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Mordfall Yangjie Li Mordfall Yangjie Li: Nebenklage-Anwalt machen Umstände des Falles "misstrauisch"

Von Lisa Garn 22.06.2016, 18:30
Der Berliner Anwalt Sven Peitzner hat seit vergangener Woche Einblick in die Akten.
Der Berliner Anwalt Sven Peitzner hat seit vergangener Woche Einblick in die Akten. Markus Wächter

Halle (Saale) - In Dessau ist die chinesische Studentin Yangjie Li ermordet worden. Ein tatverdächtiges Paar, beide sind 20 Jahre alt, schweigt bislang zu den Vorwürfen. Der Mord hat weit über Dessau hinaus Entsetzen ausgelöst. Auch wegen der seltsamen Umstände in dem Fall: Sven Peitzner beklagt Merkwürdigkeiten, die er in den Akten feststellt. Der Berliner Strafrechtler vertritt die Eltern der ermordeten Studentin und führt in einem möglichen Prozess die Nebenklage.

Peitzner hat Erfahrung mit Mordprozessen. 2014 vertrat der Anwalt in Brandenburg die Eltern der getöteten 14-jährigen Alyssa. Außerdem war er Nebenklage-Vertreter gegen einen Serienmörder, der im Aachener Raum Anhalterinnen umgebracht hatte. MZ-Redakteurin Lisa Garn hat mit Peitzner über den Mord in Dessau und seine ersten Einschätzungen gesprochen.

Herr Peitzner, Sie haben Erfahrung mit erschütternden Fällen. Aber ist dieser Mord in Dessau in seiner Brutalität auch für Sie besonders ungewöhnlich?
Sven Peitzner: Mordfälle sind schwer zu vergleichen: Ist ein Mord mit Messerstichen schlimmer als einer mit Schusswaffen? Diese Fälle haben nur eines gemeinsam: Sie sind immer eine Katastrophe für die Hinterbliebenen. Sie müssen den Rest ihres Lebens damit umgehen, dass ein geliebter Mensch auf furchtbare Weise gestorben ist. Damit sind für die Angehörigen auch quälende Vorstellungen von der Tat selbst verbunden.

Sie haben die Eltern der ermordeten Yangjie Li vor etwa einem Monat kennengelernt. Wie haben Sie dieses Gespräch empfunden?
Peitzner: Es ging den Eltern natürlich sehr schlecht. Sie hatten große Hoffnungen für ihre Tochter und alles dafür getan, dass sie in Deutschland studieren konnte, sich mit ihr über diese Chance gefreut. Und dann wird ihr Kind hier grausam ermordet. So etwas ist für die Eltern schlicht nicht zu ertragen. Der Vater von Yangjie Li ist Polizeibeamter. Er hat viele kluge Fragen zu den Ermittlungen gestellt. Berechtigte Fragen. Ich will sie ihm beantworten.

Welche Antworten können Sie ihm denn schon geben? Sie haben seit vergangener Woche Einsicht in die Akten.
Peitzner: Ich habe von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau Akteneinsicht erhalten, ja. Sie nimmt einen dringenden Tatverdacht gegen das Paar an. Den sehe ich auch. Aber es wird natürlich noch dauern, bis ich mir ein umfassendes Bild machen kann. Es kommen laufend neue Auswertungen wie DNA-Gutachten, Auswertungen von Mobiltelefonen und Computern hinzu.

Aber die Version der beiden Tatverdächtigen, wonach es ein freiwilliges Treffen zu Dritt gegeben habe, halten Sie für nicht glaubhaft?
Peitzner: Die Einlassungen sind in höchstem Maße unplausibel. Aber ich bitte um Verständnis, dass ich das in einem so frühen Stadium des Verfahrens nicht im Einzelnen begründen werde. Die Ermittlungen laufen ja noch.  

Es besteht der Vorwurf an die Eltern, beide Polizisten, dass Ermittlungen beeinflusst worden sein könnten. Wie sehen Sie das?
Peitzner: Auch das müssen wir akribisch prüfen. Es gibt in dem Fall die eine oder andere Merkwürdigkeit.

Welche Merkwürdigkeiten?
Peitzner: Es ist ja durchaus eine ungewöhnliche Konstellation: Der Tatverdächtige ist der Sohn einer Polizeibeamtin aus Dessau und eines Polizeibeamten aus Halle. Obendrein ist sein Stiefvater Revierchef in Dessau. Sollte sich herausstellen, dass von diesen oder auch anderen Polizisten Ermittlungen beeinflusst, behindert oder gar Tatverdächtige über Ermittlungsergebnisse informiert worden sind, wäre das schon ein starkes Stück.

