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Die Stunde der Stellvertreter Die Stunde der Stellvertreter: Wie steht es um die Kultur in Sachsen-Anhalt?

Von Christian Eger 17.02.2016, 18:41
Von links: Gunnar Schellenberger, Stephan Dorgerloh, die Moderatoren Sandra Meyer und Uli Wittstock, Claudia Dalbert und Wulf Gallert diskutieren über Sachsen-Anhalts Kultur.
Von links: Gunnar Schellenberger, Stephan Dorgerloh, die Moderatoren Sandra Meyer und Uli Wittstock, Claudia Dalbert und Wulf Gallert diskutieren über Sachsen-Anhalts Kultur. Katja Müller

Magdeburg - Katrin Budde ist nicht da. Zum zweiten Mal sagte die SPD-Fraktions-Chefin im Landtag eine Wahlkampfdiskussion in Sachen Kulturpolitik ab. Es wäre eine Premiere gewesen.

Noch zu keinem Zeitpunkt der vergangenen drei Jahre, auch nicht im Zuge der Protestdemonstrationen 2013, hat man die Landes-Chefin der SPD im öffentlichen Kultur-Streit mit politischen Konkurrenten erlebt.

Man schuf lieber Tatsachen. So blieb es am Dienstagabend Christian Reineke, dem Vorsitzenden der Kulturkonferenz Sachsen-Anhalt, überlassen, dem im Magdeburger Kulturforum Gestaltung versammelten Publikum zu verkünden, dass auf eine „langfristige Zusage“ zum kulturpolitischen Spitzentalk eine „überaus kurzfristige Absage“ erfolgt sei. Auf MZ-Nachfrage teilte Buddes Büro als Begründung mit, es hätte „andere Termine“ gegeben.

Budde ist nicht allein. Auch André Schröder, Fraktions-Chef der CDU, findet nicht den Weg zur Diskussion. Ein Umstand, der insofern zu bedauern war, als Schröder als Kultusminister immerhin im Gespräch ist. Aber Kulturpolitik wird in Sachsen-Anhalt als Wahlthema nicht nach vorne, sondern zur Seite gespielt. Und so schlägt auf der Regierungsebene in Sachen Kultur die Stunde der Stellvertreter. Man gibt sich auch keine Mühe, das näher zu begründen.

Die SPD schickte den Kultusminister Stephan Dorgerloh, dessen Amtsfortsetzung höchst ungewiss ist und der kein Mitglied des Landtages war - und auch nicht kandidiert. Die CDU entsandte den Vorsitzenden des Kultur- und Bildungsausschusses, Gunnar Schellenberger, inzwischen ein Podiums-erprobtes Schlachtross. Der Mann aus dem Salzlandkreis, der gern für das in seinem Wahlkreis rekonstruierte Ringheiligtum Pömmelte - „das deutsche Stonehenge!“ - wirbt, musste bereits zur Podiumsdiskussion in Halle den Ministerpräsidenten ersetzen. Aber man erfährt ja auch immer etwas Neues. Zum Beispiel, dass Schellenberger über einen „Schwarzpulverschein“ verfügt, eine Qualifikation, die ihn in die Lage versetzen könnte, wie er sagt, die vier aus dem Deutsch-Französischen Krieg stammenden Kanonen zu bedienen, die das Land im Dezember mit Geld aus dem Kulturetat für das Bismarck-Museum in Schönhausen erworben hat.

Der als Vorwurf formulierte Befund, dass die Regierung - also „das Land“ - zu sehr auf Jubiläen, auf „Steine“ und eine Musealisierung des kulturellen Lebens setze, zog sich denn auch als ein roter Faden durch die zupackend und launig von den Journalisten Sandra Meyer und Uli Wittstock geführte Diskussion. Als die einzigen Fraktions-Chefs in der Runde ließen Claudia Dalbert von den Grünen und der Linke-Vorsitzende Wulf Gallert jeweils Zahlen sprechen.

