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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Im Osten nichts Neues

Von Christian Eger 24.02.2016, 20:32
Berlin im Dezember 2008: Mauer auf dem Abbruchgelände des Palastes der Republik
Berlin im Dezember 2008: Mauer auf dem Abbruchgelände des Palastes der Republik arno burgi/dpa

Halle (Saale) - Die professionellen westdeutschen Zeithistoriker schätzen die DDR-Geschichte wenig, aber sie leben von ihr, wissenschaftlich gesehen. Die ostdeutschen Kollegen tun es jedenfalls nicht - oder kaum. Zu diesem pointierten Urteil gelangt, wer das Verzeichnis der Experten anschaut, die sich als Beiträger eines im Auftrag der Bundesstiftung Aufarbeitung unter dem Titel „Die DDR als Chance“ vorgelegten Sammelbandes finden, in dem „Stand und Perspektiven zeithistorischer Forschung zur SED-Diktatur und zum geteilten Deutschland“ richtungsweisend diskutiert werden sollen.

Von den insgesamt 22 Historikern, die hier als Autoren auftreten, stammen  - so weit es kenntlich ist, denn auf die Angabe der Herkunftsorte hat man verzichtet - 17 aus Westdeutschland, drei aus Amerika, Großbritannien und Polen sowie zwei aus der ehemaligen DDR, darunter der Leipziger Kulturhistoriker Matthias Middell. Der Westen ist mit branchen-notorischen Namen wie Martin Sabrow, Edgar Wolfrum und Jürgen Kocka vertreten. Prominente ostdeutsche Zeithistoriker findet man nicht.

Zwei von 22. Ist es nur kleinkariert, das anzumerken? Selbstverständlich muss die ostdeutsche Nah-Geschichte nicht von Ostdeutschen erforscht werden, dass sie aber so augenfällig außen vor sind, wenn nun zur Evaluierung der DDR-Forschung gebeten wird, ist dann doch wieder bemerkenswert. Die Ostler könnten aus ihrer Erfahrung und Gegenwart andere und schärfere Fragen stellen, als es vorm Schreibtisch aus möglich ist.

Nur sind diese Historiker nicht an Universitäten tätig. Aber das ist ohnehin selten. Die zeithistorischer DDR-Forschung wird vorzugsweise an außeruniversitären Institutionen betrieben. Im Osten nichts Neues: Bis heute gibt es nirgendwo in Deutschland einen Lehrstuhl für DDR-Geschichte. Ein 2008 von der CDU unternommener Vorstoß einen solchen einzurichten, versandete ergebnislos. Nicht zuletzt mit dem 2002 von dem Wittenberger Institut für Hochschulforschung verbreiteten Ergebnis, dass 62 Prozent der deutschen Universitäten - vor allem in Süddeutschland - bereits zehn Jahre nach dem Ende der DDR keine DDR-spezifischen Lehrveranstaltungen mehr anboten.

Diesem Befund steht andererseits die Zahl von rund 16 000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen in Sachen DDR seit 1990 entgegen. Aber was sagt schon eine Zahl? Die verleitet eher zu dem sarkastischen Fehlurteil, dass die DDR „überforscht“ sei. Wo nicht, schmore sie im eigenen Saft.

Solche Sottisen sind Ausdruck institutioneller und gesellschaftlicher Kämpfe. Unvergessen sind die polemischen Worte von westdeutschen Historikern wie Hans-Ulrich Wehler, der die DDR von vornherein zur „Fußnote der Weltgeschichte“ verkleinerte, oder Arnulf Baring, der den DDR-Bürgern eine „Verzwergung“ attestierte. So etwas bleibt nicht folgenlos im strukturell armen, aber von Abhängigkeiten bestimmten akademischen Milieu. Der US-Historiker Andrew I. Port sagt es so: „Die Geschichte der DDR ist einfach nicht so sexy wie die des Dritten Reiches“.

Port gehört zu den Forschern, die in dem von Ulrich Mählert herausgegebenen Aufsatzband mit ihrer Expertise einen Neustart der DDR-Forschung ermöglichen sollen. Die galt in den frühen 90er Jahren - als das westdeutsche Enthüllungsinteresse groß und die Fördertöpfe schwer waren - als „Klondike der zeithistorischen Forschung“, als Goldgrube also, über die sich die Historiker dankbar hermachten.

Das ist lange vorbei. Und die Ermüdung nachhaltig. So lassen sich die in den Aufsätzen zusammengetragenen Vorschläge schnell zusammenfassen. Demnach fehlen in Sachen DDR einerseits transnationale Verknüpfungen, andererseits nationale Detailstudien. Plädiert wird für eine Sichtbarmachung der DDR in der Weltgeschichte, also deren Verortung in der westlichen und östlichen Globalisierung. Längsschnittstudien werden angeregt, die einen Bogen von den autoritären Regimes nach 1918 bis in die 50er Jahre schlagen sollen. Forschungen zur jüngeren SED werden gefordert, zu Behörden und Blockparteien, zu städtischen und ländlichen Milieus; einmal mehr wird die Kontextualisierung mit Westdeutschland angemahnt. Die Vorschläge wiederholen sich in Varianten. Konkreter wird es selten. Aufregend nie. Ist dieses Resultat eines Fünf-Minuten-Brainstormings unter Profis der Aufbruch nach mehr als 25 Jahren?

Ein entschiedenes Erkenntnis-Interesse glüht da nicht. Höchstens ein Konkurrenzdenken. Spürbar wird zwischen den Zeilen immer einmal wieder um Hoheiten gefochten. Martin Sabrow, als Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam einer der großen westdeutschen Strategen der DDR-Erforschung, fordert ein „entschlossenes Streben nach Entlassung der DDR-Forschung aus allen konjunkturstützenden Maßnahmen außerwissenschaftlicher Akteure“, das Ende der „fürsorglichen Belagerung durch staatliche und gesellschaftliche Akteure unterschiedlichster Interessenlagen“. Klingt vernünftig, meint aber auch: Sabrow will die DDR-Geschichte als einen Gegenstand, der keine DDR-Geschichte ist.

Denn die ist nicht einfach akademisch sortenrein zu haben, sondern zwangsläufig von „außerwissenschaftlichen“ Interessen umschlossen (auch in der Wissenschaft), weil sie in besonderem Maße bis auf weiteres keine tote Geschichte ist; von sittlichen und politischen Interessen nie ganz frei zu halten. Von öffentlichem Interesse aber schon. Und von relevanten Fragen, die sich nicht daraus ergeben, dass man wie mit dem Textmarker Themen hinwischt.

Die Hamburger Historikerin Dorothee Wierling sieht das genau. Für sie hätte die DDR-Forschung nur eine Chance, „wenn sie Neugier auch bei denen weckt, die sich eigentlich nicht (mehr) für sie interessieren.“ Das sind mutmaßlich die nach 25 Jahren volkspädagogisch wertvollen Mauerfall- und Einheits-Gedenkens erschöpften vormaligen DDR-Bürger. Aus dem klassischen akademischen Bereich, zeigt dieser Bericht, haben sie keine Erweckung zu erwarten. (mz)

Buchvorstellung mit Diskussion: Berlin, 1. März, 18 Uhr, Stiftung  Aufarbeitung, Kronenstraße 5