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Betriebliche Altersvorsorge Betriebliche Altersvorsorge: Firmen ächzen unter Last der Pensionen

Von Stefan Sauer 19.02.2016, 15:04
Die betriebliche Altersvorsorge stellt für zahlreiche Unternehmen eine enorme Belastung dar.
Die betriebliche Altersvorsorge stellt für zahlreiche Unternehmen eine enorme Belastung dar. dpa

Berlin - Die Lasten waren untragbar geworden. Das Unternehmen zählte nur noch 33 Beschäftigte, denen mehr als 600 ehemalige Belegschaftsmitglieder mit betrieblicher Altersversorgung gegenüber standen. Das konnte nicht gut gehen. Und das tat es auch nicht. Nach 128 Jahren meldete der traditionsreiche Modelleisenbahnhersteller Fleischmann mit Sitz im bayerischen Ansbach im August 2015 Insolvenz an.

Die Pensionsverpflichtungen, die der Firma über den Kopf gewachsen waren, übernahm der Pensions-Sicherungs-Verein. Er war 1975 von den großen Arbeitgeberdachverbänden BDA und BDI gegründet worden, um im Fall der Fälle einzuspringen.

Der Modellbauer Fleischmann ist gewiss ein besonderes krasses Beispiel für die Belastungen, die Unternehmen aus ihren Zusagen einer betrieblichen Altersversorgung (baV) erwachsen, aber beileibe nicht das einzige. Zahlreiche Firmen ächzen mittlerweile unter Last ihrer Pensionsverpflichtungen, für die sie immer höhere Rückstellungen bilden müssen.

Die Dimensionen sind enorm. Allein die baV-Zusagen der 30 Dax-Konzerne hatten sich nach einer Hochrechnung der Unternehmensberatung Willis Towers Watson Ende 2015 auf 350 Milliarden Euro summiert. Die Gesamtverpflichtungen der Wirtschaft liegen laut Bundesbank fast sechsmal so hoch. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt des vergangenen Jahres umfasste nicht einmal 300 Milliarden Euro.

Zwar haben die Unternehmen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten einiges auf die hohe Kante gelegt, um die Ansprüche bedienen zu können. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung hatten die zur Deckung vorgesehenen Vermögensanlagen zum letzten Berichtsdatum Ende 2013 einen Wert von 538 Milliarden Euro. Eine hübsche Summe. Allerdings sind die Erträge aufgrund der extrem niedrigen Zinsen stark zurück gegangen. In der Folge sinkt auch der so genannte Rechnungszinz, den die Unternehmen anlegen, um die Höhe ihrer Verpflichtungen zu ermitteln.

Pensionszusagen aus der fernen Vergangenheit

Und das hat Folgen, wie Heiko Gradehandt, bAV-Experte von Willis Towers Watson, erläutert: „Ein Arbeitgeber, der vor 20 Jahren seinem Mitarbeiter Müller eine Betriebsrente von monatlich 500 Euro zugesagt hat, unterstellte beim Bilanzausweis Zinserträge von fünf oder sechs Prozent. Heute liegt der Rechnungszins bei nur noch gut zwei Prozent. Das bedeutet: Er muss nun zusätzliche Eigenmittel einsetzen, um die zugesagten Renten auszahlen zu können.“

Dies gilt in der Regel zwar nur für direkte Pensionszusagen, wie sie im Beispiel Mitarbeiter Müller erhielt. Allerdings waren diese Direktzusagen lange Zeit – und auch noch in den 90er Jahren mit damals relativ hohem Zinsniveau – die vorherrschende Form der baV.  Dadurch geraten Unternehmen  in eine ähnliche Klemme wie Versicherungsunternehmen, die ihren Kunden einst eine Verzinsung zusagten, die heute am Finanzmarkt nicht mehr zu erzielen ist.

