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Theaterprojekt "An-ge-nom-men" Theaterprojekt "An-ge-nom-men": Kultusminister Dorgerloh besucht Arbeitsprobe

Von Uwe Kraus 16.02.2016, 12:43
„An-ge-nom-men“: Die Kinder proben in der Reichenstraße.
„An-ge-nom-men“: Die Kinder proben in der Reichenstraße. Chris wohlfeld

Quedlinburg - Als das Land Sachsen-Anhalt 900.000 Euro für ein zweijähriges Modellprojekt zur Stärkung der Theaterpädagogik in Sachsen-Anhalt locker machte, wusste der Syrier Omar noch nichts vom deutschen Dorf Friedrichsbrunn. Heute lebt der 17-Jährige im dortigen Kinderheim „Zur Tannenspitze“ und spielt Theater. Mit ihm auf der Bühne stehen Ali, Abdulah, Melissa oder Jessy.

Theaterstück über Heimat,Verlust,Familie und Begegnung

Seit einem halben Jahr erarbeitet Theaterpädagogin Jennifer Fulton mit ihnen ein Stück, „An-ge-nom-men“ nennt sie es. „Es geht um Heimat, deren Verlust, um Familie und Begegnung“, erläutert sie bei der Probe im soziokulturellen Zentrum Reichenstraße in Quedlinburg. Dass unter den Zuschauern auch Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD), Quedlinburgs Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU) und FDP-Landtagskandidat Michael Jaeger sitzen - die jungen Leute registrieren es höchstens. Dorgerloh geht auf die jungen Darsteller zu, redet mit ihnen, über das Stück, ihr Schicksal, die Schule. Ihm ist wichtig zu erfahren, was aus dem bewilligten Geld wird. „Eine knappe Million Euro, das ist schon eine große Nummer.“ Der SPD-Politiker warnt davor, dem Projekt gleich wieder das Etikett „Integration“ aufzupappen.

„Die Idee kam in der Intendanten-Konferenz des Landes. Die festen Theater bekommen immer wieder Anfragen zu Schultheaterprojekten, die freien haben oft gute Gedanken, aber eine unterdessen verschlissene Technik und die Sorge, wie sie ihre Theaterpädagogen finanzieren sollen. Wir wollen freie Bühnen und feste Häuser mit unserem Programm enger zusammenbringen.“ Stephan Behrmann, Geschäftsführer des Landeszentrums Spiel und Theater (LanZe), freut es, dass durch die enge Zusammenarbeit schnell ein gutes Konzept auf den Tisch gebracht wurde. Dadurch werde das Geld nicht per Gießkanne über dem Land ausgeschüttet. Zum ersten Mal fördere man gemeinsam die Theaterpädagogik an festen Spielstätten und in der freien Szene. Dazu gehöre auch die gemeinsame Fortbildung in LanZe-Regie.

Schnelle Reaktion auf veränderte Bedingungen

„Dass von den 15 Vorhaben der Theaterszene, die sich in allen Altersstufen an Kinder und Jugendliche wenden, jedes dritte mit Integration befasst ist, ist mehr als nur ein positiver Fördereffekt, sondern zeugt davon, wie schnell auf die veränderten Bedingungen reagiert wird“, so Behrmann. Die Projektleiterin und Vorsitzende des Friedrichsbrunner Vereins „Theaterlandschafft“, Kerstin Dathe, freut es, dass die Zuwendungen an der Qualität der Arbeit gemessen werden. „Früher gab es nur gezielt Geld, wenn die Angebote defizit-orientiert waren; Theater mit Langzeitsarbeitslosen, Behinderten, Flüchtlingen.“

Doch die engagierte Frau ist sich mit der Friedrichsbrunner Kinderheim-Leiterin Anke Käßler einig: Das, was Theaterpädagogin Jennifer Fulton mit ihrer halben Stelle bewirkt, schafft Nachhaltigkeit. „Wir sind der Reichenstraße auch sehr dankbar, dass sie uns hier die Probebühne zur Verfügung stellt.“ Dabei drehe sich nicht alles um die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. „Heimat und der Verlust der Wurzeln, das ist auch ein Problem der deutschen Kinder bei uns im Heim.“ Kultusminister Stephan Dorgerloh wirft ein: „Ich finde den Satz von Karl Jaspers toll: „Heimat ist dort, wo ich verstehe und verstanden werde.“ Für ihn zeige das Zusammenspielen von deutschen und ausländischen Jugendlichen, wie wichtig es sei, „aus der Angst- in eine Chancen-Debatte zu wechseln“.

Versteckte Talente

Derweil probt Jennifer Fulton mit den Mädchen und Jungen weiter. Lässt sie in ihren Bewegungen erstarren, wünscht sich mehr Lockerheit, weniger Hast beim Sprechen. In ihrem Stück sind nicht nur Flüchtlingskinder, sondern auch solche mit sonderpädagogischem Förderbedarf einbezogen. Sie bittet die Technikerin um Musik und erinnert sich spontan an einen Auftritt von Omar. „Er hat in Syrien Laute gelernt. Plötzlich griff er zur Gitarre und sang ein heimisches Lied. Das haben wir im Tonstudio gleich aufgezeichnet.“

Anke Käßler erkennt sowohl in sprachlicher als auch in sozialer Hinsicht eine bemerkenswerte Leistungssteigerung der jungen Mitspieler. „Natürlich spricht nicht jeder schon so ein gutes Deutsch wie Omar, aber wir sind den Mitarbeiterinnen der Kreisvolkshochschule ungeheuer dankbar, dass sie unseren Bewohnern von Beginn an einen solch guten Deutsch-Unterricht angedeihen lassen.“ Außerdem sehe sie eine soziale Komponente, sagt sie. „Unsere Teilnehmer fahren mit dem Bus von Friedrichsbrunn nach Quedlinburg, mit dem Zug dann nach Halberstadt. Da kommen sie mit dem echten Leben in Kontakt.“ (mz)