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Porträt: Grünen-Chefin Claudia Dalbert  Landtagswahl am 13. März in Sachsen-Anhalt: Grünen-Chefin Claudia Dalbert - Was bleibt vom Hype?

Von Jan Schumann 01.03.2016, 19:57
Claudia Dalbert möchte die Grünen erneut in den Landtag führen. Mit ihr als Chefin errang die kleinste Fraktion beachtliche Erfolge, laut Prognosen wird es dennoch hauchdünn.
Claudia Dalbert möchte die Grünen erneut in den Landtag führen. Mit ihr als Chefin errang die kleinste Fraktion beachtliche Erfolge, laut Prognosen wird es dennoch hauchdünn. Andreas Stedtler

Magdeburg - Claudia Dalbert geht im Wahlkampf dahin, wo es wehtut: Der Badeborner Weg ist eine Ausfallstraße in Quedlinburg, weit abseits vom Zentrum und dem Schloss. Hinter einer Supermarkt-Ausfahrt und den Bahngleisen liegt links der Zentralfriedhof und rechts ein An- und Verkauf. Dort, an dieser Straße ins Nichts, hängt genau ein Wahlplakat. Es ist eines der Grünen und ihrer Spitzenkandidatin. Ein symptomatisches Bild: Die glitzernde Politikshow, die Feuer und Jubelstürme entfacht, ist immer noch nicht Dalberts Sache - auch nicht nach fünf Jahren als Fraktionschefin im Landtag.

Kein Volkstribun

Sie ist kein Volkstribun, sagen Parteifreunde. Sie ist immer noch die strenge Professorin, sagen Konkurrenten.

Claudia Dalbert kennt die Etiketten, die ihr angeheftet werden. Als sie 2011 das Landtags-Parkett betrat, tat sie das als lupenreine Bildungspolitikerin. Eine Universitäts-Professorin aus Halle, die seit 1998 einen Psychologie-Lehrstuhl innehat. Eine, die sich tagsüber um die Lehrerausbildung kümmerte und abends an den Experten-Runden nationaler und internationaler Akademikerzirkel saß. Eine Fachexpertin von seltenem Format im Landtag.

Dalbert führte die Grünen vor fünf Jahren zurück ins Parlament - und beendete so eine 13-jährige Durststrecke der Partei. Die neue Frontfrau warf lange Schatten mit ihrer Bildungsexpertise, nicht mit ihrem Renommee als Umweltfachfrau. Damals murrte manch’ Grüner unzufrieden, es gehe um nichts anderes mehr als Bildung, Bildung, Bildung. Liebling der Massen war sie nie, aber ihre Fachkompetenz blieb unbestritten.

Damals, 2011, startete Dalbert mit viel Rückenwind in den Wahlkampf. Die Zeit schien reif für die Rückkehr der Grünen ins Parlament. Dafür sprachen die Wahlprognosen – und spätestens nach der Atomkatastrophe in Fukushima im März, wenige Tage vor der Wahl, wurden die Grünen vom bärenstarken Bundestrend getragen.

Heute, fünf Jahre später, ist die Frage: Was bleibt vom Hype? Vor der Wahl am 13. März lauten die Vorzeichen ziemlich exakt so: Fünf Prozent. Die Grünen wackeln.

Treten die Grünen, tritt Dalbert auf der Stelle? Wie kann es sein, dass 2013 im Land eine Hochschuldebatte entflammte, die Tausende Studenten auf die Straßen trieb - und die Grünen mit der Hochschulexpertin anstatt zu profitieren heute um den Wiedereinzug ins Parlament zittern?

Dalbert, zu kopflastig?

„Ihr fehlte die Erfahrung“, sagt der Vorsitzende eines Grünen-Kreisverbandes. „Demonstrationen sind keine akademischen Veranstaltungen, da geht es um Zuspitzung, Botschaften, zitierfähige Sätze.“ Es war Oppositionskollege Wulf Gallert (Die Linke), der damals die Punkte machte. Ein Problem der Grünen-Spitzenkandidatin ist bis heute, dass nur ein gutes Viertel der Bevölkerung weiß, wer Claudia Dalbert ist.

Dalbert, zu kopflastig? Die heute 61-Jährige hat hart gearbeitet, um aus der Akademiker-Rolle auszubrechen, in die sie bis heute von Kritikern gesteckt wird. Sie spricht von einer Lernphase, die sie in den ersten Jahren im Landtag durchlaufen musste. „Die Parlamentsarbeit war neu für mich, Führung war es nicht.“ Hart arbeiten muss sie auch deswegen, weil sie als Fraktionschefin im Landtag eben als Politik-Allrounderin und nicht als Mono-Thema-Spezialisten gefordert ist. Technologie, Umwelt und Kultur, für all diese Themen muss sie Taktgeberin sein können. Heute nennt sie den wirtschaftlichen Aufschwung als oberstes Ziel für die neue Legislaturperiode, gleichzeitig stellt sie sich strikt gegen einen Ausbau der Elbe.

Wie sich Claudia Dalbert in den vergangenen Jahren politisch entwickelt hat,  lesen Sie auf der nächsten Seite.

Die kritische Basis und die Verbandsführung attestieren Dalbert heute, dass sie politisch gewachsen sei. Für die großen Themen ist sie Wortführerin. Seit 2015 leitet Dalbert den Umweltausschuss im Landtag - das hilft, die Liebe zur Parteibasis warm zu halten. „Da gehört die Grünen-Chefin auch hin“, heißt es dort. Und nicht zuletzt kann Dalberts kleine Fraktion politische Erfolge vorweisen - allen voran, dass die Laufbahnempfehlung der Lehrer für Grundschulkinder nicht mehr verbindlich ist.

