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Mehr Bedürftige weniger Spenden Mehr Bedürftige weniger Spenden: Besorgniserregende Situation bei den "Tafeln"

Von Detlef Färber 18.02.2016, 18:39
Körbe in verschiedenen Farben stehen bei der Tafel für die Grundversorgung mit Obst und Gemüse, mit Backwaren und mit Milchprodukten und Fleisch- oder Wurstwaren. Gegen ein geringes Entgelt von im Durchschnitt 2,50 Euro können diese Körbe einmal aller drei Wochen von den Tafel-Kunden erworben werden.
Körbe in verschiedenen Farben stehen bei der Tafel für die Grundversorgung mit Obst und Gemüse, mit Backwaren und mit Milchprodukten und Fleisch- oder Wurstwaren. Gegen ein geringes Entgelt von im Durchschnitt 2,50 Euro können diese Körbe einmal aller drei Wochen von den Tafel-Kunden erworben werden. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Das „Land der Frühaufsteher“ - hier gilt es noch: Hier, wo man es nicht zuerst vermutet: In der halleschen „Tafel“ in der Tangermünder Straße in Neustadt ist zeitiges Kommen angesagt. Wer später eintrifft, steht meist vor Regalen, die sich merklich geleert haben, und die die Älteren unter den Kunden an die Verkaufsstellen zu DDR-Zeiten erinnern dürften.

Stadtmission verhängt Aufnahme-Stopp

Doch der Vergleich zu jener Zeit trifft leider derzeit auch insgesamt auf die Situation dieser von der halleschen Stadtmission betriebenen Einrichtung zu: Der Bedarf steigt und der Nachschub stagniert. Anfang Januar musste die Stadtmission sogar das tun, was bislang nie nötig war, nämlich einen Aufnahme-Stopp verkünden, wie Stadtmissions-Vorstand Elke Ronneberger erklärt.

Um zu verstehen, was das genau bedeutet, ist ein Blick auf das Arbeitsprinzip der Tafel nötig. Die zumeist in Großstädten ansässigen „Tafeln“ verteilen und verkaufen gegen einen Bruchteil der Ladenpreise lebensnotwendige Waren, die zumeist von großen Handelsketten gratis zur Verfügung gestellt werden - etwa weil im Falle der Lebensmittel das Ende von deren Mindesthaltbarkeitszeitraum unmittelbar bevorsteht.

Wie so vieles kommt die Idee für die „Tafel“-Bewegung aus Amerika. 1993 wurde sie zuerst von einer Initiativgruppe „Berliner Frauen“ aufgegriffen und umgesetzt. Inzwischen gibt es deutschlandweit fast tausend Tafeln - fast ausschließlich in Großstädten. Ihre Zahl ist insbesondere in den letzten Jahren stärker angewachsen.

Auch in anderen europäischen Ländern wie Österreich, Schweiz, Frankreich, Spanien, Ukraine und Polen oder auch in der Türkei gibt es ähnliche Einrichtungen. In Deutschland wird die zugrunde liegende Idee, Lebensmittel mit nur noch kurzer Haltbarkeit zu verteilen oder für Kleinstpreise an Bedürftige abzugeben, inzwischen auch in modifizierter Weise in Form einer „Medikamententafel“ oder einer „Tiertafel“ genutzt.

Die deutschen Tafeln sind in einem überkonfessionellen Verband mit Gebietsschutz organisiert.

Nach den Erfahrungen des durchschnittlichen Spendenaufkommens nimmt die Tafel Kunden auf, die ihre Bedürftigkeit aber durch amtliche Dokumente nachgewiesen haben müssen. Doch nicht zuletzt durch die gestiegene Zahl der Bedürftigen und Berechtigten im Zusammenhang mit der Migration musste sich die hallesche Tafel bereits Ende letzten Jahres zu einem schmerzhaften Einschnitt entschließen und die Versorgung ihrer Kunden von einem Zwei-Wochen-Zyklus auf einen Drei-Wochen-Zyklus strecken. Soll heißen, dass die drei Grundversorgungs-Körbe für 2,50 Euro mit Backwaren, Gemüse und Molkerei- und Wurstwaren nur aller drei Wochen erworben werden dürfen.

Erworben wohlgemerkt nur für die in der Kundenkartei erfassten derzeit rund 1.100 Haushalte. Über diese Zahl hinaus gibt es laut Elke Ronneberger noch eine Warteliste. Doch wer dort vermerkt ist, kann nur dann auf die Berechtigten-Liste der Kunden nachrücken, wenn dort ein Platz frei wird. Etwa, weil jemand einen Job mit auskömmlicherem Einkommen gefunden hat.

Dringend Hilfe gesucht

Wie viele bedürftige alte und neue Einwohner nun keinen Zugang mehr zur Tafel, also zum Lebensmittelbezug für ganz kleines Geld haben, ist nur schwer zu schätzen - bei aktuell 35.000 Hallensern, die von Hartz-IV leben und 3.700 Asylbewerbern, die mehrheitlich erst im vergangenen Jahr in die Stadt gekommen sind. Eine Zahl von kurz vor Weihnachten 2015 verdeutlicht das Problem: An einem „normalen“ Tag konnten nach vorhandenem Angebot für 55 Kunden mit 104 Kindern Lebensmittel ausgeben werden. In einer anderen Woche, in der die Tafel vor allem Kunden mit Migrationshintergrund betreut, sei die Anzahl der Kinder oft doppelt so hoch, sagt die Tafel-Chefin. Der Vergleich mit dem viel zitierten Tropfen auf dem heißen Stein scheint der Situation fast schon angemessen.

Die demnächst 20-jährige Erfolgsgeschichte der Tafel in Halle stößt damit wohl auch an Grenzen. Was wäre da zu tun? Elke Ronneberger hat darauf immer nur wieder die eine Antwort: Man müsse versuchen, „noch mehr potenzielle Unterstützer für diese so dringend nötige, regelmäßige Hilfe zu sensibilisieren“.  (mz)