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25. Album im 35. Karrierejahr  25. Album im 35. Karrierejahr : Heinz Rudolf Kunze - Der Nationaldichter

Von Steffen Könau 20.02.2016, 21:50
Heinz Rudolf Kunze beschenkt sich zum bevorstehenden 60. Geburtstag mit einem neuen Album.
Heinz Rudolf Kunze beschenkt sich zum bevorstehenden 60. Geburtstag mit einem neuen Album. Martin Huch

Halle (Saale) - Es ist nicht das erste Mal, dass die Hauptperson durch Fehlen glänzt. Schon bei „Wunderkinder“, einem Album, das vor 30 Jahren erschien, verzichtete Heinz Rudolf Kunze auf seinen Auftritt auf dem Plattencover. „Wunderkinder“ zierte dafür eine in Öl gemalte Deutschland-Fahne.

Noch deutscher geht nicht, außer auf seinem neuen Album, das Kunze diesmal einfach „Deutschland“ genannt hat. Auf dem Cover eine deutsche Straße, kleinbürgerlich, mit wohlmeinenden Absperrgittern, gußeisernen Kanaldeckeln und Kleinwagen am Straßenrand. Mittendrin statt nur dabei, nicht mehr „Das All ist deutsch“, wie es Mitte der 80er beim nimmermüden Verseschmied aus Hannover hieß. Sondern alles, was wir sehen und singen. Bis hin zu dem eigentümlichen Gitarrenmodell auf der Albumrückseite, das einen hölzernen Korpus in den Umrissen der deutschen Grenzen präsentiert.

Kunze, in den zurückliegenden zehn Jahren vom intellektuellen Wechselbalg des Deutschrock zum zuverlässigen Lieferanten gehobener Liedkunst gewachsen, sagt Deutschland, meint hier aber mehr denn je sich selbst.

Noch nie zuvor hat der Meister des Rollensongs, der schon Spitzel und Mörder, Politiker, Säufer und und Liebender war, so oft von sich selbst gesungen wie in den 14 neuen Stücken. Die hat er fast ausschließlich gestützt auf seine Stammband um den Schlagzeuger Jens Carstens, den Bassisten Leo Schmidthals, Keyboarder Matthias Ulmer und Gitarrist Peter Koobs eingespielt. Kein Versteckspiel mehr hinter Masken, kein Durch-die-Blume-Singen wie seinerzeit bei „Brille“, als Kunze lerne, ich zu sagen.

„Deutschland“ ist die Hülle, in der er Kindheitserinnerungen jagt wie in „In der alten Piccardie“ und dem Blues eine teutonische Prägung gibt wie in „Es ist in ihm drin“. Gerade über die private Kurve aber, die Kunzes Mutter ebenso einschließt wie seine nur grob ins Zauberfach verlagerten Innensichten des Rockerlebens kurz vor der 60 („Ein fauler Trick“) entsteht ein Deutschland-Bild ohne die Klischees der üblichen Heimatlieder mit Volks-Rock’n’Roll-Attitüde.

Kunze ist musikalisch immer noch mehr Ray Davis (The Kinks) als Herbert Grönemeyer, textlich mehr Wiglaf Droste als Xavier Naidoo. Er suche sich „mehr in Worten als in Werken“, hat Kunze seinem neuen Werk erklärend hinzugefügt und damit, das ist so seine Art, eine Frage mit einem Rätsel beantwortet: Wo fängt Deutschland an, wo hört es auf? Was ist noch ernst, oder doch schon Spaß?

„Das Paradies ist hier“ behauptet die erste Single wie eine Art Gegenentwurf zum Lied „Willkommen liebe Mörder“ vom letzten Werk seiner Nebenbei-Band Räuberzivil, das als Anti-NSU-Song gedacht war und als Anti-Flüchtlingssong missbraucht wurde. Heinz Rudolf Kunze hat im Internet energisch für seine Deutung gekämpft. „Ich verbitte mir jede dem Geist des Songs widersprechende Vereinnahmung und Anbiederung, zumal von rechts“.

Auf seinem Deutschland-Album legt er nun nach, doch dieses „Das Paradies ist hier“ ist kein Lied über ein real existierendes Paradies namens Deutschland, sondern eins über die ganze Welt als real existierende Möglichkeit, ein Paradies zu werden. Das ist nicht das, was der Mann „aggressive Ironie“ nennt. Sondern herzenswarme Mitmenschlichkeit, die auf einer flotten Melodie durch eine trübe Gegenwart voller Gegensätze hoppelt.

Harmonisch wie hier, countrygeschwängert wie in „Setz Dich her“ oder augenzwinkernd in der Volksmusik-Veräppelung „Immer noch besser als arbeiten“ - Kunze singt weiter gegen die Verhältnisse. Nur dass er den distanzierten Zynismus früherer Jahre eingetauscht hat gegen die kritische Distanz des teilnehmenden Beobachters.

Seit die Flüchtlingskrise begann, engagiert Kunze sich mit seiner Aktion „Musik hilft“, indem er dazu aufruft, Instrumente für Flüchtlinge zu spenden. „Die Menschen müssen was zu tun bekommen, damit sie nicht ausflippen“, sagt er.

Kunze ist einer der „Letzten unserer Art“ (Liedtitel), ein Davongekommener, dessen Amt als Nationalrockdichter ihm einen klaren Rückblick auf die Jahre zwischen 68er-Aufstand gegen das Establishment und glücklicher Ankunft auf einem sicheren Sitz in den Institutionen erlaubt. „Wir wollten kämpfen und viel verändern / in allen Menschen, in allen Ländern“, singt er. Und was ist draus geworden? „Wir mussten einseh’n und schmerzhaft lernen / wie sich die Träume von uns entfernen“.

Kein Grund, nicht einfach weiterzumachen, zu singen, zu mahnen und zu warnen und ganz vorn an der Bühne ein Plädoyer für den gesunden Menschenverstand zu halten. „Jeder bete für sich allein“ heißt das leise, religionskritische Lied, das den Sänger und Texter Heinz Rudolf Kunze als Immanuel Kant des deutschen Rock zeigt. Der lange Gang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit als Thema eines Rocksongs - deutscher kann Popmusik tatsächlich nicht werden.  (mz)

Kunze live: Samstag (20.02.2016) ab 18.30 Uhr solo – Veranstaltungszentrum Golfpark Dessau-Roßlau,
Deutschlandtour im Herbst: 1. Oktober live im Haus Auensee Leipzig, 29. Oktober Händelhalle Halle

Heinz Rudolf Kunze: Deutschland
Heinz Rudolf Kunze: Deutschland
Sony Music