Von 2011 bis 2016 habe es laut Gallert zusätzliche Ausgaben für Baudenkmäler und Luther-Jubiläum in Höhe von 9,5 Millionen Euro gegeben, dem das Sinken der Ausgaben unter anderem für Theater, Museen und Musikschulen um acht Millionen gegenüber stünde. Claudia Dalbert, die - wie sie auf Nachfrage einräumt - als Kultusministerin bereit stünde, kommt zu einem ähnlichen Befund. Sie hat sich den Kulturetat des Landes genauer angeschaut, in dem auch die Mittel für Denkmalschutz und Unesco-Stätten verwaltet werden, was anderswo nicht der Fall sei.

Nimmt man diese Mittel heraus, meint Dalbert, komme man auf den eigentlichen Kulturetat. Und der zeige dann 2011 eine Höhe von 89 Millionen und 2016 nur noch 78 Millionen. „Nun sage mir nochmal einer, das ist keine Schwerpunktverschiebung!“, erklärt Gallert, der übrigens derjenige Politiker ist, dem an diesem Abend die Kollegen am meisten zustimmen.

Selbstverständlich wehrt sich Dorgerloh gegen den Musealisierungsvorwurf. Die Luther- und Bauhaus-Jubiläen Thüringen zu überlassen, das wäre ein Versagen gewesen, sagt er. Man verbinde ja zudem die historischen mit zeitgenössischen Aktionen. Eine Bemerkung, die den Moderator einwenden lässt, dass er jetzt - wenn er Maler in Sachsen-Anhalt wäre - große Chancen hätte, viele Luther-Bilder loszuwerden. Oder als Musiker, eine Luther-Oper zu komponieren. Die wird es geben, überrascht Gunnar Schellenberger. „Das sind die Renner, die gebraucht werden!“

Nun bilden Erbe und Gegenwartskunst eigentlich keine Entweder-Oder-Konstellation, schon gar nicht in Sachsen-Anhalt, nur müssen beide Seiten bedient werden. Aber die Tendenz zur kulinarischen Erbepflege ist unübersehbar, auch wenn es, was zum Schlagwort „Musealisierung“ gehört, den Museen wirklich schlecht geht, wie sogar Gunnar Schellenberger einräumt, der ein Freund der musealen und repräsentativen Kultur ist.

Der steht ein auf Einmischung orientierter Kulturbegriff entgegen, den die Grünen und die Linke pflegen, die Kultur ausdrücklich nicht als Magd des Tourismus oder der Pädagogik begreifen, was zu kleinen Wortgefechten führt. „Wir haben viel zu wenig kulturelle Inventionen in die Gegenwart!“, erklärt Gallert. „Das ist auch eine Folge der Kulturpolitik im Land!“ Dorgerloh: „Das wird nicht besser, lieber Herr Gallert, wenn sie es immer wiederholen.“ Gallert: „Richtig, das wird nicht besser.“

Der Linke-Chef lenkt die Aufmerksamkeit noch auf eine andere Frage: Soll die historisch gewachsene hohe Kulturdichte in Sachsen-Anhalt, die der vieler westdeutscher Flächenländer überlegen sei, erhalten bleiben oder nicht? Die Pro-Kopf-Kulturausgaben liegen in Sachsen Anhalt bei 134 Euro, in Niedersachsen bei 70 Euro. Die Theaterlandschaft sagt Gallert, sei bereits auf niedersächsisches Niveau geschrumpft worden. Jetzt gehe es um den Erhalt der anderen öffentlichen Kulturinstitutionen.

Hier gab es keinen Widerspruch. Auch nicht im Willen, die Kommunen finanziell zu stützen, Tarifgerechtigkeit in den Theatern herzustellen und die Bearbeitung von Projektförderanträgen erheblich zu verkürzen. Letzteres gelingt immer nur in Wahlkampf-Zeiten. (mz)

Wahlprüfsteine Kultur: www.kulturkonferenz-sachsen-anhalt.de