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Verbraucherschutz in Wittenberg Verbraucherschutz in Wittenberg: Falsche Zunge und Ekel-Soße

Von Michael Hübner 29.01.2016, 17:58
Ein Tierarzt prüft die Güte von Fleisch.
Ein Tierarzt prüft die Güte von Fleisch. Archiv/dpa Lizenz

Wittenberg - Der Mann stürmt Wut entbrannt auf den Servicepunkt eines Supermarktes zu, ignoriert die Kundenschlange und knallt eine Flasche Dressing auf den Tisch: „Gestern gekauft, das Mindesthaltbarkeitsdatum ist aber längst abgelaufen. Wir haben uns unseren Salat mit der ekligen Soße versaut.“ Die Mitarbeiterin des Discounters bleibt ruhig, möchte den Kaufpreis zurück erstatten. Doch der Kunde will Schadensersatz - auch für den Salat. Zur Entscheidung über diese Forderung wird der Mann ins Chefzimmer der Marktleiterin geführt. Hier wird offensichtlich eine Einigung erzielt.

In den Supermärkten liegen in den Regalen Tausende Produkte, unzählige Fisch- und Fleischsorten, Milchprodukte, Obst und Gemüse. Wie sicher sind diese Lebensmittel, die wir einkaufen? Lauern größte Gefahren?

Das Regierungspräsidium in Stuttgart warnt Mitte der 1980er Jahre vor verseuchten Eiprodukten in Nudeln. Die Firma strengt eine Schadensersatzklage an, am Ende musste Baden-Württemberg in einem Vergleich 12,8 Millionen Mark zahlen. Erst viele Jahre später decken Journalisten auf: Die Vorwürfe stimmen: Zermalmte tote Küken, Reste von Hühnermist und gefährliche Mikroben, verarbeitet in Teigwaren: Die „Flüssigei-Affäre“ in den 80er Jahren ist wohl der unappetitlichste Lebensmittelskandal in Deutschland. Ganz sicher aber der folgenschwerste - mit Auswirkungen bis heute. Seitdem wagt bundesweit kaum noch eine Behörde, vor verdorbenen Produkten öffentlich zu warnen. Aus Angst, von Unternehmen auch in Haftung genommen zu werden. Übrigens das Strafverfahren gegen den Nudelproduzenten wird genauso eingestellt wie das gegen den Wittenberger Wirt, der Pangasius-Filet statt Seezunge verkauft.

Nein, sagt Petra Hintersdorf. Die promovierte Tierärztin ist im Kreis für die Lebensmittelüberwachung zuständig. Ihr Einzelhandels-Urteil basiert auf 686 Proben, die im vorigen Jahr untersucht worden. „57 werden beanstandet. Das sind acht Prozent. Bei der Hälfte davon handelt es sich um Mängel bei der Kennzeichnung der Ware“, sagt die Expertin. Ergo liege keine direkte Gefährdung für den Konsumenten vor. Die Produkte beim Discounter seien „recht sicher“.

Punktuelle Probleme treten eher beim Hersteller auf. Und der Mann, der im Supermarkt sein Produkt zurückgebracht hat, habe richtig gehandelt. „Wenn es keine Einigung mit dem Discounter gibt, können auch wir eingeschaltet werden“, betont die Frau aus dem Landratsamt. Allerdings habe sie Zweifel an der Darstellung des Kundens. „Wir haben Dressing untersuchen lassen, da war das Mindesthaltbarkeitsdatum bereits über ein Jahr abgelaufen. Die Probe hat nichts ergeben“, betont die Fachfrau. Die Salatsoße sei immer noch in Ordnung gewesen.

Insgesamt haben die fünf Kontrolleure im vergangenen Jahr im Landkreis 934 der insgesamt 2 445 Betriebe besucht. Dabei sei manches Unternehmen mehrfach geprüft worden. Bei 85 Betrieben werden die Kontrolleure fündig. Es ist aber nichts Spektakuläres dabei. „Ein oder zwei Bußgeldverfahren, eine Strafanzeige“, zieht Hintersdorf Bilanz.

