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Atomenergie Atomenergie: Neue AKW Blöcke in Ungarn geplant - Putins Rundum-Sorglos-Paket

Von Thorsten Knuf 14.02.2016, 13:26
Ungarn plant den Bau neuer AKW Blöcke durch finanzielle und technische Unterstützung Russlands (Symbolbild).
Ungarn plant den Bau neuer AKW Blöcke durch finanzielle und technische Unterstützung Russlands (Symbolbild). dpa Lizenz

Berlin - Viktor Orban genoss den Auftritt und lobte seinen Gastgeber in den höchsten Tönen. „Russland ist unser wichtigster Partner nach den EU-Ländern“, versicherte der ungarische Regierungschef bei einem Besuch in Moskau. An Präsident Wladimir Putin gewandt fügte er hinzu: „Wir schätzen die Entwicklung, die Russland unter Ihrer Führung genommen hat.“ Rund zwei Jahre ist das jetzt her. Es war die Zeit, als pro-europäische Demonstranten den Maidan in Kiew besetzt hielten, die Ukraine-Krise ihren Lauf nahm und sich das Verhältnis des Westens zu Russland rapide verschlechterte

Doch Orban hatte ehedem ganz andere Dinge im Sinn: Bei seinem Besuch in Moskau brachte er mit Putin einen spektakulären Deal unter Dach und Fach. Der russische Konzern Rosatom soll am ungarischen Atomkraftwerk Paks südlich von Budapest zwei neue Reaktorblöcke mit einer Leistung von jeweils 1.200 Megawatt errichten. Aus Russland sollen nicht nur die Technik und die Brennstäbe für die neuen Meiler kommen – sondern praktischerweise auch gleich das Geld, mit dem der ungarische Staat den Bau größtenteils finanziert. Zu Putins Rundum-Sorglos-Paket gehören bilaterale  Kredite in Höhe von  zehn Milliarden Euro. Der Baubeginn ist für 2018 vorgesehen, fünf Jahre später sollen die Reaktoren Strom liefern. Eine europaweite Ausschreibung für Paks, die es eigentlich zwingend hätte geben müssen, fand nie statt.

Staatschef Orban ist von dem Deal überzeugt

Die rechtsnationale Orban-Regierung ist nach wie vor der Überzeugung, dass sie ein großartiges Geschäft eingefädelt hat. Doch inzwischen gerät sie in Sachen Paks immer stärker unter Druck: Die EU-Kommission bezweifelt, dass der Atom-Deal mit dem europäischen Binnenmarkt zu vereinbaren ist und argwöhnt, dass staatliche Beihilfen den Wettbewerb im Stromsektor verzerren werden. Das sehen auch Energie-Anbieter aus anderen EU-Ländern so. Nach Informationen der Berliner Zeitung bereiten sich deutsche Ökostromfirmen und Stadtwerke gerade darauf vor, notfalls gegen das ungarische Projekt vor Gericht zu ziehen – sofern Brüssel doch noch grünes Licht für den Ausbau von Paks geben sollte.

„Wir müssen jetzt den Ausgang der Beihilfeprüfung zunächst einmal abwarten“, sagte ein Sprecher der Hamburger Ökostrom-Genossenschaft Greenpeace Energy auf Anfrage. Er ergänzte jedoch: „Sollte die EU-Kommission das geplante Finanzierungsmodell für Paks aber ohne Korrekturen genehmigen, dann schließen wir weitere Schritte nicht aus, um dagegen vorzugehen.“

Greenpeace Energy klagt bereits mit anderen Anbietern aus Deutschland und Österreich gegen das Atomprojekt Hinkley Point C im Südwesten Englands, wo der britische Staat mit Milliarden-Subventionen neue Meiler hochziehen lassen will. Hierfür liegt seit Herbst 2014 eine Genehmigung aus Brüssel vor. Im Fall Paks lief Ende letzter Woche die Frist ab, in der Wettbewerber Stellung nehmen konnten.  Dies haben Greenpeace Energy und seine Verbündeten getan. Sie engagierten dafür die renommierte Anwaltskanzlei Becker Büttner Held, die auf Energierecht spezialisiert ist und auch die Klage im Fall Hinkley Point C betreut.

