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KZ-Gedenkstätte Lichtenburg KZ-Gedenkstätte Lichtenburg: "Leeres Eck bleibt unbesetzt"

Von Detlef Mayer 28.01.2016, 09:23
Die szenische Lesung der Jessener Gymnasiasten schuf eine beklemmende Atmosphäre in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg.
Die szenische Lesung der Jessener Gymnasiasten schuf eine beklemmende Atmosphäre in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg. Mayer Lizenz

Prettin - „In meinem Familienheim/ Am Mahlzeittisch/ Mein täglicher Platz/ Ein leeres Eck/ Bleibt unbesetzt!/ Bis zuletzt - bis zuletzt!“ Dies ist die erste Strophe des Gedichts „Mein leerer Tischplatz“ von Artur Samter, Rechtsanwalt der Roten Hilfe, 1933 Häftling im KZ Lichtenburg Prettin, 1943 im KZ Auschwitz umgekommen. Seine Verse bildeten sozusagen den Rahmen der bewegenden szenischen Lesung, mit der einige Jessener Gymnasiasten am Mittwochnachmittag in der Prettiner KZ-Gedenkstätte die Erinnerungsstunde an die Opfer des Nationalsozialismus prägend gestalteten.

Folgerichtig stammten auch die letzten Zeilen der Lesung aus diesem 1941 im Kerker geschriebenen Werk: „Einmal muss solcher Trennungsqual und dauernder Pein - ein Ende sein!“ Die Aufführung der Gymnasiasten, instrumental bereichert durch Jessener Musikschüler, stand unter dem Zitat von Max Abraham: „Ich sollte es am eigenen Leibe erfahren, dass finstere Barbarei über Deutschland hereingebrochen war“.

Und dieser Satz war mit Bedacht gewählt, denn im Fokus des Prettiner Holocaust-Gedenkens stand diesmal - der Tradition des jährlichen Wechsels folgend - die Häftlingsgruppe der Juden.

Max Abraham, Rabbiner von Rathenow und Lichtenburg-Häftling, über Antisemitismus im ersten Jahr der NS-Diktatur: „Als ich im März 1933 zum ersten Mal von einem Freund hörte, er selbst habe ... gesehen, wie Juden von Nationalsozialisten mit dem Gummiknüppel fürchterlich misshandelt und wie ihnen die Bärte abgeschnitten wurden, war das für mich einfach unglaublich ... Er erzählte mir weiter, dass die nationalsozialistischen Horden in eine nahe gelegene Synagoge eingedrungen waren, die Beter über die Bänke gelegt und misshandelt hatten. Das konnte, das wollte ich nicht glauben ... Ich sollte es am eigenen Leibe erfahren, dass finstere Barbarei über Deutschland hereingebrochen war ...“

Die Gymnasiasten unter Leitung von Lehrerin Cosima Schmidt kontrastierten ausgewählte Äußerungen und schriftliche Hinterlassenschaften von Häftlingen mit Auszügen aus nationalsozialistischen Gesetzestexten. Was seine Wirkung nicht verfehlte und eine beklemmende Atmosphäre schuf. Wie ein Refrain tauchte dabei immer wieder der Ausruf „Das also war in Deutschland möglich!“ auf - ebenfalls von Max Abraham.

Das Grußwort am 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, sie liefert den Hintergrund für den gestrigen Holocaust-Gedenktag der Bundesrepublik, sprach Landrat Jürgen Dannenberg (Linke). Er ging neben anderem auf die Notwendigkeit solchen Gedenkens ein, „da mitten unter uns wieder Gewalt und menschenfeindliche Propaganda junge Köpfe vergiften und Toleranz gegenüber dem Anderen schwindet“. Melanie Engler, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, hatte zuvor an die 10 000 Häftlinge erinnert, die insgesamt 1933 bis 1945 in der Lichtenburg einsaßen, und dass der schon vorher geschürte Antisemitismus 1933 unter den Nazis zum staatlichen Programm wurde. Sie spannte den Bogen dabei vom Arierparagrafen über die Nürnberger Rassengesetze und die Pogromnacht bis hin zum Zweiten Weltkrieg.

Im Anschluss an die Gedenkstunde zogen die gut 100 Teilnehmer zum Bunker, um dort Blumen niederzulegen und „mit Kerzen Licht an den finsteren Ort zu tragen“, wie Melanie Engler sagte. (mz)

Zu den zitierten Gesetzestexten gab es straffe Trommelwirbel.
Zu den zitierten Gesetzestexten gab es straffe Trommelwirbel.
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Die Teilnehmer des Prettiner Gedenkens an die Nazi-Opfer mit Blumen und Kerzen im Bunker
Die Teilnehmer des Prettiner Gedenkens an die Nazi-Opfer mit Blumen und Kerzen im Bunker
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