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Flüchtlinge Flüchtlinge: Eskalation in Gräfenhainichen

Von Jan Schumann 28.02.2016, 18:37
Mitarbeiter des Ermittlungsteams untersuchen die Einschusslöcher in den Fensterscheiben.
Mitarbeiter des Ermittlungsteams untersuchen die Einschusslöcher in den Fensterscheiben. Thomas Klitzsch

Gräfenhainichen - Der inzwischen sechste Anschlag in zwei Monaten auf die geplante Flüchtlingsunterkunft in Gräfenhainichen (Landkreis Wittenberg) soll nun durch eine eigens eingerichtete Ermittlungsgruppe der Polizei aufgeklärt werden. Das kündigten die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau und die Polizeidirektion Ost nach dem beispiellosen Angriff am Wochenende an. Unbekannte hatten in der Nacht zum Sonnabend mehrere Schüsse auf das leerstehende Gebäude im Gadewitzer Weg abgefeuert - währenddessen befanden sich zwei Mitarbeiter des Wachdienstes in dem Haus. Es bestehe der Verdacht der versuchten Tötung, so die Polizei. Erkenntnisse zu den Tätern fehlen derzeit. „Wir konnten jedoch umfangreiches Spurenmaterial sichern“, sagte Ralf Moritz, Sprecher der Polizeidirektion.

In das ehemalige Bürogebäude in Gräfenhainichen sollen bis zu 80 Flüchtlinge einziehen. Eine Chronologie der Attacken

 Unbekannte sind in die geplante Flüchtlingsunterkunft eingebrochen und haben das Objekt geflutet. Der Schaden beträgt 100 000 Euro. Über die Motive des Anschlags muss nicht gerätselt werden. Eine Art Bekennerschreiben wurde auf die Straße gesprüht: „Refugee not welcome“ .

 Trotz umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen werden mehrere Fensterscheiben zertrümmert. Zur Tatzeit ist das Objekt hell erleuchtet.

Mit einem Stein wird die Eingangstür zertrümmert. Schaden: mehrere tausend Euro.

Wieder fliegen Steine gegen die Fenster.  

Auch der Einsatz des Wachschutzes kann die Steinewerfer nicht abhalten.

Auf das Gebäude werden mindestens 13 Schüsse abgegeben.

Darunter sind 13 Neun-Millimeter-Geschosshülsen, die am Tatort gefunden wurden und mit deren Hilfe die Polizisten auf den Schützen schließen wollen. „Wir gehen davon aus, dass die Schüsse aus einer Entfernung von 30 bis 40 Metern auf das Gebäude abgefeuert worden“, sagte Moritz. Als die Schüsse gegen 23.15 Uhr fielen und in mehreren Fenstern im zweiten Obergeschoss einschlugen, seien auch Streifenpolizisten in direkter Nähe des Gebäudes gewesen.

Das ehemalige Bürogebäude, gegen das seit Dezember bereits sechs Anschläge verübt worden sind, wird rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst bewacht. „Wir haben schon ein sehr hohes Maß an Sicherheit in dem Objekt, werden den Kontakt zwischen Wachschutz und den Polizeistreifen weiter verstärken“, sagte Moritz. Das Haus wird videoüberwacht, ist jedoch nach den Angriffen der Vergangenheit nicht nutzbar. Die Landkreis-Verwaltung hatte dort die Unterbringung von rund 80 Flüchtlingen geplant.

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) verurteilte den Anschlag als „feige und hinterhältig“. Er sagte, „wir werden alles daran setzen, den oder die Täter zu ermitteln und einer gerechten Strafe zuzuführen.“ In der Frage zu Konsequenzen für eine künftige Nutzung des Gebäudes als Unterkunft verwies das Ministerium gestern auf die Zuständigkeit des Landkreises.

Der Innenexperte der Landtags-Fraktion der Grünen, Sebastian Striegel, sagte: „Meine Sorge ist, dass dort, wo Täter mit solcher Chuzpe vorgehen, irgendwann gezielt auf Menschen geschossen wird.“ Vor dem Hintergrund der vorangegangen Angriffe sagte Striegel, der Landkreis müsse seine Haltung zur Flüchtlings-Unterbringung überdenken. „Ein Gebäude, das permanent attackiert werden kann, ist für die sichere Unterbringung von Geflüchteten nicht geeignet.“ Die Polizei hatte im vergangenen Jahr in einer vorläufigen Statistik 58 Straftaten gegen Asylunterkünfte in Sachsen-Anhalt registriert. Dies entsprach einer Verachtfachung der Zahlen aus dem Jahr 2014. (mz)