Bei beiden Projekten  geht es um eine grundsätzliche Frage: Ist es zulässig, dass EU-Mitgliedstaaten versuchen, mit viel öffentlichem Geld der Atomkraft zu einer Renaissance zu verhelfen? Jeder EU-Staat kann über seinen Energiemix frei befinden. Er muss sich aber an die Regeln des Binnenmarktes halten. Subventioniert ein Staat eine bestimmte Energieform, macht er Wettbewerbern im In- und Ausland das Leben schwer.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum, Atommeiler heute nicht mehr gewinnbringend sind.

Hohe Kosten durch Sicherheitsstandards

Strengere Sicherheitsanforderungen haben in den vergangenen Jahren die Kosten für neue Atommeiler in Europa derart in die Höhe getrieben, dass sich die Anlagen durch den Verkauf von Strom allein nicht mehr gewinnbringend bauen und betreiben lassen. Hinzu kommt, dass der Ökostrom-Boom die Großhandelspreise purzeln lässt. Private Investoren werden in Europa kaum noch Geld in neue Atomkraftwerke stecken, wenn ihnen die öffentliche Hand nicht die finanziellen Risiken abnimmt.

Umweltschützer und Atomkraftgegner befürchten nun, dass Hinkley Point C und möglicherweise auch Paks mit Brüsseler Genehmigung Vorbilder für andere Atomprojekte werden könnten. Davon gibt es insbesondere in den östlichen EU-Ländern eine ganze  Menge. „Auch beim ungarischen Fördermodell handelt es sich – analog zu Hinkley Point – um milliardenschwere Subventionen“, sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl dieser Zeitung. Die EU-Kommission dürfe jetzt nicht wieder vor der Atomlobby einknicken. „Atomfreundliche Länder wie Polen oder Tschechien scharren schon mit den Hufen, um mit ähnlichen Fördermodellen ihre bisher unwirtschaftlichen Neu- und Ausbauprojekte rentabel zu machen.“

AKW-Risiken betreffen ganz Europa

Die juristische Auseinandersetzung dreht sich um Beihilfen und den Binnenmarkt. In der politischen Auseinandersetzung geht es um die Risiken der Atomkraft: Kommt es in einem Kraftwerk zu einem schweren Unfall, werden die Auswirkungen in Europa auch jenseits der jeweiligen Landesgrenzen zu spüren sein. Zwischen Paks und der österreichischen Hauptstadt Wien liegen nur knapp 260 Kilometer, bis zur deutschen Grenze sind es 460.

Zumindest beim britischen Projekt Hinkley Point C könnte es freilich sein, dass es nicht einmal der EU-Kommission und des Gerichts der Europäischen Union in Luxemburg bedarf, um den Planungen den Garaus zu machen: Der französische Energiekonzern EDF, der die Meiler im Nachbarland  federführend bauen und betreiben soll, kann sich trotz gigantischer Subventionszusagen aus London bisher nicht zu einer abschließenden Investitions-Entscheidung durchringen.

Neun Mal hat das EDF-Management bereits einen Beschluss dazu vertagt, zuletzt Ende Januar. Der hoch verschuldete Konzern scheut das damit verbundene Risiko. Er hat schon genug mit dem Pannenprojekt in Flamanville (Normandie) zu kämpfen. Dort wird ein neuartiger Reaktortyp errichtet, der auch in Hinkley Point zum Einsatz kommen soll. Doch die Bauarbeiten in Flamanville verzögern sich immer weiter, die Kosten explodieren. Es geht um Beträge in Milliardenhöhe. Die EDF-Mitarbeiteraktionäre warnen bereits, auch in Großbritannien drohe dem französischen Staatskonzern nun eine „finanzielle Katastrophe“.