Auch rhetorisch hat sich Dalbert entwickelt, sie gehört zu den Abgeordneten mit den meisten Reden in der vergangenen Legislatur. An guten Tagen seziert sie ihre Gegner vom Rednerpult aus. Wenn ihr die Schuldebatten im Landtag zu bunt werden, steckt sie in scharfzüngigen Reden die Lehrer-Riege der CDU in einen Sack und haut einmal kräftig drauf. Dann verspottet sie Konkurrenten, antwortet spitz auf Einwürfe aus dem Plenum: „Das ist ja interessant, sie haben sozusagen versucht, eine Frage zu stellen.“ Dann sprudeln Fakten und Studienergebnisse. Punktsieg Dalbert, Ende der Diskussion. Sie kann auch schlagfertig. Und manchmal emotional: Heizt sich die Debatte auf, hört man der gebürtigen Kölnerin gelegentlich die Herkunft an. Doch bis es in Dalbertschen Debatten soweit ist, braucht es einen langen Anlauf.

Schmeicheln ist nicht ihre Sache

Das Schmeicheln ist ihre Sache nicht, auch nicht im Wahlkampf. Auf ihrer Tour ist sie sich nicht zu schade, auch kritische Fragen der eigenen Klientel abzubügeln. Bei einer Diskussion in einem halleschen Café möchte ein Student wissen, ob es nicht vielleicht blauäugig sei, syrische Flüchtlinge zwar gezielt in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, für Zehntausende Euro auszubilden, und gleichzeitig auf ein Kriegsende zu hoffen. „Wenn dieser Plan so aufgeht, gehen die teuren, gut ausgebildeten Leute in ein paar Jahren einfach wieder zurück in ihre Heimat“, so der Einwand. Dalbert entgegnet: „Das sind doch die besten Botschafter, die wir haben können“ – Fall erledigt, der Nächste bitte. Dalbert-Freunde halten das für konsequent und standhaft - dass die Fraktionschefin ihre Kritiker umarmt, erlebt man dagegen selten.

Dass Dalbert, die einen CDU-Ratsherr zum Vater und die westdeutsche Anti-Atom-Bewegung als erste politische Heimat hatte, in ihrem Amt gewachsen ist, wird heute auch von einstigen Kritiker anerkannt. Nicht selbstverständlich, denn Dalbert machte in wenigen Jahren eine Parteikarriere, für die andere ein halbes Leben brauchen: 2007 wird die damals 53-Jährige Grünen-Mitglied, schon 2008 ist sie Landesvorsitzende. Viel schneller geht’s nicht, ihr fehlt ein lange gewachsenes Netz von Alliierten – Dalbert machte den Kaltstart. „Akzeptiert und geachtet“ sei sie heute in der Basis, sagt ein parteiinterner Kritiker. „Gemocht - das wäre zu viel gesagt.“

Das bekam Dalbert bereits zu spüren. Etwa auf dem Dessauer Parteitag 2012, als mehrere Kreisverbände den Landtagsabgeordneten vorwarfen, den Bezug zur Basis verloren zu haben. Auslöser war unter anderem, dass die Abgeordneten zuvor einer Diätenerhöhung im Landtag zugestimmt hatten, ein großer Teil der Entrüstung entlud sich gegenüber Dalbert. „Wir haben unterschätzt, dass das in der Basis so reinhauen würde“, sagt sie heute. „Ob die Kritik damals berechtigt war, lasse ich mal dahingestellt. Jedenfalls musste ich das ernst nehmen.“

Verheerender war das Stimmungsbild auf dem Parteitag im vergangenen September, als Dalbert zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl bestimmt werden sollte. Nur 63 Prozent der Delegierten gaben Dalbert die Stimme: Das war kein Denkzettel, sondern eine Abmahnung. Selbst für grüne Verhältnisse. „Ich finde es betrüblich, dass so mit dem Spitzenpersonal umgegangen wird“, sagt Dalbert.

Dass die Wahl-Hallenserin auf das Rumoren im Landesverband reagierte, bringt ihr Versöhnung und Respekt in den eigenen Reihen. Auf ihren initiierten Regionalkonferenzen sammelt sie Meinungen und Kritik aus den Kreisverbänden im Land, ein großer Teil der politischen Arbeit fokussiert sich nun wieder auf die Interessen von grünen Bürgerinitiativen. „Sie hat sich von beratungsresistent zu beratungsfähig gewandelt“, sagt ein politischer Begleiter.

Erdmengers Abgang kratzt am Heile-Welt-Bild

Was jedoch nicht heißt, dass sie die Fraktion weniger straff führt. „Sie weiß schon, wer Koch und wer Kellner zu sein hat“, sagt ein Weggefährte. Mit Strenge hat es Dalbert fünf Jahre lang geschafft, dass die frischgewählte Neuner-Fraktionen im Landtag nach außen hin geschlossen auftrat. Wenn es Querelen und Machtkämpfe gegeben hat - an die Öffentlichkeit gelangten sie fast nie. Im politischen Magdeburg ist das eine Leistung, die sich Dalbert anrechnen lassen kann.

Allein der Abgang des ehemaligen Landesvorsitzenden Christoph Erdmenger aus der kleinen Fraktion kratzte am Heile-Welt-Bild. Der profilierte Finanzexperte hatte 2013 ein Angebot aus dem Verkehrsministerium in Baden-Württemberg bekommen - und dankend angenommen. Unter Grünen wurde da längst erzählt, dass Erdmenger ein handfestes Problem mit Dalberts Dominanz hatte. Fehlt so ein wichtiger Experte nicht im Parlament? „Lücken füllen sich“, sagt Dalbert. Ende der Diskussion. (mz)