Worauf beziehen Sie sich dabei?
Peitzner: Immerhin soll die Mutter des Tatverdächtigen in dem Mordfall Zeugen vernommen haben. Der Stiefvater soll beim Umzug geholfen haben. Das befremdet mich sehr. Und übrigens: Das für die leiblichen Eltern geltende Angehörigenprivileg - wonach nahe Verwandte wegen Strafvereitelung nicht belangt werden dürften - gilt für Eltern nicht, wenn Voraussetzungen einer Strafvereitelung im Amt vorliegen. Anders ausgedrückt: Wenn gegen mein Kind ermittelt wird, habe ich mich als Polizeibeamter herauszuhalten.

Gibt es Hinweise auf eine Strafvereitelung im Amt?
Peitzner: Es gibt den einen oder anderen Umstand, der mich misstrauisch macht. Diesem Verdacht nachzugehen, ist aber Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft. Das wird ja derzeit allem Anschein nach auch getan. Wir werden zu prüfen haben, ob die Tatverdächtigen zu bestimmten Zeitpunkten Informationen hatten, die sie nicht hätten haben dürfen.

Wie schätzen Sie die Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft insgesamt ein?
Peitzner: Über die Arbeit der Strafverfolgungsbehörde werde ich mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern. Ich wundere mich an der einen oder anderen Stelle, möchte dies aber noch nicht konkretisieren.

Oberstaatsanwalt Folker Bittmann hatte sich nach der Pressekonferenz zur Verhaftung der Tatverdächtigen viel Kritik eingehandelt. Wie sehen Sie seinen Auftritt?
Peitzner: Die Pressekonferenz war ein Desaster. Schon die Einleitung in diesem sehr tragischen Fall war bestenfalls seltsam. Aber was wirklich unsäglich war: Als es um den Beruf der Mutter des Tatverdächtigen ging, wahrte Herr Bittmann die Diskretion, indem er ihn lediglich als seriös bezeichnete. Er war aber keineswegs zurückhaltend, als er ohne Not die unglaubhafte und widerlegte Version der Verdächtigen zum Besten gab, die das Opfer in den Schmutz zog. Dies sogar mehrmals. Das war unnötig und unsensibel. Und darüber waren die Eltern von Yangjie Li sehr erschüttert.

Wann rechnen Sie mit einem Prozessbeginn?
Peitzner: Das setzt zunächst eine Anklage voraus. Die Staatsanwaltschaft klagt an, wenn Sie eine Verurteilung für wahrscheinlich hält. Wenn die Ermittlungen wie in diesem Fall  schwierig sind, kann das durchaus noch zwei bis drei Monate dauern, bis diese Anklage vor dem Landgericht erhoben wird.

Was bedeutet so ein Prozess für die Angehörigen?
Peitzner: Ein Strafprozess bedeutet weitere Zumutungen für die Eltern. Die Tat wird dort von allen Seiten beleuchtet, was mitunter für die Angehörigen nur schwer auszuhalten ist. An dem Prozess können sie als Nebenkläger teilnehmen. Die Nebenklage gewährt ihnen umfassende Rechte in der Hauptverhandlung. Sie hat zum einen eine Genugtuungsfunktion für die Angehörigen. Gleichzeitig dient sie der Kontrolle der Staatsanwaltschaft.

Welche Strafe könnte den Tatverdächtigen bei einer Verurteilung drohen?
Peitzner: Beide sind Heranwachsende. Das Gericht müsste zunächst prüfen, ob es Jugendstrafrecht anwendet. Sollte es angewandt und den Verdächtigen die Tat nachgewiesen werden, ist die Höchststrafe für einen Mord zehn Jahre Jugendstrafe, bei besonderer Schwere der Schuld 15 Jahre. Wird Erwachsenenstrafrecht angewandt, droht ihnen eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Wie sehen Sie eigentlich Dessau? Für manche steht die Stadt offenbar als Synonym für Behördenversagen.
Peitzner: Beruflich ist es mir im Grunde egal, wo ich verhandele. Ob es in Dessau ein strukturelles Problem bei der Polizei gibt, werden wir sehen.
(mz)