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TV-Kritik TV-Kritik: Söder (CSU) als "AfD-Entwicklungshilfeminister" verspottet

19.02.2016, 07:53

Frankfurt - Man könnte es Angela Merkel nachfühlen. Wenn sie irgendwann genug hätte von all dem Gezerre und Gezeter und aufgebe. Vermutlich ist ihr Pflichtgefühl zu sehr preußisch geprägt dafür, vielleicht hat sie auch zuviel Machtinstinkt, aber verständlich wäre der Schritt angesichts all der Anwürfe, Kritiken und Querschüsse auch aus den eigenen Reihen. Maybrit Illner, deren Sendung am Donnerstagabend diesmal unter dem Motto stand „Auf verlorenem Posten – scheitert Merkel an Europa?“, fragte denn auch irgendwann in die Runde, was wäre, wenn... Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatt, hatte flugs eine Alternative parat: Wolfgang Schäuble wäre ein „Kanzler der Vernunft“.

Niemand am Tisch brach in Gelächter aus. Doch Steingart gab auch der Hoffnung Ausdruck, Merkel möge weitermachen – und sich nach einer „Kehrtwende“ neu erfinden. Er sieht einen „Kontrollverlust“  und glaubt, dass die Kabinettschefin sich eines anderen besinnen und zu einer „Zielvorgabe“ bekennen müsse. Und beantwortete so Illners Frage, ob das alles schon angelegt sei in der Verschärfung der Asylgesetze.

Wollen wir die Menschen erst ins Land lassen, um sie dann durch Restriktionen zu vergraulen, fragte Illner, und  Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, einerseits in der Regierung, andererseits nicht in der Partei der Regierungschefin, wich aus: Man brauche ein Einwanderungsgesetz. Damit hat er recht, aber zur Lösung der aktuellen Schwierigkeiten taugt der Weg nichts. Aber es kennt auch offenbar derzeit niemand einen Weg. Angela Merkel will den Türken mit einer Menge Geld die Aufgabe versüßen, die aus den Kriegsgebieten Fliehenden an einer Wanderung nach Mitteleuropa zu hindern.

Der Hinweis darauf, wie schwierig das ist, war fast der einzige vernünftige Beitrag des bei solchen Gesprächsrunden offenbar unvermeidlichen CSU-Politikers Markus Söder. Der bayerische Finanzminister wies darauf hin, dass die Türkei massive innere Probleme habe – was die jüngsten Attentate auch schlimmste Weise belegten. Und dieses zerrissene Land soll Europa bei der Bewältigung der größten Herausforderung seit  der Nachkriegszeit helfen? Europa suche die Lösung wieder einmal, wie schon bei der Griechenland-Krise, außerhalb der Gemeinschaft, erklärte Steingart.

Die Krux mit den Grenzen

Auf die Bedeutung der Vorgeschichte der Finanzkrise für die jetzt entstandene Lage wies ebenfalls Almut Möller hin, Politikwissenschaftlerin vom European Council on Foreign Relations. Es sei das falsche Signal, sich nun auf die nationalen Belange zurückzuziehen, denn die Fluchtbewegungen würden nicht so bald enden, sondern sich eher ausweiten, etwa von Libyen aus.

Davor verschließen die Europäer derzeit noch lieber die Augen – geradeso, wie sie ihre Grenzen schließen. Nicht einmal die gemeinsam beschlossene Verteilung von 160.000 Geflohenen auf die EU-Staaten ist gelungen, es sind gerade einmal knapp 500 Menschen in verschiedenen Ländern untergekommen. Und die notorisch fremdenfeindlichen Staaten des früheren Ostblocks machen offen Front gegen Einwanderer. Da gleichen etwa  die Polen übrigens den Sachsen: Es gibt kaum Ausländer dort, der Anteil liegt bei etwas über einem Prozent. Die Unternehmerin Sina Trinkwalder brachte erneut die Kürzung von Subventionen als Drohung gegen die „Visegrad“-Staaten ins Spiel. Das werde Europa in die Spaltung treiben, argumentierte Markus Söder, der ja ebenfalls die nationale Souveränität beschwört – als ob Europa nicht längst gespalten sei. Bedrückendes Beispiel ist der Zaun, den Mazedonien,  mit Hilfe Ungarns, an der Grenze zu Griechenland errichtet. Damit werden die Griechen de facto aus der EU ausgeschlossen.

Söder und seine Parteifreunde wollen auch die deutsche Grenze dicht machen. Es könne nicht sein, dass es einen „dauerhaften Transfer“  ins Land gebe. Er drückte sich vor der Antwort auf die Frage, ob die CSU wirklich die Regierung vor dem Verfassungsgericht wegen der Öffnung der Grenze verklagen wolle. Und Illners Frage, ob denn die Grenzen überhaupt zu kontrollieren seien,  blieb ohne Antwort. Angela Merkel wisse eben um die Bedeutung des Schengen-Abkommens, sagte Almut Möller. Die Wirtschaft des Exportweltmeisters Deutschland würde unter dem Ende der Freizügigkeit innerhalb Europas gewaltig leiden.

„Die Kinder sind ein großer Gewinn“

Dass die Einwanderung Probleme mit sich bringt, hat man nun schon des öfteren gehört, diesmal war es der Bezirksstadtrat Falko Liecke (CDU), der beklagte, dass es „keine vernünftige Form des Wohnens“ gebe und ein „unbegrenzter weiterer Zustrom“ nicht zu bewältigen sei – zumal er sicher ist, dass die Menschen, wenn die Kinder erst einmal in Kindergarten oder Schule sind, nicht wieder in ihre Heimat zurückgehen wollen. Er erwartet praktische Unterstützung von der Politik, hat aber nicht das Gefühl, dass es „einen Plan“ gebe.

Gerade die Kinder, die hierher kommen, seien doch ein großer Gewinn, rief Oppermann aus, man müsse in die Bleibeperspektive investieren. Aber da ist ein Finanzminister vor, der eine schwarze Null als Fetisch pflegt. Wir brauchten Politiker, die die Situation als Chance sähen und nicht als Bedrohung, formulierte Sina Trinkwalder, die Markus Söder bescheinigte, er biedere sich als „Entwicklungshilfeminister für die AfD“ an. Dessen Entgegnung, die AfD sei das „Fieberthermometer der Demokratie“ konterte die Unternehmerin: Und wer hat die Krankheit verursacht?

 „Maybrit Illner“, ZDF, von Donnerstag, 18. Februar, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.