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Buch über DDR-Soldaten Buch über DDR-Soldaten: Druck Kontrolle Angst und Flucht an der Staatsgrenze

Von Jutta Schütz 10.02.2016, 07:06
Blick von der Westberliner Seite auf Grenzsoldaten der DDR auf der Mauer am Brandenburger Tor am 11.11.1989.
Blick von der Westberliner Seite auf Grenzsoldaten der DDR auf der Mauer am Brandenburger Tor am 11.11.1989. dpa Lizenz

Berlin - Schüsse hallen an einem Novembernachmittag im Jahr 1971 durch die Luft. Wenig später werden zwei Tote im Sperrstreifen des DDR-Grenzkommandos Nord entdeckt. Soldat D. und Gefreiter B. liegen mit Herzdurchschüssen am Boden. Die Grenzsoldaten haben sich „zweifelsfrei“ gegenseitig erschossen, stellt das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in einem geheimen Bericht fest.

Für die Stasi ist der Hintergrund der Tragödie schnell klar: Der 24-Jährige wollte die Grenze durchbrechen und in den Westen fliehen, sein vier Jahre jüngerer Postenführer ihn daran hindern. Familiäre Probleme, „persönliche Sentimentalität, Kraftlosigkeit und Schwächlichkeit“ hätten den Angriff des Soldaten gegen seinen Kameraden mit der positiven Einstellung zur DDR ausgelöst.

DDR-Grenzsoldaten im Dienst unter enormen Druck

Der Fall zeige den enormen Druck, dem DDR-Grenzsoldaten im Dienst ausgesetzt waren, stellt Autor Jochen Maurer in seinem Buch „Halt - Staatsgrenze!“ fest, das im Ch. Links Verlag erschienen ist. Der Autor ist Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Potsdam).

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall hat Maurer eine Analyse vorgelegt, die das Innenleben der Grenztruppen der DDR und den Alltag von Soldaten und Offizieren in den Blick nimmt. In der Dissertation wird auch aus zahlreichen Stasi-Berichten zitiert.

Das Buch liefere gerade angesichts neu errichteter Grenzen und Mauern einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des DDR-Grenzregimes, sagte der Direktor der Berliner Mauer-Gedenkstätte, Axel Klausmeier. Deutlich werde, dass sich jede Verharmlosung und Relativierung der DDR verbiete. Menschen- und Freiheitsrechte sollten in letzter Konsequenz durch den Schießbefehl unterbunden werden.

Weitere Informationen zum Buch „Halt - Staatsgrenze!“ lesen Sie auf Seite 2.

In der Studie werden erstmals die drei Grenztypen zwischen Ost und West beleuchtet, so Hans-Hubertus Mack, Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte, im Vorwort. Es gehe um die „grüne Grenze“ zur Bundesrepublik, die „Berliner Mauer“ und die „Friedensgrenze“ zur Tschechoslowakei.

Die innerdeutsche Grenze hatte eine Länge von knapp 1400 Kilometern. Die DDR hatte hier schon 1952 begonnen, Grenzwälle zu errichten. Diese wurden nach dem Bau der Berliner Mauer von 1961 immer weiter perfektioniert. Seit den 70er Jahren waren die Grenzkommandos Nord und Süd hier mehr als 26 000 Mann stark. Wie viele Menschen an der innerdeutschen Grenze insgesamt ums Leben kamen, wird noch erforscht. In Berlin riegelte die rund 155 Kilometer lange Sperranlage den Osten vom Westteil der Stadt ab. Hier starben durch das DDR-Grenzregime nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mindestens 138 Menschen.

Die „Unverletzlichkeit“ der Staatsgrenze

„Keine Institution war so sehr von der Staatssicherheit durchdrungen wie die DDR-Grenztruppen“, schreibt Major Maurer. Die „Unverletzlichkeit“ der Staatsgrenze habe höchste Priorität gehabt. Die Sicherheit im Grenzgebiet sei unter allen Bedingungen zu gewährleisten, hieß es etwa in einer MfS-Dienstanweisung. Die verantwortliche Diensteinheit des Stasi-Ministeriums für die Nationale Volksarmee (NVA) und die Grenztruppen hatte die interne Bezeichnung „Verwaltung 2000“.

Gläserne Soldaten sollten geschaffen werden - nach der Maxime des russischen Revolutionsführers Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, heißt es im Buch. So seien die „Grenzer“ immer zu zweit zum Dienst eingeteilt worden - Posten und Postenführer. Sie sollten sich gegenseitig misstrauen.

Weitere Informationen zum Buch „Halt - Staatsgrenze!“ lesen Sie auf Seite 3.

Und doch konnte die Stasi nicht alles steuern und überwachen. Allein zwischen 1977 und 1986 flüchteten 107 Angehörige der Grenztruppen nach Westdeutschland (90) und West-Berlin (17), schreibt der Historiker. Auch „ideologisch gefestigte“ Männer seien darunter gewesen. 69 Geflüchtete waren einfache Mannschaftssoldaten, die anderen höhere Dienstgrade. Ein Kapitel in dem Buch mit rund 450 Seiten widmet sich denn auch dem Offizierskorps „zwischen Überlastung, Desinteresse und disziplinaren Auffälligkeiten“.

Weniger Fluchten seit den 70er Jahren

Seit den 70er Jahren gab es weniger Fluchten - weil die Grenzanlagen immer stärker ausgebaut und perfektioniert wurden. In den ersten neun Jahren nach Bildung der Grenztruppen wurden von Dezember 1961 bis August 1970 noch mehr als 1500 Fahnenfluchten registriert, ist zu lesen. Die SED-Führung sei nicht müde geworden, der Öffentlichkeit die Grenztruppen als Elite zu präsentieren, die sich unermüdlich für das Wohl der Bevölkerung einsetze.

Das MfS habe einen Grund für die Flucht von Abtrünnigen in unzureichender politische Bindung gesehen, schreibt Maurer. In einem Protokoll hieß es aber auch, manche hätten die „Gegebenheiten in der DDR“ als unbefriedigend empfunden. Dies habe zu einer „unterschwelligen Eingenommenheit für bestimmte Seiten des westlichen Lebens“ geführt und Fluchtgedanken ausgelöst. (dpa)