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Sachsen-Anhalt Warum Ost-Brötchen gegen Teig-Rohlinge mehr und mehr verlieren

Von Steffen Höhne und Alexander Schierholz 12.02.2016, 08:30
Die Auslage soll voll sein, aber natürlich auch frisch.
Die Auslage soll voll sein, aber natürlich auch frisch. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale)/Annaburg - Ein süßlicher Geruch hängt in der Luft. Auf Regalen und in Körben stapeln sich Brote verschiedener Sorten, Brötchen, Gebäckstücke, Kuchen, Hefezöpfe. Das ist das Reich von Bernd Neubauer. Jeden Werktag morgens um drei steht der hallesche Bäckermeister in der Backstube. Er heizt den Elektro-Ofen an, dann bereitet er Teige vor. Dunkle Brötchen, Kleingebäck wie Schnecken, weiße Brötchen, Brot - die Reihenfolge ist genau festgelegt.

Neubauers Bäckerei liegt zwischen der Innenstadt und dem beliebten Wohnquartier Paulusviertel. Viele junge Familien und Studenten leben hier. Einrichtungen der Uni und die Universitätsbibliothek prägen die Gegend. Und man muss in jede Richtung nur ein paar Minuten laufen, um auf einen weiteren Bäcker zu stoßen, meist Filialen großer Ketten. Eine Handvoll Mitbewerber im engeren Umkreis, und dann noch die Backstationen, die es mittlerweile in fast jedem Supermarkt gibt: Wie kann sich ein kleiner Handwerksbäcker da behaupten? Bernd Neubauers Antwort überrascht: „Das sind für mich gar keine Konkurrenten.“ Sein Erfolgsgeheimnis: Er setzt auf Stammkunden, die ihm seit Jahren die Treue halten. Ein Schwätzchen, ein freundliches Wort, das gehöre bei ihm zum Geschäft, sagt der 64-Jährige. Manchmal führt er auch Kita-Gruppen durch sein Reich. „Damit die mal wissen, wo die Brötchen herkommen. Viele denken ja, die kommen aus dem Supermarkt.“

Dass dieser Eindruck bei Kindern entsteht, kommt nicht von ungefähr. Denn die deutsche Bäckerei-Branche befindet sich in einem Umbruch. Kleine und mittelständische Bäckereien verschwinden zunehmend. Ersetzt wird die Produktion durch industrielle Großbäcker, die meist Teiglinge herstellen, die im Supermarkt oder im Back-Shops nur noch aufgebacken werden. Zwei Zahlen veranschaulichen den Wandel anschaulich: Vor zwanzig Jahren gab es in Sachsen-Anhalt noch 661 selbstständige Bäckereien. Im Jahr 2015 waren es nur noch 292.

Innung lehnt Subventionen ab

Viele alteingesessene Bäckereien geben auf, wie die Feinbäckerei Ungethüm aus Gross Naundorf im Landkreis Wittenberg. Das 1885 gegründete Familien-Unternehmen mit acht Filialen hatte im Herbst 2015 Insolvenz angemeldet. 22 Mitarbeiter mussten gehen. „Wir hatten über Monate nur noch Minus in der Kasse, irgendwann ging es nicht mehr“, sagt die ehemaliger Inhaberin Silke Stets. Die Gemeinde Gross Naundorf an der brandenburgischen Landesgrenze liegt in einer wirtschaftlich sehr schwachen Region. „Viele Leute müssen mit jedem Cent rechnen und kaufen daher sehr günstige Brötchen im Supermarkt ein“, sagt Stets. Doch von ein paar gekauften Kuchenstücken habe ihre Bäckerei nicht existieren können. Die Unternehmerin macht sich auch selbst Vorwürfe: „Wir haben nicht rechtzeitig investiert in die Modernisierung unserer Technik und Filialen.“ Doch hätten Banken dies überhaupt finanziert?

Die Backwarenbranche in Deutschland erwirtschaftet einen Umsatz von rund 19,3 Milliarden Euro im Jahr. Insgesamt gibt es laut Statistischem Bundesamt rund 14 000 Unternehmen. Interessant ist die Marktstruktur: 34 Großbäckereien erwirtschaften allein einen Gesamtumsatz von 6,2 Milliarden Euro. Damit besitzen sie einen Marktanteil von 32 Prozent.

Die Großunternehmen haben in den zurückliegenden Jahren ihre Marktposition auf Kosten sehr kleiner Bäckereien ausgebaut. Mittelständische Betriebe konnten ihren Marktanteil in den vergangenen Jahren relativ konstant halten. In Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Bäckereien seit der Wende auch deshalb drastisch gesunken. Gab es 1995 noch 661 selbstständige Bäckereien, so waren es 2015 nur noch 292 Betriebe, die in der Handwerksrolle eingetragen waren.

Ein weiterer aktueller Fall: In Halle übernimmt der Thüringer Bäcker Lampe im Februar 17 Filialen des insolventen „Stadtbäckers“. Die moderne Bäckerei des „Stadtbäckers“ in Zscherben (Saalekreis) wird geschlossen. 73 Mitarbeiter aus Produktion, Verwaltung und Logistik wurde gekündigt. Für das Aus der Bäckereien macht Andreas Baeckler, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Bäckerhandwerks Sachsen-Anhalt, auch die Landespolitik verantwortlich. „Industrielle Großbäckereien erhalten Millionen Euro an staatlichen Fördermitteln “, so Baeckler. „Damit wird der Wettbewerb verzerrt.“ Nach seinen Worten gebe es im Land entlang der Autobahnen bereits 38 solcher Betriebe.