Seit einigen Monaten kommt die baV aber noch von einer zweiten Seite unter Druck.  Denn die fallenden Aktienkurse mindern den Wert des Planvermögens, das zur Finanzierung der Zusagen angelegt wurde.  Im ersten Quartal 2015 legte das Planvermögen der DAX-Konzerne noch kräftig um 5,7 Prozent auf 240,8 Milliarden Euro zu. Bis Ende des dritten Quartals war es bereits auf 226,8 Milliarden Euro gesunken. Das Planvermögen der MDAX-Unternehmen verringerte im gleichen Zeitraum sich ebenfalls, von 31,6 auf 29,8 Milliarden Euro.  Seither dürfte der Kursverfall an den Börsen das Planvermögen nochmals deutlich abgeschmolzen haben.

Zur Stabilisierung des Systems arbeitet das Bundesarbeitsministerium derzeit am Entwurf einer baV für alle, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlen sollen. Geplant sind unter anderem Erleichterungen beim Rechnungszins und ein Haftungsausschluss der Unternehmen. Das  Modell wird allerdings von beiden Sozialparteien abgelehnt. Den Arbeitgebern gehen die Erleichterungen nicht weit genug, die Gewerkschaften fürchten, dass Unternehmen sich von aus der Verantwortung für die baV verabschieden könnten. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Anrecht auf eine betriebliche Altersversorgung (baV) hat grundsätzlich jeder abhängig Beschäftigte in Deutschland. Tatsächlich verfügen aber nur etwa 60 Prozent über eine baV. Zudem bezieht sich der gesetzliche Anspruch nur auf  Beiträge aus dem eigenen Arbeitslohn.

 

Diese „Entgeltumwandlung“ ermöglicht es Arbeitnehmern, maximal vier Prozent ihres Bruttolohns bis zur Höhe der in Westdeutschland geltenden Rentenbeitragsbemessungsgrenze von aktuell 74 400 Euro in die baV einzuzahlen. 2016 kann ein Beschäftigter also höchstens 2976 Euro umwandeln und in seine baV stecken.

 

Die Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, zur BaV beizutragen.  Gleichwohl finanzieren die Unternehmen nach Angaben des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall mehr als 80 Prozent des gesamten baV-Volumens. 

 

Neben Direktzusagen kann eine baV mit Hilfe von Pensionskassen, Direktversicherungen, Unterstützungskassen und Pensionsfonds aufgebaut werden, für die unterschiedliche Regelungen im Steuer-und Sozialabgabenbereich gelten

Müssen Millionen Arbeitnehmer um ihre Betriebsrente fürchten?

Die beruhigende Antwort lautet: Sie müssen nicht. Zum einen steht in Notfällen der arbeitgeberfinanziere Pensions-Sicherungs-Verein für die Betriebsrenten gerade. Zum anderen sind viele Unternehmen längst von der Zusage bestimmter Betriebsrentenbeträge abgerückt und auf Modelle ohne Zinsgarantie umgestiegen. Mittlerweile wird nur noch jede siebte neue baV-Vereinbarung in Form einer Direktzusage getroffen. Siemens zum Beispiel führte bereits 2003 ein „beitragsabhängiges Versorgungssystem“ ein, bei dem die Höhe der Betriebsrente von den eingezahlten Geldern und den tatsächlich erzielten Erträgen abhängt. Ein ähnliches Modell gilt seit 2012 bei Daimler. Mehr als die Hälfte aller neuen Betriebsrentenvereinbarungen orientieren sich inzwischen ausschließlich an der Kapitalmarktentwicklung, ohne Garantien für Zins-und Rentenhöhe. Für die ganz große Mehrheit der deutschen Unternehmen seien die Verpflichtungen aus der bAV nach wie vor verkraftbar, versichert Gradehandt.

Die Firma Fleischmann übrigens existiert immer noch. Befreit von den Pensionslasten konnte das Insolvenzverfahren für das Unternehmen, das sich seit sieben Jahren im Besitz einer österreichischen Holding befindet, im Januar abgeschlossen werden.