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Kalter Krieg Kalter Krieg: Sowjetunion plante 189 Atombombenabwürfe

Von Steffen Könau 29.02.2016, 13:12
Der Sowjet-Flughafen in Altenburg
Der Sowjet-Flughafen in Altenburg Screenshot

Halle (Saale) - Es ist Anfang der 30er Jahre, als Hermann Göring den Befehl mit dem Codenamen „Alpendohle“ erlässt. Darin weist Hitlers Luftwaffenchef den Ausbau eines Flugplatzes am Rande von Altenburg an. Neu entstehen Flugzeughallen, Prüfstände, Tankanlagen, Funk- und Wetterstation, daneben auch eine Kaserne für Mannschaften und Offiziere.

Altenburg-Nobitz, so der korrekte Name, dient nach seiner Fertigstellung bis 1945 als Ausbildungsflugplatz. Gegen Ende des Krieges kommt die 6. US-Panzerdivision unter General Robert W. Grow, deren 69. Panzer-Bataillon unter Commander Lagrew das Gelände besetzt. Es dauert nur 48 Stunden, dann ist Altenburg als alliierter Flugplatz mit dem Code R-23 für US-Flieger wieder anflugbereit.

Und das Flugfeld bleibt es auch nachdem die Amerikaner Altenburg wie ganz Mitteldeutschland im Sommer an die sowjetischen Streitkräfte übergeben haben. Während die Sowjets auf dem Flugfeld ihre Hubschrauber, Transportflugzeuge, MiG-Jäger und später auch MiG-29 Kampfbomber stationieren, nehmen die US-Truppen ihr Altenburg R-23 einfach mit: In der Wüste von Nevada, 200 Kilometer nördlich von Las Vegas und 9.000 Kilometer von Altenburg entfernt, mitten in der Einöde der berühmten Area 51, baut die US-Air Force die Start- und Landebahn und alle Rollwege des Flugplatzes identisch nach, ergänzt um angedeutete Nachbauten von Leitständen und Munitionsbunkern. Nicht weit entfernt entstehen zudem gleich auch noch zwei Nachbauten des sowjetischen Großflughafens „Altes Lager“ nahe Jüterbog in Brandenburg.

US-Großbasis Bitburg nachgebaut

Die USA wollen auf alles vorbereitet sein und ihren Piloten die Möglichkeit geben, Anflüge unter Gefechtsbedingungen auf Ziele zu üben, die mit den im Ernstfall ins Visier zu nehmenden identisch sind. Eine Strategie, die auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges auch die sowjetischen Luftstreitkräfte verfolgen - sie bauen sich zwischen Gadow und Rossow nördlich von Neuruppin auf dem Truppenübungsplatz Wittstock eine identische Kopie der westdeutschen US-Großbasis Bitburg. Wie Altenburg/Nevada dient auch Bitburg/Ost dazu, Zielanflüge zu üben und die Genauigkeit beim Abwurf von Bomben auf kleinere Ziele zu verbessern.

Einsatz von 189 Atombomben geplant

Wozu die Sowjetarmee das übte, ist allerdings unklar angesichts der Pläne, die der Generalstab der Streitkräfte der UdSSR für den Fall der Fälle vorbereitet hatte. Danach galt für den Versuch der Nato, einen Vormarsch Richtung Osten zu versuchen, ein Szenario, das im Jahr 1979 unter dem Namen „Sieben Tage bis zum Rhein“ geübt wurde.

Legitime Einsatzoption

Die sowjetischen Kriegsplaner setzten dabei voraus, dass die USA mit einer Atom-Attacke auf die Region an der Weichsel in Polen versuchen würde, den Transport von sowjetischen Verstärkungen nach Osten zu verhindern. Das, so glaubten die Strategen in Moskau, könnte den zahlenmäßig unterlegenen Nato-Truppen den Raum und die Zeit verschaffen, die DDR und einen Teil Polens zu erobern - zöge nicht der Kreml den letzten Trumpf und griffe zum nuklearen Gegenschlag.

