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Syrischer Flüchtling Syrischer Flüchtling: Vom Krieg nach Halle und dann ins Fernsehen

Von Jens Köbernick und Christian Elsaesser 25.04.2016, 08:39
Mohammad Khalil (links) beim Torwandschießen im Sportstudio. Mit dabei: Profi Sandro Wagner (Mitte)
Mohammad Khalil (links) beim Torwandschießen im Sportstudio. Mit dabei: Profi Sandro Wagner (Mitte) Imago

Halle (Saale) - Es ist nur eine kleine Geste. Aber sie geht unter die Haut. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mohammad Khalil deutet auf seinen rechten Oberarm, dreht ihn ein wenig in Richtung seines Gesprächspartners. „Sie können mal anfassen“, sagt er und zeigt dabei auf eine große Narbe. „Es tut nicht weh.“

Tut es offenbar wirklich nicht. Jedenfalls nicht ihm. Denn für einen Außenstehenden ist es dann doch ein mehr als bedrückender Moment. Unter der Narbe im rechten Bizeps verbirgt sich nämlich ein großer Splitter. Der 22-jährige Syrer war vor vier Jahren in seiner Heimat bei einer Explosion schwer verletzt worden. Auch an den Beinen hat er Narben davongetragen. Und der Moment, diese Narbe anzufassen, lässt das scheinbar weit entfernte Grauen spürbar werden. Es ist der Moment, in dem Krieg greifbar wird.

Mit Traumtor an die Torwand

Mohammad Khalil hat diesen Krieg in Syrien erlebt. Auch wenn die Wirren der Heimat zurzeit weit weg scheinen. Am Sonnabend war er nicht als Flüchtling, sondern als Fußballer zu Gast im Aktuellen Sportstudio des ZDF. An der Torwand trat er gegen Profi Sandro Wagner von Darmstadt 98 an. Nominiert war Khalil für ein tolles Tor, das er für seinen Verein SG Buna Halle-Neustadt in der Landesklasse erzielt hatte. Ende März war das, beim 2:1-Sieg seines Teams gegen den SV Großgrimma. Der junge Syrer hatte einen Distanzschuss eines Teamkollegen per Hackentrick verlängert. Der Ball flog als Bogenlampe ins gegnerische Tor. „Ein Teamkollege hatte das Video zum Fernsehen geschickt“, erzählt er.

Mohammad Khalil hat viel erlebt in seiner Heimat. Vor allem jene Bombenexplosion, die sich in einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus ereignete. „Das war 2012“, erzählt er. „Ich ging über die Straße, als plötzlich eine Bombe in meiner Nähe explodierte.“ Der Krieg kennt keine Vorwarnung. Drei Wochen lang musste er im Krankenhaus stationär behandelt werden.

Narben hat das Leben seitdem einige hinterlassen. Nicht nur körperliche. Und so beschloss Mohammad Khalil im Jahr 2014, Syrien zu verlassen, und nach Deutschland zu fliehen. Zu gefährlich war das Leben in der Heimat geworden, zu groß die Angst vor weiteren Bombenangriffen. „Außerdem hatte ich die Sorge, in die syrische Armee eingezogen zu werden. Das war ein großer Druck. Ich wollte kein Soldat sein. Ich wollte einfach nur weiter zur Uni gehen.“ In Damaskus hatte er Altarabisch studiert.

Der Bürgerkrieg hat seine Familie zerstreut. Seine Mutter blieb in Damaskus. Sein Bruder und sein Vater flohen in den Libanon. „Doch dort hätte es für mich auch keine Perspektive gegeben“, erzählt er. Also sprach er mit seinem Onkel, der seit 17 Jahren in Halle lebt und dort als Erzieher arbeitet. Er riet Mohammad, zu ihm nach Deutschland zu kommen.