Zuletzt kündigte das Magdeburger Wirtschaftsministerium an, den Bau einer neuen Großbäckerei von Lieken in Wittenberg mit elf Millionen Euro zu fördern. Und dies, obwohl Lieken in Weißenfels (Burgenlandkreis) eine andere große Produktionsstätte schließt. „Die Investitionsförderung erhält nur, wer die Hälfte seines Umsatzes außerhalb eines 30-Kilometer-Umkreises erwirtschaftet“, so Baeckler. Daher würden nur industrielle Betriebe davon profitieren. Laut Innungschef hieß es jahrelang von der Politik, die Großbäcker würden den ortsansässigen Handwerksbäckern keine Konkurrenz machen, da sie bundesweit an Tankstellen, Supermärkte und Gastronomie ausliefern. Doch inzwischen würden die Großbäcker auch Hotels und Restaurants in der Region beliefern. Baeckler fordert die Einstellung der Subventionen.

Um sich auf dem Markt zu behaupten, müssen sich die kleineren Bäcker von ihren großen Konkurrenten abheben - sprich Spezialitäten anbieten. Der hallesche Bäcker Neubauer hat reagiert, hat zum Beispiel Rezepturen umgestellt. „Viel Fett und viel Zucker, das ist heute nicht mehr so gefragt.“ Seit ein paar Jahren hat er Dinkelbrot im Angebot, auch wenn er das Urkorn Dinkel eigentlich für „eine Modeerscheinung“ hält. „Aber es wird halt nachgefragt.“ Genau wie Hanfbrot, das er ins Sortiment aufgenommen hat.

Zu viert stehen sie früh in der Backstube: Der Chef, sein Sohn, der ebenfalls den Meister in der Tasche hat und den Laden mal übernehmen soll, ein weiterer Bäckermeister und eine Gehilfin. „Anders ist es nicht zu schaffen“, sagt Neubauer, „es soll ja früh am Morgen auch möglichst schon viel im Laden sein.“

Personalkosten deutlich gestiegen

Neubauer profitiert davon, dass es in der halleschen Innenstadt viele junge zahlungskräftige Kunden gibt. Zudem schlägt bei ihm auch der Anfang 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde nicht so stark zu Buche wie bei Bäckereien, die zahlreiche Filialen mit mehreren Verkäuferinnen je Verkaufsstelle betreiben.

„Der Mindestlohn war für uns der Todesstoß“, sagt Silke Stets von der Bäckerei Ungethüm. Die Personalkosten hätten sich drastisch erhöht. Der Umsatz in ihren Filialen sei zu gering gewesen, um die höheren Löhne zu erwirtschaften. Das ist nicht nur bei Stets so. Viele Mittelständler haben in den zurückliegenden Jahren auf das Filialgeschäft mit integriertem Café gesetzt. Sie wollten sich damit unabhängig vom reinen Brot- und Brötchenverkauf machen. Doch das Betreiben eines Cafés ist deutlich personalintensiver als ein reiner Verkauf. Dies wird nun durch den Mindestlohn zum Problem. Der alte Deal, das vor allem weibliche Verkaufspersonal vergleichsweise gering zu entlohnen, dafür aber einen krisensicheren Job anzubieten, funktioniert nicht mehr.

Um Vielfalt im Sortiment zu bieten und preislich mitzuhalten, kaufen nicht wenige Handwerksbäckereien inzwischen auch Teig-Rohlinge bei den Industriebetrieben ein. Diese liefern dann Croissants, Brezeln und Körnerbrötchen an die kleinen Bäckereien. Ökonomisch macht dies zunächst erst einmal Sinn. Doch geben die Handwerksbetriebe so Stück für Stück einen Teil ihrer Unabhängigkeit auf - es ist eine Gratwanderung.

Der hallesche Bäcker Neubauer will sich auf diese Veränderung nicht einlassen: Zugekaufte Teig-Rohlinge, die man nur noch aufbacken muss, kommen ihm nicht ins Haus. „Wenn das alle machen, schmeckt doch alles überall gleich“, findet er. Seine Devise: Was er seinen Kunden anbietet, möchte er von komplett selbst gemacht haben.

Das funktioniert bei ihm. Die Backstube ist voll. Als der erste Ansturm durch ist, gegen zehn Uhr, holt eine Verkäuferin Nachschub: Das Brotregal wird aufgefüllt, Kuchen und Leipziger Lerchen wandern in die Auslage. Neubauer steht neben dem Ofen und schneidet einen frischen Mohnkuchen. Ein, eineinhalb Stunden noch, dann ist Feierabend für ihn. (mz)

Der hallesche Bäckermeister Bernd Neubauer setzt auf Stammkunden und Spezialitäten.
Der hallesche Bäckermeister Bernd Neubauer setzt auf Stammkunden und Spezialitäten.
Andreas Stedtler Lizenz