Der war deshalb in Moskau als legitime Einsatzoption vorgesehen. Und er wäre ebenso vernichtend ausgefallen wie der von den USA Ende der 50er erdachte atomare Erstschlagsplan gegen alle Warschauer Vertragsstaaten, von dem das Pentagon damals annahm, nur er könne einen sowjetischen Erstschlag verhindern.

Nach Unterlagen, die vor zwei Jahren in einem polnischen Archiv gefunden wurden, sah der sowjetische Erstschlag, der wie der im Pentagon geplante einen Erstschlag des Feindes verhindern sollte, einen Einsatz von 189 Atombomben vor, darunter 177 Raketen und zwölf von Flugzeugen abgeworfene Bomben, deren Stärke von fünf bis zu 500 Kilotonnen gereicht hätte.

Nach den Vorstellungen der Planer in der Sowjetunion hätte dieser Vernichtungsschlag die Nato nicht besiegt, aber gelähmt. Schließlich schätzten die Analysten in Moskau die Verteidigungsbereitschaft der Verbände des westlichen Bündnisses ohnehin allgemein als eine „Sham“ (Farce) ein. Ein massiver Atomschlag werde jeden Vormarsch von Nato-Truppen nach Osten beenden und zugleich den Vormarsch der eigenen Truppen vorbereiten, heißt es in Dokumenten, die in Tschechien aufgetaucht sind.

17-seitiger „Aktionsplan für die Kriegsperiode“

Auch nach sowjetischen Rechnungen wäre das nicht ohne Schäden auf der eigenen Seite abgegangen. Doch sei die Luftabwehr des Warschauer Vertrages in der Lage, die nach dem atomaren Schlagabtausch noch durchkommenden Nato-Atomraketen überwiegend abzufangen. Der Rest werde zwar schwere Schäden verursachen, die Sowjetunion aber werde überleben, weil ihre Widerstandskraft höher sei als die der Gegenseite.

Relativ konkret waren die Zielplanungen gediehen. So wäre Wien von zwei 500-Kilotonnen-Bomben getroffen worden, Venedig von einer. In Deutschland hätten Atombomben neben Hamburg und Hannover auch Wilhemshaven und Bremerhaven ausradiert. Nukleare Sprengköpfe wären auch auf die dänische Hauptstadt Kopenhagen niedergegangen, dazu auf die Städte Roskilde und Esbjerg.

Die Atombombenabwürfe hier sollten vor allem die Moral der Dänen brechen, weil polnische Truppen bereits nach fünf Tagen eine komplette Übernahme Dänemarks hätten melden sollen. Tschechische Einheiten waren nach dem 17-seitigen Papier mit dem Titel „Aktionsplan für die Kriegsperiode“, der bis ins Jahr 1986 gültiges Planungsdokument war, dazu ausersehen, Stuttgart, Nürnberg und München anzugreifen und zu erobern.

Atom-Attacken nur Auftakt

Glaubten die Nato-Strategen, ein Atomkrieg sei mit dem Austausch von nuklearen Angriffen beendet, hielten die Planer in Moskau die gegenseitigen Atom-Attacken nur für den Auftakt zu nachfolgenden konventionellen Schlachten. Der Hauptschlag der konventionellen Streitkräfte des Warschauer Paktes hätte sich nach Westen gerichtet, Zielregion sollten die Pyrenäen sein.

Dass die Einheiten der Vertragsstaaten dabei durch atomar verseuchtes Gebiet hätten vorrücken müssen, um wie geplant nach neun Tagen in Lyon anzukommen, hielten die Planer im Osten im Gegensatz zu denen im Westen nicht für einen Hinderungsgrund.

In Dokumenten, die nach dem Zusammenbruch des Militärbündnisses in den Archiven der tschechischen Armee gefunden wurden, beurteilten sowjetische Mediziner die Aktion unabhängig von einer völligen nuklearen Zerstörung Europas als machbar. Nato-Experten wie der Historiker Petr Lunak halten die Idee heute für mörderisch. „Die Soldaten hätten nur einige Tage kämpfen können und wären dann an der Radioaktivität zugrunde gegangen.“ (mz)