Das ist 2012 noch ganz anders. Da sorgen die Wittenberger Spezialisten für überregionale Schlagzeilen. Der Amtstierarzt wird als verdeckter Ermittler eingesetzt, die Recherchen inkognito sind ein großer Erfolg. Der Fachdienstleiter wird in den Lokalen zum Testesser in Sachen Fisch. „Er war neu bei uns. Den kannten die Gastronomen noch nicht“, erinnert sich Hinterdorf mit einem Lächeln im Gesicht an den Coup. Gleich zweimal wird dem Chefermittler Thomas Moeller Pangasius-Filet statt der bestellten Seezunge serviert - und das natürlich zum Preis der Delikatesse.

Die DNA wird in einem Labor untersucht. Es gibt eindeutige Ergebnisse. Und als selbst das MDR-Fernsehen über den Fall berichtet, serviert ein Wirt dreist das Billig-Filet weiter als Seezunge zu den Gourmet-Konditionen. „Ich habe Zweifel, ob man das als Fahrlässigkeit gelten lassen kann“, sagt Moeller damals der MZ. Die Staatsanwaltschaft stellt - mancher juristische Laie würde da den Straftatbestand des Betrugs vermuten - das Verfahren nach Angaben aus der Kreisverwaltung allerdings ein.

Das ist für die Verbraucherschutz-Organisation „foodwatch - die Essenretter“ nicht entscheidend, sondern die mediale Aufmerksamkeit. Die Verbraucherschützer verlangen bisher vergeblich, dass bei gefährlichen Produkten Ross und Reiter genannt werden. „Mit der Geheimniskrämerei in den Behörden muss Schluss sein. Betrüger müssen genannt werden, die Ergebnisse der Betriebskontrollen bekanntgegeben werden“, heißt es auf der Homepage. Die Berliner empfehlen das Smiley-System nach dänischem Vorbild. Seit 2001 müssen dort Restaurants und andere Lebensmittelbetriebe die Ergebnisse von Kontrollen gut sichtbar in den Verkaufsräumen aushängen.

Fröhliche oder traurige Smiley zeigen, ob alles in Ordnung ist oder bei den Kontrollen Mängel aufgetreten sind. In einer repräsentativen Emnid-Umfrage - im Auftrag von „foodwatch“ - stimmen 93 Prozent der Befragten in Deutschland dafür, dass die Betriebe verpflichtet werden, ihre Kunden mit gut sichtbaren Aushängen über die amtlichen Kontrollen zu informieren. Daraufhin haben die Verbraucherschützer in Briefen die Bundes-Minister und Abgeordneten in Berlin aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass „Deutschland ein Land des Lächelns“ wird. „Grüne Politiker haben Unterstützung signalisiert“, sagt Luise Molling auf MZ-Anfrage. Die Referentin bei „foodwatch“ stellt fest: In Deutschland gebe es eine starke Wirtschaftslobby. „Wir brauchen für den Verbraucher einfach Transparenz. Die Erfahrung aus den anderen Ländern zeigt, dass das der wirksamste Schritt ist“, betont die Berlinerin, die die Kritik einer Illustrierten - „Lebensmittelkontrolle - löchrig wie ein Schweizer Käse“ - allerdings nicht teilt. „Unser System ist aber uneffektiv“, meint sie.

Hintersdorf widerspricht vehement. „Wenn wir Mängel feststellen, müssen die sofort abgestellt werden“, betont die Fachfrau. Das sei auch weitaus effektiver als einen traurigen Smiley zu verteilen. „Es ist nicht unsere Aufgabe, Unternehmen zu brandmarken“, betont sie. (mz)

Hygieneverstöße und unzureichende oder falsche Kennzeichnung sind meist Anlass zu Kritik.
Hygieneverstöße und unzureichende oder falsche Kennzeichnung sind meist Anlass zu Kritik.
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