Wie er nach Deutschland kam

Auch das ist eine der schlimmen Erfahrungen des Krieges. Er zerreißt Familien. Mohammad Khalil entschied sich trotzdem, seinen Weg zu gehen. Irgendwie nach Deutschland zu kommen. Seine Odyssee dauerte fast ein Vierteljahr. Sie führte ihn von Syrien in die Türkei, per Boot weiter nach Griechenland und auf dem Landweg, der Balkanroute folgend, weiter. Über Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich - nach Bayern.

Allein für die Strecke von Griechenland nach Serbien, erzählt Khalil, für rund 180 Kilometer, brauchte er drei Wochen. Quer durch Mazedonien. Zu Fuß. „Das war die schwierigste und anstrengendste Abschnitt“, sagt der junge Flüchtling. Dieser Teil der Geschichte ist der, den Tausende seines Landsleute erlebt haben.

In Deutschland angekommen kam Khalil in München in eine Erstaufnahme-Einrichtung, dann ging es weiter nach Pößneck. Und erst als er dort seine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatte, konnte er nach Halle zu seinem Onkel.

Seit neun Monaten lebt Mohammad Khalil nun in Deutschland. „Ich besuche seit einigen Wochen eine Sprachschule und lerne Deutsch“, erzählt er. Er redet fraglos noch sehr gebrochen. „Aber es ist schon viel besser geworden“, sagt Wolfgang Huth. Und daran haben der Fußball-Trainer und sein Verein SG Buna Halle-Neustadt ihren Anteil. Fußball verbindet nun einmal. Der Sport im Allgemeinen tut das.

„Er lernt die deutsche Sprache sehr schnell und auf dem Fußballplatz funktioniert die Kommunikation sowieso gut“, meint Huth. „Ende vergangenen Jahres hat Mohammad mit einem seiner jetzigen Mannschaftskollegen über Facebook Kontakt aufgenommen und uns gefragt, ob er ein Probetraining machen darf.“

Erste Liga in Syrien

Natürlich durfte er. Und sein Talent konnte der Stürmer schnell unter Beweis stellen. In den ersten vier Spielen traf er gleich dreimal. Unter anderem ebenso spektakulär gegen den SV Großgrimma. „Man merkt, dass er eine gute Ausbildung hat“, sagt Wolfgang Huth.

Mohammad Khalil kickte in Syrien bereits in der ersten Liga. „Ich spiele seit meiner Jugend Fußball und habe für eine kurze Zeit in der ersten Mannschaft des Al Jaish Sport Club in Damaskus gespielt“, erzählt er. Das ist nicht irgendein Fußballverein. Er ist mit elf Meisterschaften der erfolgreichste des Landes. Rekordmeister. „Ich komme aus einer Sportlerfamilie. Ein Onkel von mir hat sogar in der Nationalmannschaft gespielt.“

Auf dem Platz merkt man sofort, dass der Neuzugang fußballerisch gut ausgebildet ist. Per Kopf und abwechselnd mit den Knien hält er unzählige Male den Ball hoch. „Er ist ein guter Techniker mit einer kurzen Handlungsphase. Er zielt genau und fackelt nicht lange vor dem Tor“, sagt Trainer Huth. „Für höhere Leistungen fehlt aber noch etwas.“ Die körperliche Kraft.

Gut möglich, dass die Bombensplitter dabei eine Rolle spielen. Das jedenfalls ist ein Wunsch für Mohammad Khalil - er möchte sich gern in Deutschland operieren, die Splitter entfernen lassen. Es wäre das äußere Zeichen, den Krieg in der Heimat hinter sich gelassen zu haben. Denn unabhängig von allen Traumtoren und TV-Auftritten - der Weg zu seinem wirklichen Traum ist noch weit. Mohammad möchte in Deutschland eine Ausbildung zum Physiotherapeuten beginnen.

Oder anders: Er träumt von einer Perspektive für sein Leben.

Mohammad Khalil beim Training auf dem Platz der SG Buna in Halle-Neustadt.
Mohammad Khalil beim Training auf dem Platz der SG Buna in Halle-Neustadt.
Schulz