfach, den Zeigefinger gegenüber dem Zirkus zu erheben. Wer allerdings Tierhaltung im Zirkus ablehnt, muss auch domestizierte Tiere wie den Haushamster im Käfig sowie Fleischkonsum und Zoobesuche hinterfragen.

Brigitte Probst stört besonders, dass Kritiker nicht das Gespräch und den Kontakt suchen, sich selten ein Bild vor Ort machen.

Auf MZ-Anfrage äußerte sich Denise Schmidt von „Vier Pfoten“ dazu: „Wir haben uns in der Vergangenheit persönlich ein Bild bei Circus Probst gemacht, waren als Besucher in der Tierschau.“ (mz)

Ein Zebra im Außengehege vom Circus Probst.
Ein Zebra im Außengehege vom Circus Probst.
Engelbert Pülicher
Amtstierarzt Christian Lutter erfasst die  Identifikation eines Lamas mit einem Chiplesegerät.
Amtstierarzt Christian Lutter erfasst die  Identifikation eines Lamas mit einem Chiplesegerät.
Engelbert Pülicher