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Vortragsabend in Klitzschena Vortragsabend in Klitzschena: Botschafter berichten über Wölfe von früher bis heute

Von Karina Blüthgen 19.02.2016, 15:52
Ein Wolf im Fläming - nicht nur dort hat er sich längst angesiedelt.
Ein Wolf im Fläming - nicht nur dort hat er sich längst angesiedelt. Heyer

Klitzschena - „Bisher war das Argument der Jäger, dass sie den Wildbestand regulieren müssten, weil es keine größeren Raubtiere gibt. Nun ist mit dem Wolf ein Beutegreifer da - übrigens auch der Luchs -, und das ist den Jägern auch nicht recht“, sagt Christian Emmerich. „Diesen Widerspruch konnte mir bisher auch noch kein Jäger erklären“, so der Wolfsbotschafter des Naturschutzbundes (Nabu) am Mittwoch. Rappelvoll ist der Saal der Klitzschenaer Gaststätte, über 120 Zuhörer sind der Einladung des Fördervereins Hofgestüt Bleesern zum Vortrag „Wölfe gestern - Wölfe heute“ gefolgt.

Konkreter Nachweis schwierig

Der besteht eigentlich aus zwei sehr launigen Vorträgen. Zum einen erläutert Emmerich, wo sich seit 2008 in Sachsen-Anhalt Wölfe wieder angesiedelt haben (siehe „Recht verbreitet“). Und er erklärt, warum konkrete Nachweise der Tiere schwierig sind. So ist der Abdruck einer einzelnen Pfote von dem eines Hund kaum zu unterscheiden, erst eine Spurensammlung (etwa im Schnee) mache dies möglich. Das betrifft auch direkte Sichtungen. Besser seien da schon Aufnahmen aus Fotofallen oder ausgewertete Kotprobenfunde.

Zudem sei es nicht einfach, festzustellen, ob ein Einzeltier nur durch eine Region zieht oder es sich um einen territorialen Einzelwolf handelt, der standorttreu ist. Wobei letzteres sehr relativ zu sehen ist. „Eine Wolfsfamilie hat ein Territorium von etwa 200 bis 225 Quadratkilometer“, macht Emmerich die Dimensionen deutlich. „Ein Wolf läuft in einer Nacht auch mal locker 50 Kilometer, der ist schnell da und schnell wieder weg. Auch die Elbe ist kein Hindernis, selbst bei Hochwasser nicht.“

Problem mit Anzahl der Wölfe

Ausgesprochen interessant und sehr sachlich verläuft die Diskussion, bei der sich vor allem Jäger zu Wort melden. Jochen Petzold, der zugleich Ortsbürgermeister von Seegrehna ist, hatte zwei Sichtungen im Vorjahr, eine direkt neben dem Gartenzaun. „Mein Problem ist nicht der Wolf an sich, sondern die Anzahl. Wo sollen sie leben?“ Ein anderer fürchtet, dass die Wertigkeit der Jagdreviere sinkt, einige vielleicht in Zukunft gänzlich unverpachtet bleiben. Letzteres kann Christian Emmerich nicht nachvollziehen. In Sachsen gebe es seit zehn Jahren eine nennenswerte Population, Auswirkungen auf die Revierverpachtung habe das nicht.

Für den Bereich Seegrehna und Pratau, so der Wolfsbotschafter, lägen (entgegen dem Gehörten) bisher keine offiziellen Sichtungen vor. Das war vor 500 Jahren offenbar anders. Der Historiker Thomas Lang, Mitglied des Vereins und der Forschungsgruppe Ernestinisches Wittenberg, hat alte Akten auf verlässliches Material durchforstet.

Kurfürst setzt Prämie aus

Langs Fazit: Es gibt einige wenige verlässliche Angaben, etwa eine Notiz von 1446/47, nach der 16 junge Schweine „in den Eicheln“ (also zur Mast im Wald) bei Pratau von Wölfen gerissen worden sind. Auch junge Pferde sind 1509/10 bei Bleesern gerissen worden, wo sich zu jener Zeit das Hofgestüt befand. Der sächsische Kurfürst hatte wegen des Verlustes an Nutztieren 1498/99 ein Programm ins Leben gerufen, nach dem Bauern für jeden abgelieferten Wolf einen Scheffel Roggen bekamen.

Der Historiker schätzt, dass um 1500 im Umfeld von Bleesern, Kemberg und Schönitz pro Jahr etwa zehn Wölfe gefangen wurden, „ohne Wirkung auf den Bestand“. Ein bis zwei Pferde im ungeschützten Bestand fielen den Raubtieren jährlich zum Opfer, daneben auch Schweine und Schafe. Eine weit größere Gefahr für den Viehbestand seien jedoch Hochwasser, Krankheiten und Kriege gewesen, und natürlich Hunde.

In Annaburg habe der Kurfürst Wölfe in einer Wolfsgrube gehalten. Bei Altenburg war in zwei Fällen ein Knabe von einem Wolf gebissen worden. „Dabei hatte es sich wohl um einen angeketteten Wolf gehandelt“, so Langs Vermutung. (mz)